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Gastbeitrag: Geoff Mulgan: "Gesellschaft und Regierung müssen sich wie ein Gehirn verhalten"

Gastbeitrag

Geoff Mulgan: "Gesellschaft und Regierung müssen sich wie ein Gehirn verhalten"

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    "Ich denke, viele Menschen werden versuchen, die Krise mit ihren bestehenden Rahmenbedingungen zu interpretieren", sagt Geoff Mulgan über die Pandemie.
    "Ich denke, viele Menschen werden versuchen, die Krise mit ihren bestehenden Rahmenbedingungen zu interpretieren", sagt Geoff Mulgan über die Pandemie. Foto: stock.adobe.com

    Sie arbeiten im Auftrag der britischen Regierung daran, Antworten auf die globale Pandemie zu finden. Was denken Sie über Covid und was kommt noch auf uns zu?

    Geoff Mulgan: Diese Krise war die größte Herausforderung für Führung und Politik in Echtzeit, an die ich mich erinnern kann. Es hat auf der ganzen Welt äußerst ungleiche Reaktionen gegeben, deren Erfolge und Misserfolge kompliziert sind. Meiner Ansicht nach passen diese Reaktionen nicht sehr gut zu bestimmten Regimetypen oder Kulturtypen - sie können vielmehr durch bestimmte Entscheidungen von politischen und anderen Führungskräften erklärt werden.

    Welche Arten von Entscheidungen?

    Mulgan: Es ist faszinierend zu sehen, wie sich so viele Regierungen sehr schnell bewegen, um fast von Grund auf neue Wohlfahrtsstaaten zu schaffen, Einkommensunterstützung zu leisten, eine ganze Reihe von Technologien einzusetzen und sich auf die Details der Unternehmensunterstützung sowie der Darlehen und Kredite einlassen. Massentests und die Verwendung von Daten wurden wie nie zuvor organisiert, insbesondere in Ostasien - auf eine Weise, die Europa aus den verschiedensten Gründen nicht handhaben kann.

    Geoff Mulgan ist Professor für kollektive Intelligenz.
    Geoff Mulgan ist Professor für kollektive Intelligenz. Foto: Geoff Mulgan

    Was kann man aus Erfolg und Misserfolg lernen?

    Mulgan: Ich untersuche, wie einige dieser Methoden auf andere Aufgaben wie den Klimawandel oder die Vorbereitung auf dramatische Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt angewendet werden können. In diesem Jahr haben wir bereits schnellere Änderungen bei der Nutzung von digitalen Hilfsmitteln in Schulen gesehen als jemals zuvor. Viele Dinge, die wahrscheinlich vor einer Generation hätten passieren sollen, wurden durch die Krise erzwungen. All dies wird große, große Gewinne in Bezug auf Produktivität und Servicequalität bringen.

    Derzeit scheint die Belastung für Gesellschaften und Bürger aber enorm zu sein.

    Mulgan: Wir sehen eine Krise der psychischen Gesundheit auf der ganzen Welt, Angst, Einsamkeit und Depression. Wir müssen schauen, wie wir damit am besten umgehen, und neue Formen der Unterstützung mit einer sehr lokalisierten und online verfügbaren Form der Altenpflege bereitstellen. Die Krise hat in vielen Ländern enorme Schwachstellen in der Organisation der Altenpflege gezeigt. In Bezug auf die grundlegende Nutzung von Daten und Technologie liegt die Altenpflege oft zwei Generationen zurück – besonders was die gelebte Erfahrung alter Menschen angeht.

    Sind Daten und Technologie der Schlüssel, um einige dieser Probleme anzugehen?

    Mulgan: Ziel ist es, auf eine ganze Reihe von Hilfsmitteln zurückzugreifen, von denen einige tatsächlich sehr technologisch sind. Wir versuchen, ein Modell für eine sehr schnelle Interaktion zwischen den Entscheidungsträgern, die in Echtzeit handeln müssen, und den Forschern zu ermöglich, die normalerweise in viel langsameren Zeitzyklen arbeiten. Wir versuchen sicherzustellen, dass die kritischsten Fragen der Entscheidungsträger angemessen beantwortet werden. Nach der Epidemie kann dies auf viele andere Bereiche angewendet werden, in denen immer noch eine große Lücke zwischen den Wissensschöpfern und den Wissensnutzern besteht.

    Wissen ist also der Schlüssel: Sehen Sie die Chance, diese Lücke zu schließen und diese Dynamik zu nutzen, um soziale Innovation im weitesten Sinne voranzutreiben?

    Mulgan: Die Aufgabe besteht darin, die Daten, das Wissen und die Intelligenz der Gesellschaft viel systematischer zu orchestrieren. Dies ist bis zu einem gewissen Grad in Demokratien wie Südkorea und Taiwan sowie in China geschehen - man beobachtet eine bewusste Nutzung fast aller Arten von Wissen, die für öffentliche Zwecke nützlich sein könnten. Dazu gehören Kreditkartendaten und Mobilfunkdaten. Das bedeutet aber auch, alle Ärzte und Krankenschwestern miteinander zu verbinden und durch ihre Echtzeit-Erfahrung festzustellen, was funktioniert und was nicht.

    "Im 21. Jahrhundert sind psychische Gesundheit, Angst und Einsamkeit öffentliche Angelegenheiten."

    Was sind die Haupthindernisse dafür?

    Mulgan: In einigen Teilen der Welt ist es viel schwieriger, teilweise aus Gründen der politischen Ökonomie. Wenn es mehr Privatisierung gibt, sind all diese Daten Eigentum von Unternehmen - und es ist sehr schwierig, sie gleichermaßen anzuwenden. Wenn es große Besorgnis über Datenschutz gibt, möchte niemand seine Daten teilen. In einer verständlichen Reaktion zu Google und Facebook ist Europa in diese Richtung gegangen. Aber es besteht die Gefahr, dass für

    Ist dies ein bleibendes Erbe dieser Krise, dass Europa zurückfällt?

    Mulgan: Die große Herausforderung ist, wie Gesellschaft und Regierung gemeinsam dazu beitragen können, sich mehr wie ein einziges Gehirn zu verhalten - zu beobachten, zu analysieren, zu denken, zu handeln, in einer Krise sehr schnell zu lernen und dann genau dieselben Denkweisen und Methoden zum Abbau von Kohlenstoff, zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und Ungleichheit, oder zur Vorbereitung auf alle Herausforderungen des Alterns anzuwenden. Die große Governance-Frage der nächsten zehn Jahre lautet in der Tat: welche Teile der Welt werden für diese Herausforderung bereit sein?

    Chronologie der Corona-Pandemie 2020 in Eilmeldungen

    Mehr als 600 Eilmeldungen hat die Deutsche Presse-Agentur bis Dezember 2020 allein zum Corona-Virus gesendet. Die Überschriften dokumentieren die Zeitspanne von den ersten Hinweisen auf eine Ausbreitung der Viruserkrankung bis zu den jüngsten Erfolgen bei der Impfstoffentwicklung. Ein Überblick:

    Januar

    22.1. WHO ruft wegen Virus in China vorerst keine "internationale Notlage" aus

    24.1. Zwei Fälle der neuen Lungenkrankheit in Frankreich nachgewiesen

    28.1. Erster Coronavirus-Fall in Deutschland bestätigt

    30.1. Coronavirus in China: WHO erklärt internationale Notlage

    Februar

    15.2. Frankreich meldet ersten Coronavirus-Todesfall in Europa

    22.2. Italien will mit Coronavirus betroffene Städte abriegeln

    29.2. Erster Coronavirus-Todesfall in den USA

    März

    9.3. Coronavirus: Landrat meldet ersten Todesfall in Deutschland

    11.3. WHO bezeichnet Verbreitung des neuen Coronavirus als Pandemie

    12.3. USA erlassen wegen Coronavirus 30-tägigen Einreisestopp aus Europa

    12.3. CDU verschiebt Parteitag wegen Corona-Krise

    12.3. Merkel: Wegen Coronavirus auf Sozialkontakte weitgehend verzichten

    12.3. Bund und Länder: Ab Montag alle planbaren Operationen verschieben

    13.3. UEFA stoppt vorerst Spielbetrieb im Fußball-Europapokal

    13.3. NRW schließt nächste Woche alle Schulen

    (plus 14 weitere Eilmeldungen zu Schulschließungen in anderen Bundesländern)

    13.3. DFL: Fußball-Bundesliga stellt Spielbetrieb vorerst ein

    13.3. Trump ruft wegen Coronavirus nationalen Notstand aus 

    16.3. Regierung schlägt Schließung von Läden vor - Supermärkte aber offen

    17.3. Maas startet Rückholaktion für im Ausland festsitzende Deutsche

    17.3. Bundesregierung spricht weltweite Reisewarnung aus 

    17.3. Fußball-EM wegen Coronavirus um ein Jahr verschoben

    17.3. Nur noch EU-Bürger sollen nach Deutschland reisen dürfen

    18.3. Österreich kontrolliert ab Mitternacht Grenze zu Deutschland

    19.3. Coronavirus-Pandemie: Italien meldet mehr Tote als China

    21.3. Mietern soll in Krise nicht gekündigt werden dürfen

    22.3. Bund und Länder wollen Restaurants unverzüglich schließen

    24.3. IOC bestätigt: Olympia in Tokio wird verschoben

    25.3. Historisches Hilfspaket in Corona-Krise beschlossen

    27.3. Corona-Pandemie: Italien meldet fast 1000 Tote an einem Tag

    April

    2.4. Weltweit mehr als eine Million nachgewiesene Coronavirus-Infektionen

    6.4. Kreise: Zwei Wochen Quarantäne bei Rückkehr nach Deutschland

    6.4. Corona-Infektion: Britischer Premierminister auf Intensivstation

    15.4. Bund will Öffnung von Geschäften bis 800 Quadratmeter ermöglichen

    15.4. Schulstart in Deutschland schrittweise ab 4. Mai geplant

    17.4. Spahn: Ausbruch ist beherrschbar geworden

    21.4. Saison in Handball-Bundesliga abgebrochen

    22.4. Erste klinische Studie zu Corona-Impfstoff in Deutschland zugelassen

    23.4. Merkel: Länder in Corona-Krise teils zu forsch

    28.4. Nun bundesweite Maskenpflicht auch im Einzelhandel

    30.4. Betriebe melden für 10,1 Millionen Menschen Kurzarbeit an

    Mai

    5.5. Wirtschaftsminister der Länder wollen Gastronomieöffnung ab 9. Mai

    6.5. Bund will Öffnung aller Geschäfte in Corona-Krise erlauben

    6.5. Politik erlaubt Geisterspiele der Fußball-Bundesliga ab Mitte Mai

    13.5. Bundesregierung beschließt Lockerung der Grenzkontrollen

    15.5. Deutsche Wirtschaft bricht in der Corona-Krise ein

    26.5. Bund und Länder einig: Kontaktbeschränkungen bis 29. Juni

    Juni

    9.6. Deutscher Export bricht im April um mehr als 30 Prozent ein

    16.6. Offizielle Corona-Warn-App steht zum Download bereit

    17.6. Großveranstaltungen werden mit Ausnahmen bis Ende Oktober verboten

    17.6. Schulen sollen nach Sommerferien wieder komplett öffnen können

    23.6. Zahlreiche Einschränkungen nach Corona-Ausbruch bei Tönnies

    25.6. EU-Kommission genehmigt Rettungspaket für Lufthansa

    29.6. Bundestag beschließt Mehrwertsteuersenkung und Familienbonus

    Juli

    3.7. Arznei Remdesivir erhält europäische Zulassung für Covid-19

    7.7. Brasiliens Präsident Bolsonaro mit Coronavirus infiziert

    22.7. Corona-Tests bei Einreise aus Risikogebieten sollen Pflicht werden

    30.7. Deutsche Konjunktur bricht dramatisch ein

    30.7. Historischer Konjunktureinbruch in den USA wegen Corona-Krise

    August

    11.8. Putin: Russland lässt Impfstoff gegen Coronavirus zu

    14.8. Reisewarnung des Auswärtigen Amts für fast ganz Spanien samt Mallorca

    27.8. Bund und Länder: Großveranstaltungen bis Ende des Jahres verboten

    September

    29.9. Feiern in öffentlichen Räumen auf 50 Teilnehmer beschränkt

    30.9. Neue Corona-Risikogebiete in elf europäischen Ländern

    Oktober

    2.10. US-Präsident Trump und First Lady positiv auf Coronavirus getestet

    7.10. Länder: Beherbergungsverbot für Reisende aus Risikogebieten

    8.10. Corona-Neuinfektionen in Deutschland steigen sprunghaft auf über 4000

    14.10. Beschluss: Sperrstunde um 23 Uhr für Gastronomie in Corona-Hotspots

    14.10. Bund und Länder wollen striktere Kontaktbeschränkungen in Hotspots 

    14.10. Frankreich führt Gesundheitsnotstand wieder ein 

    15.10. RKI meldet Rekordwert bei Corona-Neuinfektionen in Deutschland

    21.10. Gesundheitsminister Spahn positiv auf Corona getestet

    26.10. CDU-Spitze verschiebt Parteitag zur Vorsitzendenwahl ins nächste Jahr

    28.10. Bund und Länder: Beginn von Kontaktbeschränkungen am 2. November

    28.10. Bund und Länder wollen Gastronomiebetriebe vorübergehend schließen

    November

    2.11. Teil-Lockdown startet: Öffentliches Leben wird heruntergefahren

    9.11. Biontech veröffentlicht vielversprechende Daten zu Corona-Impfstoff

    16.11. Auch US-Konzern Moderna legt positive Daten zu Corona-Impfstoff vor

    16.11. Bund und Länder appellieren: Keine privaten Feiern mehr

    18.11. Bundestag beschließt Änderungen beim Infektionsschutzgesetz

    25.11. Private Zusammenkünfte werden auf fünf Personen begrenzt

    25.11. Bund und Länder lockern Kontaktbeschränkungen für Weihnachten

    30.11. Moderna will Zulassung für Corona-Impfstoff in EU beantragen

    Dezember

    1.12. Biontech und Pfizer beantragen EU-Zulassung für Corona-Impfstoff

    2.12. Biontech und Pfizer: Großbritannien lässt Corona-Impfstoff zu

    2.12. Bund und Länder: Teil-Lockdown wird bis in den Januar verlängert

    9.12. Verfassungsschutz Baden-Württemberg beobachtet "Querdenken"-Bewegung

    12.12. Corona-Impfstoff von Biontech und Pfizer erhält US-Notfallzulassung

    13.12. Bund und Länder beschließen harten Lockdown ab dem 16. Dezember 

    13.12. Bund und Länder beschließen Versammlungsverbot an Silvester

    13.12. Möglichst keine Schul- und Kita-Besuche ab Mittwoch bis 10. Januar

    13.12. Bund erhöht Corona-Finanzhilfen für Unternehmen

    19.12. Corona-Impfstoff von Moderna erhält Notfallzulassung in den USA

    21.12. EMA empfiehlt erste Zulassung eines Corona-Impfstoffs in der EU

    21.12. EU-Kommission genehmigt Corona-Impfstoff von Biontech/Pfizer

    22.12. Bayern führt Corona-Testpflicht für Reisende aus Risikogebieten ein

    (dpa)

    Dies würde eine massive Neukonfiguration des institutionellen Aufbaus des Staates bedeuten.

    Mulgan: Eine ziemlich bedeutende Umstrukturierung, ja. Das Prinzip ist, dass fast alle staatlichen Kenntnisse und Daten offen und geteilt sein sollten, es sollte kein Monopol geben. Was ich vorschlage, unterscheidet sich sicherlich sehr vom neoliberalen Staat - und auch sehr vom traditionellen sozialistischen Staat. In der Tat sind die meisten Traditionen des gesamten politischen Spektrums des 19. und 20. Jahrhunderts für das 21. Jahrhundert nicht sehr hilfreich.

    "Die Medien sollten ein nachdenklicher, kritischer Bestandteil dieses Lernsystems werden"

    Einschließlich der Sozialdemokratie?

    Mulgan: Die traditionelle sozialdemokratische Vision sagte nicht viel über Wissen aus. Es ging bei ihr mehr um einen funktionalen Liefer-Staat mit Verantwortung für Wirtschaftspolitik und Wohlfahrt. Aber dies war ein vor-digitales Zeitalter. Die heutigen Probleme traten nicht wirklich auf. Die sozialdemokratischen Staaten neigen auch dazu, in Bezug auf die vom Menschen gelebte Erfahrung, sowohl die sehr subjektive als auch die objektive, ziemlich schwach zu sein. Es wurde angenommen, dass die psychische Gesundheit eine private Angelegenheit war, während die körperliche Gesundheit eine öffentliche Angelegenheit war. Im 21. Jahrhundert sind psychische Gesundheit, Angst und Einsamkeit öffentliche Angelegenheiten und tatsächlich entscheidend, um zu überdenken, wie ein Wohlfahrtsstaat der Zukunft aussehen sollte.

    Dies sind enorme Veränderungen sowohl in den Zielen des Staates als auch in den Mitteln, mit denen der Staat diese Ziele erreicht. Gibt es dafür einen Namen, eine Theorie?

    Mulgan: Es ist neu und es entsteht und es gibt keine sehr klare Theorie darüber. In Wirklichkeit hat sich der Staat in der Vergangenheit in der Praxis immer vor der Theorie weiterentwickelt. Die Aufgabe der Theoretiker ist es, zu versuchen, einen Sinn für das Geschehen zu finden, und zwar in einem Zustand, der viel mehr auf Datenintelligenz beruht als vor 50 Jahren, zu einer Zeit, in der die reichsten Unternehmen der Welt hauptsächlich auf Daten und Wissen basieren. Man kann das in Ostasien, und bis zu einem gewissen Grad auch in Estland, in Finnland und anderswo sehen: was sie in Wirklichkeit tun, ist dem weit voraus, worüber die Professoren an Universitäten sprechen, die oft überhaupt keinen Sinn dafür haben.

    Ihre Vision ist die einer lernenden Gesellschaft, sowohl auf institutioneller als auch auf privater Ebene - die imstande ist sich an diese aufkommende Realität anzupassen und zu experimentieren und flink zu sein.

    Mulgan: Genau. Der Kern des zukünftigen Zustands ist die systematische Organisation des Lernens auf mehreren Ebenen - beginnend auf der Mikroebene einer Schule wie z.B. mit Lerngruppen, in denen Lehrer regelmäßig darüber nachdenken, was funktioniert und was nicht, und über neue Forschungsergebnisse diskutieren, die für sie relevant sein könnten. Das Äquivalent in Krankenhäusern sind Arbeitszentren und andere neue Einrichtungen, die Beweise synthetisieren, um die Funktionsweise öffentlicher Dienste zu verbessern. Die Regierungsträger sollten auch viel bewusster Lernübungen organisieren und kritisch hinterfragen, was funktioniert hat, was nicht, wann das Geld gut oder schlecht ausgegeben wurde. Und die Medien sollten ein nachdenklicher, kritischer Bestandteil dieses Lernsystems werden.

    Was würde das auf einer sehr makroökonomischen Ebene bedeuten?

    Mulgan: Ich versuche, die Vereinten Nationen dazu zu bringen, darüber nachzudenken, wie Wissen und Lernen, und nicht Geld, in den Mittelpunkt gestellt werden können. Die in den 1940er Jahren gegründeten Institutionen, die Weltbank und der IWF, machten deutlich, dass die Finanzen die globalen Institutionen und die Verhütung von Kriegen dominierten. Jetzt sollten wir ähnliche Organisationen des globalen Lernens haben.

    Finnland hat seit langem ein Komitee der Zukunft

    Sehen Sie all dies in einem Zusammenhang mit Ihrem Bestehen auf unser Bedürfnis nach neuen Wegen der sozialen Vorstellungskraft?

    Mulgan: Vieles, worüber ich spreche, ist Wahrheit - Wahrheit über Gegenwart und Vergangenheit, die Orchestrierung von Wissen und Wahrheit in neuen Formen, hauptsächlich als Commons. Das ist die wichtigste Einzelaufgabe unserer Zeit, denn wir stehen vor Feinden, die das Gegenteil tun wollen, in der Politik, in den Medien und manchmal auch in der Wirtschaft. Wir brauchen aber auch Vorstellungskraft - und dies hat unterschiedliche Organisationsprinzipien, weil es keine Wahrheit über die Zukunft gibt. Niemand weiß, was in 10 oder 20 Jahren passieren wird. Ich sehe diese als komplementär, aber verschieden.

    Man muss sich Veränderungen vorstellen können, um dies zu erreichen.

    Mulgan: Und das Problem unserer gegenwärtigen Regierungsführung ist, dass es darin nicht begabt ist. Es gibt einige Ausnahmen wie Finnland, welches seit langem ein Komitee der Zukunft hat. Singapur hat seine Vorausschau-Teams. Aber die meisten Demokratien sind fast nicht in der Lage, 20, 30, 40 Jahre in die Zukunft zu denken.

    Würden Sie sagen, dass Corona einerseits bestehende Fehler und Misserfolge von Gesellschaften aufdeckte und andererseits den Raum für Vorstellungskraft oder tatsächliche Veränderung eröffnete?

    Mulgan: Ich weiß es noch nicht. Ich denke, viele Menschen werden versuchen, die Krise mit ihren bestehenden Rahmenbedingungen zu interpretieren. Wenn sie Konservative sind, wird das ihre Ansichten beweisen, wenn sie Sozialdemokraten sind, wird es die Ansichten beweisen, die sie sowieso hatten. In einigen Teilen der Welt wird dies jedoch Innovationen und Veränderungen ermöglichen und beschleunigen. Es werden politische Führer benötigt, die in der Lage sind, die Bedeutung von allem zu verstehen. Und das ist das entscheidende fehlende Stück - politische Parteien und Führer, die diese

    Eine letzte Frage. Können Sie diesen Satz beenden: Für mich ist das persönlich, weil –

    Mulgan: – ich zwei Wochen vor dessen Schließung einer Universität beigetreten bin und Online gehen musste und unser gesamtes Arbeitsmodell sich geändert hat; weil in meiner Nachbarschaft die Krise eine Neuerfindung der horizontalen Unterstützungsstrukturen der Gemeinschaft erzwang, die ich noch nie zuvor gesehen habe; und weil meine Mutter morgen den Impfstoff bekommt.

    Geoff Mulgan ist Professor am University College London and Senior Advisor am THE NEW INSTITUTE

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    The New Institute ist eine Neugründung in Hamburg, deren Ziel die Gestaltung gesellschaftlichen Wandels ist. Von Herbst 2021 an werden hier bis zu 35 Fellows aus Wissenschaft, Aktivismus, Kunst, Wirtschaft, Politik und Medien gemeinsam leben und an konkreten Lösungen für die drängenden Probleme in den Bereichen von Ökologie, Ökonomie und Demokratie arbeiten. Gründungsdirektor ist Wilhelm Krull, akademische Direktorin für den Bereich der ökonomischen Transformation ist Maja Göpel. The New Institute ist eine Initiative des Hamburger Unternehmers und Philanthropen Erck Rickmers.

    Alle bisher erschienenen Teile der Serie finden Sie auf unserer Übersichtsseite.

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