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Gedenken: Auschwitz-Überlebende: „Menschliche Würde gehörte hier nicht her“

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Auschwitz-Überlebende: „Menschliche Würde gehörte hier nicht her“

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    Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier legt bei der Gedenkfeier zum 75. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz einen Kranz nieder.
    Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier legt bei der Gedenkfeier zum 75. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz einen Kranz nieder. Foto: Britta Pedersen, dpa

    Es sind nicht die großen Worte, die an diesem Gedenktag in Auschwitz am meisten erschüttern. Es ist auch nicht das ikonische Bild des grell angeleuchteten Einfahrtstors in das Vernichtungslager Birkenau, vor dem die Redner stehen und 75 Jahre nach der Befreiung des Todeslagers am 27. Januar 1945 ihre Erinnerungen schildern und zu Wachsamkeit in der Zukunft mahnen.

    Es ist das Schlichte, das Nüchterne in den Erzählungen der Überlebenden, die viele Zuhörer entsetzen und zu Tränen rühren. Es ist das Banale und Alltägliche des Bösen, von dem etwa Batszewa Dagan berichtet, geborene Isabella Rubinstein, eine israelische Jüdin polnischer Abstammung, die 1942 nach Auschwitz kam, bis 1945 blieb und zuletzt auch die Todesmärsche nach Westen überlebte.

    „Es ist nicht leicht zu entscheiden, was das Schlimmste war, was ich hier erlebt habe“, sagt die 94-Jährige, als müsste sie genau jetzt erst überlegen, um dann die richtige Entscheidung zu treffen. Als wäre sie nicht der „Hölle“ entkommen, von der Polens Präsident Andrzej Duda zur Eröffnung der Gedenkfeierlichkeiten gesprochen hat, dieser „von Deutschen industriell geführten Fabrik des Todes, über der unablässig der Rauch aus den Krematorien aufstieg“.

    Auschwitz-Überlebende: „Unsere Haare wurden für Matratzen verwendet“

    Kein großes Wort sagt Dagan über die mindestens 1,1 Millionen Mordopfer der Nazis in Auschwitz-Birkenau, von denen rund 900.000 jüdischer Herkunft waren wie sie selbst. Nein, die Überlebende erinnert sich zuallererst daran, dass die SS-Wachmannschaften sie als „Schutzhäftling“ eingruppierten. „Dabei gab es hier keinen Schutz, nirgends.“ Das Wort, fährt sie fort, habe die ganze Verachtung gezeigt, mit der die Deutschen sich ihre Opfer unterworfen hätten. „Menschliche Würde gehörte hier nicht her.“

    Dann wendet sie sich jener schrecklichsten Erfahrung zu, die sie in Auschwitz gemacht habe: der Rasur des Kopfes. „Sie haben mich dadurch in eine Kreatur mit nacktem Schädel verwandelt. Sie wollten mich meiner Menschlichkeit berauben.“ Kurz darauf jedoch fällt wieder so ein Satz, der für Überlebende zwingend dazugehört, vielleicht weil er zeigt, dass drei Jahre in Auschwitz eben doch drei Jahre eines Lebens waren: „Die Haare wurden als Material für Matratzen verwendet.“ Erst danach erzählt sie die Geschichte, wie der berüchtigte KZ-Arzt Josef Mengele kurz davor war, sie für einen tödlichen Menschenversuch auszuwählen.

    Gedenktag  in Auschwitz: Ein Tag für die Überlebenden

    Dieser 75. Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau, solle „den Überlebenden gehören“. So hatte es der Leiter der KZ-Gedenkstätte, Piotr Cywinski, angekündigt. „Wir machen das hier nicht für Politiker, gekrönte Häupter und Präsidenten“, von denen rund 60 nach Auschwitz gekommen sind, das heute wieder polnisch Oswiecim heißt. Als Vertreter Deutschlands ist der Bundespräsident angereist, Frank-Walter Steinmeier, der an diesem Tag vor allem zuhören will. Und tatsächlich gelingt es den Veranstaltern, zumindest für zwei Stunden am Nachmittag eine würdige Atmosphäre zu schaffen, in der sich die ganze Aufmerksamkeit auf jene wenigen letzten Zeitzeugen richtet, die NS-Terror und Holocaust überlebt haben.

    Rund 200 dieser Überlebenden sind gekommen. Einige von ihnen reden: zu Ihresgleichen, zu Politikern, Staatenlenkern und anderen Ehrengästen. Marian Turski gehört dazu, ein polnischer Journalist jüdischer Abstammung. „Das möchte ich meinen Kindern und Enkeln sagen“, setzt er an und fährt dann mit einem eindringlichen Appell fort: „Seid niemals gleichgültig. Seid niemals gleichgültig, wenn Minderheiten abgewertet werden. Seid niemals gleichgültig, wenn die historische Wahrheit zu gegenwärtigen politischen Zwecken missbraucht wird. Denn wenn ihr gleichgültig seid, dann ist all das wieder möglich.“ Und Turski schließt mit dem mahnenden Satz: „Auschwitz ist nicht vom Himmel gefallen.“

    Auch der 94-jährige Stanislaw Zalewski mahnt: „Wenn wir heute mit offenen Ohren durch die Welt gehen, dann hören wir noch die Schreie der Menschen, die hier gequält, erniedrigt und ermordet wurden.“ Man könne aber auch den „Schrei nach Vergebung und Versöhnung hören“. Mit ihren Appellen an die Jugend, niemals gleichgültig gegenüber Erniedrigung und Hass zu sein, sind Turski und Zalewski an diesem Gedenktag trotz ihres hohen Alters erschreckend aktuell. Denn sie sprechen nicht nur über das Damals, sondern auch über wachsenden Antisemitismus und Rassismus weltweit.

    Politiker sorgen für im Vorfeld des Gedenktags für Unruhe

    Aber auch jene Politiker, die am Montag nicht im Zentrum der Veranstaltung stehen sollten, haben mit ihren Debatten im Vorfeld längst für neue internationale Spannungen gesorgt, statt im Gedenken zusammenzustehen. So ist der polnische Präsident Duda in der Vorwoche nicht zu einer Holocaust-Gedenkfeier nach Israel gereist, weil dort zwar der russische Präsident Wladimir Putin sprechen sollte, er selbst aber nicht. Putin wiederum hat den Polen kurz zuvor eine Mitschuld am Ausbruch des Weltkriegs und indirekt auch am Holocaust vorgeworfen. Die Israelis ließen es ihm durchgehen. Duda schäumte. Auch am Montag in Auschwitz nannte der polnische Staatschef den Streit mit Moskau „ernst“. Er hoffe, dass es künftig keine „Verfälschungen der Geschichte“ mehr geben werde, denn diese beflecke vor allem das Ansehen der Opfer.

    Als Repräsentant Russlands kommt nur Botschafter Sergej Andrejew zu den Gedenkfeiern. Putin wollte nicht kommen, wäre wohl auch nicht willkommen gewesen. Den Diplomaten Andrejew hält das angespannte Verhältnis gleichwohl nicht davon ab, per Zeitungsinterview neues Öl ins Feuer zu gießen. Es sei eine Tatsache, dass die polnische Regierung die Rolle der Roten Armee bei der Befreiung von Auschwitz „vertuschen“ wolle, sagte er der Iswestija. Auf der anderen Seite legte Jaroslaw Kaczynski, der Chef der polnischen Regierungspartei PiS, in einem Gespräch mit der Bild-Zeitung nach. „Russen als Täter, diese Rolle gefällt Putin nicht. Deshalb will er die Geschichte (des Krieges) umschreiben.“

    75 Jahre Befreiung Auschwitz: Israel setzt ein Zeichen der Versöhnung

    Es ist der israelische Präsident Reuven Rivlin, der nach einem Gespräch mit Duda am Montag in Auschwitz ein Zeichen der Versöhnung setzt. Er wolle „dem polnischen Volk die Hand reichen, damit wir auf einen gemeinsamen Weg zurückkehren können“. Diesen Weg verlassen haben beide Seiten 2018, als die rechtskonservative Regierung in Warschau ein hoch umstrittenes „Holocaustgesetz“ erließ. Wer Polen eine Mitverantwortung an den NS-Verbrechen zuschreibt, kann mit bis zu drei Jahren Haft bestraft werden. In Israel wurden danach Stimmen laut, die vor einer „Reinwaschung“ aller Polen warnten, trotz nachgewiesener antisemitischer Pogrome.

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