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Georg Elser-Film: Als Hitler in die Luft fliegen sollte

Georg Elser-Film

Als Hitler in die Luft fliegen sollte

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    Artur Nebe (Burghart Klaußner) Georg Elser (Christian Friedel) Heinrich Müller (Johann von Bülow) in einer Szene des Films "Elser".
    Artur Nebe (Burghart Klaußner) Georg Elser (Christian Friedel) Heinrich Müller (Johann von Bülow) in einer Szene des Films "Elser". Foto: Bernd Schuller, dpa

    Gleich drei "Hausfelsen" reklamieren die Königsbronner für sich. Der Herwartstein, der Herrenstein und der Frauenstein ragen mächtig empor und lassen die Häuser unten im Brenztal kleiner erscheinen als sie sind. Das barocke Rathaus der 7000-Einwohner-Gemeinde am östlichen Ende der Schwäbischen Alb ist dagegen ein großzügiger Bau. Daneben steht die Hammerschmiede, die fast abgerissen worden wäre. Jetzt dient sie für Veranstaltungen unterschiedlichster Art. An diesem Tag hat sich das Rote Kreuz ausgebreitet. Blutspende. In gut einer Woche wird niemand mehr zur Ader gelassen. Dann wird hier in einer Tagung über den berühmtesten Sohn der Gemeinde diskutiert. Beinahe ein halbes Jahrhundert galt Hitler-Attentäter Georg Elser im Ort als Unperson. Ein anderer Ort, eine andere Zeit. Konstanz vor 75 Jahren. "Hallo, wo wollen Sie hin?" Georg Elser wollte in die Schweiz an jenem 8. November 1939 gegen 20.45 Uhr. Auf seiner Flucht war er an den Bodensee gereist. Dort kannte er sich aus, schließlich hatte der Tischlergeselle aus dem Kreis Heidenheim zwischen 1925 und 1932 in Konstanz gewohnt. 30 Meter von der Grenze entfernt sollte seine Flucht enden, als der Zollassistent Xaver Rieger aus dem Dunkel die Frage stellte: "Hallo, wo wollen Sie hin?" Elser wurde wegen seines Versuchs, illegal in die neutrale Schweiz zu gelangen, festgenommen. Zu diesem Zeitpunkt war die von ihm deponierte Bombe im Münchner Bürgerbräukeller - dort, wo sich heute das Kulturzentrum Gasteig befindet - noch nicht einmal hochgegangen. Elser hatte seit dem Herbst 1938 nichts weniger vor, als Adolf Hitler, Joseph Goebbels und Hermann Göring zu töten. "Durch meine Überlegungen kam ich zu der Überzeugung, dass durch die Beseitigung dieser drei Männer andere Männer an die Regierung kommen, die an das Ausland keine untragbaren Forderungen stellen (...) und die für eine Verbesserung der sozialen Verhältnisse der Arbeiterschaft Sorge tragen werden." So begründete der Mann in späteren Verhören sein Vorhaben, das er detailversessen in die Tat umzusetzen versuchte. Die abgebrochene Lehre als Eisendreher, die Ausbildung und Arbeit in verschiedenen Schreinereien, die "Wanderjahre" am Bodensee mit Schreinerarbeiten in Uhrenfabriken, Hilfsjobs in einer Heidenheimer Armaturenfabrik und die Tätigkeit im Steinbruch bei Königsbronn, wo er sich den Sprengstoff abzweigte, ließen Elser zum Experten für das Attentat werden. Der Tatort war mit dem Bürgerbräukeller in München deshalb gut gewählt, weil dort jedes Jahr die nationalsozialistische Führung an den blutig niedergeschlagenen Hitlerputsch vom 8. und 9. November 1923 erinnerte.

    Elser schaute sich nach Hitlers Rede im November 1938 den späteren Tatort genau an. Seine selbst gebastelte Zeitbombe wollte er in einer Säule direkt hinter dem Rednerpult deponieren. Ab dem 5. August 1939 hielt er sich dauerhaft in der bayerischen Landeshauptstadt auf - gut drei Monate vor dem Anschlag. Etwa 35 Nächte ließ er sich - versteckt in einer Abstellkammer - in den Bürgerbräukeller einsperren. Er präparierte im Schein seiner Taschenlampe die Säule, schuf mit einfachen Werkzeugen vorsichtig einen Hohlraum für die Zeitbombe. In seinem Versteck wartete Elser nach getaner Arbeit regelmäßig, bis die Wirtschaft wieder aufgeschlossen wurde und Betrieb war, sodass er nicht beim Verlassen der Gaststätte auffiel.

    Auf die Minute genau explodierte die von den Nazis als "Höllenmaschine" bezeichnete Zeitbombe am 8. November 1939 um 21.20 Uhr und verwandelte den Saal in ein Trümmerfeld. Aber Hitler war - anders als die Jahre zuvor - bereits deutlich früher mit seiner Rede fertig. 13 Minuten vor der Detonation hatte der Diktator das Lokal verlassen. Noch in der Nacht traf auch in Konstanz ein Fernschreiben mit Angaben zum Attentat auf Hitler ein. Der festgenommene Elser wurde zum Verdächtigen, weil er Uhrwerkteile und eine Beißzange bei sich hatte - und eine Postkarte vom Bürgerbräukeller. Kriminalbeamte gingen wegen seiner detailreichen Schilderungen von einer Einzeltäterschaft aus. Doch davon wollten die Gestapo und die Nazi-Führung nichts wissen. Zu ungeheuerlich war der Anschlag: Ein kleiner Handwerker war zu Hitlers größtem Widersacher geworden. Das durfte nicht sein. Also wurde aus Elser ein Agent des britischen Geheimdienstes. Und seine Rettung bezeichnete Hitler als "Werk der Vorsehung": Nahrung für den Führerkult. 30 Meter haben Elser in die Schweiz gefehlt, 13 Minuten für den Tyrannenmord - und am Schluss seines Lebens sind es 20 Tage. Am 9. April 1945 wurde der 42-jährige Elser auf persönlichen Befehl Hitlers durch einen Genickschuss im KZ Dachau getötet und seine Asche verstreut. Ein Grab gibt es nicht. Knapp drei Wochen später befreiten amerikanische Soldaten das Konzentrationslager. Warum gehörte Elser nicht von Anfang an zu den Figuren des Widerstands? Warum wurde er so lange totgeschwiegen? Erst Mitte der 60er Jahre stieß ein Historiker auf die Verhörprotokolle der Gestapo, auf die sich nach wie vor die Forschung stützt. Davor galt Elser als Attentäter, der je nach Deutung vom Geheimdienst Großbritanniens geschickt worden war oder sich mit anderen kommunistischen Verschwörern zusammengetan hatte. Eine weitere Interpretation machte der protestantische Geistliche Martin Niemöller populär. Der integre Pfarrer behauptete in einer Rede vor Göttinger Studenten im Januar 1946, Elser sei in Wahrheit ein Angehöriger der SS und 1939 ein Werkzeug Hitlers gewesen. Niemöller saß mit Elser in Sachsenhausen und in Dachau im selben Zellentrakt. Er schloss wohl aus der Sonderbehandlung des "Schutzhäftlings", dass alles inszeniert sein musste. Denn dem gelernten Schreiner wurde eine Hobelbank zur Verfügung gestellt. Außerdem durfte der leidenschaftliche Musiker auf einer Zither spielen. Die Freiheiten waren aber kein Zeichen der Zugehörigkeit zur SS, sondern mit die einzige Abwechslung für einen gebrochenen, isoliert gehaltenen Mann, der hochgradig traumatisiert und selbstmordgefährdet war. In seiner Heimatgemeinde wollten die Bürger mit Elser lange nichts zu tun haben. Die Gestapo fiel nach dem Attentat in den Ort zwischen Heidenheim und Aalen regelrecht ein auf der Suche nach Mittätern und Mitwissern. Ein ehemaliger Arbeitskollege Elsers im Steinbruch, Willi Schwenk, schilderte die Vernehmung durch die Gestapo. "Ich habe so etwas noch nie erlebt, noch nie gehört und noch nie gesehen, mit was für einer Rücksichtslosigkeit sie vorgegangen sind. Sie wollten mit aller Gewalt etwas herausbringen. Sie haben uns solche Angst gemacht, dass man sich schier in die Hose machte, wenn man zu den Verhören musste." Der Einzelgänger und Alleintäter Elser hatte ungewollt Unheil über seine Heimat gebracht. Noch 1995 befestigten "Scherzbolde" unter dem Ortsschild eine Tafel, auf der "Attentatshausen" stand - ein geflügeltes Wort für Königsbronn bereits während der Nazizeit. Und dann ist da noch die nicht einfach zu beantwortende Frage: Taugt einer zum Helden, der mit einer Bombe Unschuldige in den Tod gerissen hat? Acht Menschen starben - darunter die Aushilfskellnerin Maria Henle, 30, die einen Mann und zwei kleine Kinder hinterließ. 63 Personen wurden verletzt. Joachim Ziller, der Leiter der 1998 eröffneten Elser-Gedenkstätte in Königsbronn, sieht in dem Einwand eine "durchaus berechtigte Frage". Aber er hat auch eine eindeutige Antwort darauf: Gewalt hält er letztlich für ein legitimes Mittel "im Kampf gegen eine menschenverachtende Diktatur".

    Georg Elser hat einen schwierigen Weg in der Geschichtsschreibung genommen. Er beweist, dass ein Individuum dazu imstande ist, mit Weitsicht und Entschlossenheit die Spitze eines totalitären Systems zu bekämpfen. Damit straft er all diejenigen Lügen, die sich nach dem Terror des Dritten Reiches hinter der Ausrede versteckten, über die Untaten der NS-Schergen habe man nichts Genaues gewusst. Und ohnehin hätte der Einzelne nichts dagegen ausrichten können. Wann Elser endgültig seinen Platz unter den Widerstandskämpfern gefunden hat, ist nicht an einem Datum festzumachen. Gaben die veröffentlichten Verhörprotokolle 1969/70 den Anstoß? Trug der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl dazu bei, weil er Elser 1983 in seiner Rede zum 20. Juli - ebenso wie in den Jahren 1984 und 1994 - würdigte? Oder sind es die Plätze, Straßen und Denkmale, die inzwischen an Georg Elser erinnern? Was ist in Königsbronn selbst sichtbar? "Man hätte es sich einfach machen und eine Straße nach ihm benennen können", sagt Gedenkstättenleiter Ziller. Doch die Gemeinde habe mit der Gedenkstätte viel mehr geschaffen: einen Erinnerungsort und eine Forschungsstelle gleichermaßen. Wenige hundert Meter davon entfernt steht die Königsbronner Schule, die seit elf Jahren den Namen von Georg Elser trägt. "Was gibt es Schöneres, als auf diese Weise jungen Leuten zu vermitteln, wie wichtig Menschenrechte, Zivilcourage und Widerstand sind?", fragt Ziller rhetorisch. Dem halben Dutzend Buben, die an diesem Nachmittag in der Nähe des Bahnhofs mit ihren Skateboards Tricks und Sprünge einüben, ist der Name der Schule, die sie alle besuchen, nicht so wichtig. "Ist doch egal, wie die heißt", sagt einer der Jugendlichen im Alter von zehn bis 14 Jahren. Ist halt Schule. Aber mit Georg Elser, der als überlebensgroße Skulptur seit dem Jahr 2010 nahe der Bahngleise steht, können sie sehr wohl etwas anfangen. "Der wollte Hitler umbringen", sagt einer der Jungs. Und in der Beurteilung der Tat sind sie sich auch einig: "Das war mutig."

    Der Film "Elser - Er hätte die Welt verändert" von Oliver Hirschbiegel, lief am Donnerstag im Wettbewerb der Berlinale.

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