Ralph Brinkhaus versucht es mit Humor. „Wenn man sich auf eine Prüfung vorbereitet, die dann abgesagt wird, dann hat man natürlich die ein oder andere Enttäuschung“, sagt der Chef der Unionsfraktion im Bundestag mit einem Schmunzeln. Es geht um die Verschiebung des CDU-Parteitags – vor allem aber um den wuchtigen Rundumschlag, den der zum Warten verdammte Kandidat Friedrich Merz dieser Entscheidung folgen ließ.
Merz allein gegen das „Establishment“?
Im Gegensatz zu Brinkhaus war vielen CDU-Mitgliedern angesichts dieser Turbulenzen überhaupt nicht zum Lachen. Die Hoffnungen auf die friedliche Kür eines neuen Parteivorsitzenden haben sich in Luft aufgelöst. Von einem Krieg sprach ein CDU-Mann sogar, von drohender Spaltung ist die Rede. „Ich hätte nie gedacht, dass der Friedrich Merz so reagiert“, sagt ein Präsidiumsmitglied, nachdem der 64-Jährige sich am Montag auf allen Kanälen über die Entscheidung von Präsidium und Bundesvorstand echauffiert hatte, den Parteitag nicht wie geplant am 4. Dezember in Stuttgart abzuhalten.
Merz verstieg sich unter anderem zu der These, Teile des Parteiestablishments wollten ihn damit als neuen Vorsitzenden verhindern. „Ich halte meine Vermutung aufrecht, dass die Verlegung des Parteitages mit Corona wenig und mit anderen Erwägungen sehr viel zu tun hat“, sagte er im ZDF. Und im Interview mit der Welt nannte Merz den vermeintlichen Drahtzieher: Er habe „ganz klare, eindeutige Hinweise darauf, dass Armin Laschet die Devise ausgegeben hat: Er brauche mehr Zeit, um seine Performance zu verbessern.“
ArminLaschet straft den Rivalen Friedrich Merz mit Missachtung
Im Lager von Armin Laschet herrscht seitdem eine gewisse Ratlosigkeit. Soll man sich nun freuen, weil Merz mit seinem Verschwörungsvorwurf möglicherweise ein Eigentor geschossen hat? Oder soll man sich über die direkte Attacke auf Laschet empören? Es ist eine Mischung aus beidem. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident selbst lässt Merz ins Leere laufen. Keine Reaktion – die höchste Form der politischen Demütigung. Vor der Corona-Krisenkonferenz mit den anderen Regierungschefs an diesem Mittwoch hat Laschet Wichtigeres zu tun. Und genau hier liegt der wunde Punkt seines Rivalen. Merz hat nichts Wichtigeres zu tun.
Er hat keine Verantwortung, er kann sich nicht als Krisenmanager beweisen. Er kann sich nur Gehör verschaffen, wenn er die anderen übertönt. Während sich der Armin um das Land kümmert, kümmert sich Merz um sich selbst – auf der einen Seite der Teamplayer, auf der anderen die Ich-AG. So lästern die Laschet-Leute in Düsseldorf. Tiefenentspannt sind aber auch sie nicht. „Ich wäre ja gerne ein bisschen schadenfroh, aber dafür ist die Lage zu ernst. Mit einem solchen Verhalten zerlegt Merz ja nicht nur die eigenen Chancen, er riskiert auch, die ganze Partei zu zerlegen“, sagt einer, der Merz in herzlicher Abneigung zugetan ist.
Am Abend äußert sich Laschet dann doch noch. Merz mit Trump zu vergleichen, sei „völlig fehl am Platz“. Der 59-Jährige stellt aber auch klar: „Ich finde, wir müssen jetzt ruhig und besonnen bleiben.“ Jetzt, da man den Menschen viel zumute, könne es Parteitage mit 1000 Menschen nicht geben. Das sei „die einzige Motivation“ gewesen, die Veranstaltung abzusagen.
Auch in der CSU ist man nervös
Der Merz-Schmerz sorgt auch in der kleineren Schwesterpartei für Unruhe. Es sei eben so, dass nicht immer alles nach Plan laufe, wenn man sich um eines der höchsten politischen Ämter in Deutschland bewerbe. „Die Kunst, höchste Ämter zu bewältigen, ist doch, das Unerwartete zu beherrschen“, sagt CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, ohne Merz namentlich zu nennen. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder will auch kein Öl ins Feuer gießen: „Da ich nicht selber Teil des Establishments der CDU bin, halte ich mich da komplett raus“, sagt der CSU-Chef auf Nachfrage unserer Redaktion. Doch es ist kein Geheimnis, dass die Begeisterung in München über die Schlammschlacht in der Schwesterpartei recht überschaubar ist. Nicht erst seit dem turbulenten Machtwechsel von Horst Seehofer zu Söder weiß man in der CSU, dass offen ausgetragener Zoff an der Spitze viele Wähler abstößt.
Während man in der Union über die forschen Auftritte des Kandidaten Merz bislang eher hinter vorgehaltener Hand geredet hatte, sagen nun auch Parteifreunde offen, was sie davon halten. „Wer seine Bewerbung um den Parteivorsitz rhetorisch wie eine feindliche Übernahme betreibt, wird kaum Erfolg haben – kann aber zum Oskar Lafontaine der CDU werden“, warnt der Bundestagsabgeordnete Andreas Nick im Gespräch mit unserer Redaktion.
Unterstützung von der Werte Union, Spott auf Twitter
Ob sich Merz davon beeindrucken lässt? Er hält an seiner Forderung für einen Parteitag im Dezember fest. Die Entscheidung vom Montag könne man noch korrigieren. Auch eine digitale Veranstaltung schließt er nicht aus. Die wäre zwar möglich, die digitale Abstimmung über den Vorsitzenden allerdings ist nach Parteiengesetz nicht erlaubt. Eine Alternative wäre die Briefwahl, die sich aber über mindestens zwei Monate hinziehen könnte. Merz führt gegen eine Verschiebung des Parteitages auch ins Feld, dass die Amtszeit des jetzigen Vorstands auslaufe. Der Bundestag hatte allerdings Anfang des Monats Vorsorge getroffen und für Notlagen wie die Corona-Pandemie eine Regelung beschlossen, wonach Parteivorstände auch nach Ablauf ihrer Amtszeit bis zur Bestellung der Nachfolger im Amt bleiben können. Offene Unterstützung bekommt Merz immerhin von der erzkonservativen Werte Union. Ansonsten: eine Menge Spott, der sich etwa auf Twitter unter dem Kürzel #MerzVerhindern breit macht.
Fraktionschef Brinkhaus hofft, „dass sich der Frust in den nächsten Tagen legen wird und die Kandidaten dann wieder einen Prozess haben, der genauso friedlich und respektvoll ist, wie das in der Vergangenheit der Fall war“. Derzeit sieht es allerdings eher danach aus, als ob auch Brinkhaus bald der Humor ausgehen könnte.
Hat Friedrich Merz recht mit seiner Kritik? Da sind unsere Autoren geteilter Meinung. Lesen Sie hier das Pro und Kontra.
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