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Gauck-Besuch: Griechen fordern Milliarden-Entschädigung von Deutschland

Gauck-Besuch

Griechen fordern Milliarden-Entschädigung von Deutschland

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    Bundespräsident Joachim Gauck (l) und der griechische Staatspräsident Karolos Papoulias im Akropolis Museum in Athen an einer Veranstaltung teil. Das deutsche Staatsoberhaupt hält sich zu einem dreitägigen Besuch in Griechenland auf.
    Bundespräsident Joachim Gauck (l) und der griechische Staatspräsident Karolos Papoulias im Akropolis Museum in Athen an einer Veranstaltung teil. Das deutsche Staatsoberhaupt hält sich zu einem dreitägigen Besuch in Griechenland auf. Foto: Wolfgang Kumm, dpa

    Unerwartet massive Forderungen Griechenlands nach deutschen Reparationen für Verbrechen im Zweiten Weltkrieg haben den Staatsbesuch von Bundespräsident Joachim Gauck in Athen belastet. Staatspräsident Karolos Papoulias verlangte bei einem gemeinsamen Auftritt mit Gauck vor der Presse am Donnerstag, Verhandlungen über Entschädigungen so schnell wie möglich zu beginnen.

    Gauck entgegnete Papoulias, der Rechtsweg dazu sei abgeschlossen. "Ich werde mich dazu nicht äußern. Und ganz gewiss nicht anders als meine Regierung." Die Bundesregierung sieht die Entschädigungsfrage als erledigt an.

    Reparationen sind laut Papoulias "Frage der Moral"

    Mit deutlichen Worten kam Präsident Papoulias auch beim feierlichen Staatsbankett am Abend auf die Reparationsforderungen zurück. "Meine besonderen Bindungen zu Deutschland machen es für mich noch schwieriger, die Weigerung der deutschen Regierung zu verstehen, über das Thema der Zwangsanleihe während der Besatzung und die Reparationen zu sprechen", sagte er laut Redemanuskript. Es handele sich dabei um ein Thema der politischen Moral.

    Papoulias, der in Köln studiert und gearbeitet hat, kritisierte, dass Griechenland ohne Diskussionen aufgefordert werde, schmerzhafte Auflagen zur Sanierung der Staatsfinanzen in die Tat umzusetzen. Dagegen weigere sich Deutschland über Verpflichtungen zu reden, die noch aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs stammten.

    Gauck geht nicht auf Forderungen ein

    Gauck ging bei dem festlichen Abendessen nicht direkt auf die Reparationsforderungen ein. Er bedauerte aber, dass die Untaten des NS-Regimes in Griechenland in Deutschland weitgehend unbekannt "und leider auch ungesühnt" geblieben seien.

    Das ist Joachim Gauck

    Bundespräsident Joachim Gauck hat ein bewegtes Leben hinter sich. Seine wichtigsten Stationen.

    Gauck kommt 1940 in Rostock zur Welt. Sein Vater ist Kapitän, seine Mutter gelernte Bürofachfrau. Sein Vater wird von den Russen wegen angeblicher Sabotage in einem Lager in Sibirien verschleppt, als Gauck sechs Jahre alt ist. Er kommt erst viele Jahre später wieder frei.

    Nach dem Abitur studiert Joachim Gauck Theologie in Rostock und arbeitet dann ab 1967 als Pastor in Lüssow. Sein eigentlicher Berufswunsch Journalist zu werden, lässt sich in der DDR nicht erfüllen.

    Ab 1974 wird Joachim Gauck wegen seiner kritischen Predigten von der Stasi beobachtet.

    Als sich in der DDR Ende der achtziger Jahre Widerstandsgruppen formieren, wird Gauck Mitbegründer und Sprecher des „Neuen Forums“. Er leitet unter anderem Gottesdienste und führt Großdemonstrationen an.

    Das Ende des DDR-Regimes und die Wendezeit nennt Gauck die "prägende Zeit meines Lebens".

    1990 leitet er als Abgeordneter der frei gewählten DDR-Volkskammer den Sonderausschuss zur Kontrolle der Auflösung des Ministeriums für Staatssicherheit.

    Am Tag der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 übernimmt Joachim Gauck die nach ihm benannte Stasi-Unterlagen-Behörde. Bis zum Jahr 2000, als er die Leitung an Marianne Birthler abgiebt, avanciert Gauck zum bekanntesten Gesicht der DDR-Demokratiebewegung.

    Nach dem Mauerfall trennt sich der Theologe von seiner Frau und findet eine neue Lebenspartnerin aus dem Westen - eine Journalistin aus Nürnberg. Bis heute sind beide nicht miteinander verheiratet.

    2003 wird Joachim Gauck aus den Reihen der FDP erstmals als Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten ins Spiel gebracht.

    2005 wird Joachim Gauck, damals 65 Jahre alt, Ehrendoktor der Universität Augsburg.

    Der Vater von vier Kindern und mehrfache Großvater engagiert sich auch im Verein „Gegen Vergessen für Demokratie“. Als Vorsitzender kümmert er sich zusammen mit vielen Mitstreitern um die Aufarbeitung der Geschichte der Diktaturen in Deutschland.

    Im Sommer 2010 wird er von SPD und Grünen zum Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten nominiert. Dass er bei der durch Horst Köhlers Rücktritt nötig gewordenen Wahl knapp an Wulff scheitert, ändert nichts an seiner Beliebtheit.

    2011 sorgt Gauck für Schlagzeilen, als er Thilo Sarrazin für sein Buch „Deutschland schafft sich ab“ Mut attestiert. „Er hat über ein Problem, das in der Gesellschaft besteht, offener gesprochen als die Politik“, sagte Gauck, wobei er sich den den Inhalten des Buches distanzierte.

    Nach dem Rücktritt von Christian Wulff wird Gauck von Union, FDP, Grünen und SPD zum gemeinsamen Kandidaten für die Wahl eines neuen Bundespräsidenten nominiert.

    Am 18. März 2012 wählt ihn die Bundesversammlung mit großer Mehrheit zum Bundespräsidenten, am 23. März wird er vereidigt.

    "Und ich bin froh, dass wir uns heute in Deutschland noch einmal danach fragen, was aus unserer politischen und moralischen Verantwortung gegenüber Griechenland resultiert", sagte Gauck laut Redemanuskript. Das Thema belastet die deutsch-griechischen Beziehungen seit Jahrzehnten, hat durch die desolate Lage der griechischen Finanzen in der Eurokrise aber weitere Dringlichkeit erhalten.

    Neben Entschädigungen für Sachwerte und Menschenleben geht es um einen Zwangskredit, den die Bank von Griechenland 1942 der Reichsbank gewährt hatte. Die Forderungen insgesamt werden in Griechenland auf bis zu 160 Milliarden Euro geschätzt, die Zwangsanleihe auf mehrere Milliarden Euro. Die Nazis hatten sie noch 1945 auf knapp 500 Millionen Reichsmark beziffert.

    Zitate von Joachim Gauck

    "Unsäglich albern" (16.10. 2011, zur Finanzmarkt-Debatte)

    "Das wird schnell verebben." (16.10.2011, zur internationalen Protestbewegung "Occupy")

    "Wir träumten vom Paradies und wachten auf in Nordrhein-Westfalen." (24.06.2010, über die Ernüchterung vieler Ostdeutscher über das Leben im wiedervereinigten Deutschland)

    "Ich würde in der Tradition all derjenigen Bundespräsidenten stehen, die sich gehütet haben, die Politik der Bundesregierungen zu zensieren. Mancher wünscht sich ja einen Bundespräsidenten wie einen Kaiser, als letzte Instanz über allem - das darf er nicht sein." (25.6.2010, bei seinem ersten Anlauf zur Präsidentschaft im Fernsehsender n-tv über sein Amtsverständnis.)

    "Es schwächt die Schwachen, wenn wir nichts mehr von ihnen erwarten." (3.10.2010 bei einer Feierstunde im Berliner Abgeordnetenhaus zum Einheits-Jubiläum)

    "Denn als Bürger der DDR haben ich und viele andere Menschen im ganzen Osten Europas Ohnmacht erlebt und trotz Ohnmacht Ähnliches geschafft: Es gibt ein wahres Leben im falschen.". (10.10.2010 bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an den israelischen Schriftsteller David Grossmann)

    «Verantwortung ist dem Untertan meistens fremd. Was er am besten kann, ist Angst haben.» (1999 über Furcht vor der Freiheit bei Menschen in Ostdeutschland)

    "Wir sind nicht dazu da, vor dem Verbrechen zu kapitulieren und vor dem Unheil zu flüchten." (29.11.2010, vor der Entgegennahme des Geschwister-Scholl-Preises)

    „Er hat über ein Problem, das in der Gesellschaft besteht, offener gesprochen als die Politik.“ (2011 über Thilo Sarrazin und sein Buch über Migrationspolitik.

    «Es schwächt die Schwachen, wenn wir nichts mehr von ihnen erwarten.» (3.10.2010 bei einer Feierstunde zum Einheits-Jubiläum)

    "Wir dürfen uns von den Fanatikern und Mördern nicht unser Lebensprinzip diktieren lassen." (27.7.2011, bei der Eröffnung der Salzburger Festspiele gegen die Einschränkung von Freiheitsrechten aus Sicherheitsaspekten als Reaktion auf Terror)

    "Geben Sie mir einfach noch ein wenig Zeit." (17.2.2012, auf die Frage eines Reporters, ob er bereit für eine Kandidatur als Bundespräsident sei)

    Polizei musste für Gaucks Sicherheit sorgen

    Am Vormittag war Gauck zum offiziellen Auftakt seines Staatsbesuchs in Griechenland mit militärischen Ehren begrüßt worden. Der Bundespräsident wird von seiner Lebensgefährtin Daniela Schadt begleitet. Die griechische Polizei hinderte während des Besuchs rund 500 Demonstranten daran, vor dem Parlament in Athen gegen Entlassungen und Arbeitslosigkeit zu demonstrieren.

    Gauck sagte den Griechen die Freundschaft Deutschlands und weitere Unterstützung bei der Bewältigung der Wirtschaftskrise zu. "Wir Deutsche stehen in Solidarität zu unseren Partnern in Griechenland - egal welche Schlagzeilen es gibt." Die bisherigen Reformanstrengungen verdienten Anerkennung und Respekt.

    Bei seinem Besuch am Freitag in dem nordwestgriechischen Ort Lingiades will Gauck die Schuld der Deutschen für Verbrechen während der Besatzungszeit anerkennen und um Vergebung bitten. In dpa

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