Die malerische Kulisse hätte passender kaum sein können, als sich die Staats- und Regierungschefs der reichsten Industrienationen zum ersten Mal seit der Corona-Pandemie wieder persönlich begegneten. Tief im Westen des Königreichs startete Premierminister Boris Johnson am Freitag seine Charme-Offensive und begrüßte die Staatenlenker in der hermetisch abgeriegelten Bucht im Badeort Carbis Bay.
Auf der Agenda ganz oben: Die Folgen der Corona-Pandemie
Feiner Sand, türkis-blaues Meer, graue England-Wolken – bis Sonntag findet in Cornwall der G7-Gipfel statt, Gastgeber Johnson wollte sich als treibende Kraft auf der Weltbühne der Diplomatie präsentieren. Und die Erwartungen an die sieben reichsten Industrienationen sind hoch angesichts der aktuellen globalen Herausforderungen, die ganz oben auf der Agenda dieses von Masken und Abstandsregeln geprägten Gipfels stehen: die Folgen der Corona-Pandemie und die wirtschaftliche Erholung, zudem der Klima- und Artenschutz sowie die Stärkung gemeinsamer demokratischer Werte.
Während es für Merkel der letzte Gipfel als Kanzlerin bedeutet, ist es für Joe Biden der erste internationale als US-Präsident. Für die Deutsche sichtlich ein willkommener Wechsel vor dem Hintergrund ihrer Konflikte mit Vorgänger Donald Trump. Biden präsentiere und repräsentiere das Bekenntnis zum Multilateralismus, „das uns doch in den letzten Jahren gefehlt hat“, sagte Merkel. Gleichwohl wies sie darauf hin, dass das Eintreten für den wertebasierten Multilateralismus „natürlich auch zu einer Auseinandersetzung mit Russland, aber auch in einigen Aspekten mit China führen“ werde. Johnson sagte zum Auftakt der Konferenz, er sehe große Chancen für einen Wiederaufbau nach der Pandemie, warnte jedoch auch vor dem Risiko einer „bleibenden Narbe“, falls Ungleichheiten weiter bestünden.
Aktivisten fordern Aufhebung des Patentschutzes für Impfstoffe
Bereits vor der offiziellen Begrüßung gab die britische Regierung am Freitagmorgen bekannt, dass die G7-Gruppe ärmere Staaten mit einer Milliarde Impfdosen unterstützen will. Die USA wollen 500 Millionen Dosen, Großbritannien 100 Millionen Dosen und Deutschland rund eine Milliarde Euro für das Covax-Programm bereitstellen. Das Geld für den Kauf entspreche etwa 200 Millionen Dosen. Biden nannte das Paket „historisch“. Die bis 2022 geplante Hilfe solle sowohl durch die Verteilung als auch durch die Finanzierung von Vakzinen möglich werden. Man arbeite zudem an einem Plan, um die Impfstoffproduktion auszuweiten.
Für viele der in Cornwall verteilten Demonstranten geht der Schritt nicht weit genug. Nur wenige Kilometer entfernt von Carbis Bay kreierten Aktivisten am Strand von Newquay ein riesiges Sand-Kunstwerk mit den Konterfeis der Staats- und Regierungschefs. Mit der Aktion forderten sie, den Patentschutz aufzuheben. Dafür werben auch Biden und Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron, aber vor allem Deutschland und die EU-Kommission verwehren sich dagegen.
Während die Weltgesundheitsorganisation WHO den Vorstoß der G7 begrüßte, reagierten Hilfsorganisationen teils empört, teils enttäuscht auf die Spendenankündigung. Sie kritisierten die Summe als unzureichend. Es handele sich um „einen Tropfen auf den heißen Stein“, sagte die Chefin von Amnesty International, Agnès Callamard. Nicht nur sei das Vorhaben „ohne Ehrgeiz, sondern riecht auch nach Selbstinteresse“, vor allem wenn man die Zahlen bedenke, die darauf hindeuten, dass die G7-Länder bis zum Ende des Jahres drei Milliarden Extradosen an Überschuss haben werden. Wenn das alles sei, „muss dies als Fehlschlag gewertet werden“, sagte Jörn Kalinski von Oxfam.
Angela Merkel wurde von Joe Biden nach Washington eingeladen
Johnson hatte vorab versprochen, bis Ende des nächsten Jahres „die Welt zu impfen“. Das, so monierten Vertreter von mehreren Entwicklungsorganisationen, bedeute eine sehr lange Wartezeit für ungeimpfte Menschen in ärmeren Ländern. Insgesamt, so hieß es von Jane Halton, der Co-Vorsitzenden des Covax-Programms, seien elf bis zwölf Milliarden Dosen notwendig, um die gesamte Weltbevölkerung zu schützen. Bislang seien weltweit etwa 2,2 Milliarden verabreicht worden, und das zu mehr als drei Vierteln in nur zehn Ländern.
Den glanzvollen Auftritt überließ Bundeskanzlerin Angela Merkel zwar dem Gastgeber, der mit seiner Ehefrau Carrie bereits am Donnerstag US-Präsident Joe Biden, begleitet von seiner Frau Jill, empfangen hatte. Da schon gab es viele schöne Bilder von nach oben gereckten Daumen, man hörte lockere Sprüche und sah hübsche Sommerkleider im Rosamunde-Pilcher-Land – die Inszenierung klappte perfekt. Aber trotz der Vorab-Anstrengungen von Johnson war es Angela Merkel, die gestern als erste ausländische Regierungschefin eine Einladung von Biden ins Weiße Haus erhielt. Mitte Juli wird die Kanzlerin nach Washington reisen, wie eine Sprecherin bestätigte.
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