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Fridays for Future: Wie sich Chinas Greta Thunberg mit dem autoritären Staat anlegt

Fridays for Future

Wie sich Chinas Greta Thunberg mit dem autoritären Staat anlegt

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    Einer schaut dann doch – wenn auch wenig begeistert: Klima-Aktivistin Ou Hongyi im Einsatz in ihrer Heimatstadt Guilin.
    Einer schaut dann doch – wenn auch wenig begeistert: Klima-Aktivistin Ou Hongyi im Einsatz in ihrer Heimatstadt Guilin. Foto: Nicolas Asfouri/afp, Getty Images

    Schon nach einer halben Stunde schreitet der erste Polizist zur Tat. Verdutzt starrt er auf das bunte Pappschild, vor dem sich eine neugierige Menschentraube gebildet hat. „Systemwandel statt Klimawandel“ ist darauf zu lesen, ein im autoritären China unerhörter Schriftzug. Doch der Sicherheitsbeamte, der umgehend mit seinem Funkgerät einen Vorgesetzten informiert hat, scheint offensichtlich überfordert.

    Bei dem Störenfried hinter dem Plakat handelt es sich um ein 17-jähriges Mädchen mit Pferdeschwanz, Schlabbershirt und aufgeweckten Augen. Ob er schon mal vom Klimastreik gehört habe, möchte die selbstbewusste Aktivistin von der Autoritätsperson wissen. Ohne lange zu fackeln, verweist er sie ihres Platzes.

    „Ich kenne die Polizisten alle schon, die machen nur ihren Job“, sagt die Jugendliche wenige Minuten später. „Man muss sie respektieren und versuchen zu inspirieren.“ Was Greta Thunberg quasi für die Welt ist und Luisa Neubauer für Deutschland, ist Ou Hongyi für China. Mit dem Unterschied, dass Letztere ganz allein kämpft.

    Mit Rucksack, Thermoskanne und einer Menge Flugblätter und Plakaten ausgerüstet ist sie wie jeden Freitagabend in die Fußgängerzone von Yangshuo gezogen, einem südchinesischen Ferienort wie aus einem Reiseprospekt. Steile Karstberge, schlangenförmige Flussläufe und riesige Palmen säumen die Umgebung.

    Jeden Abend, wenn die Sonne hinter der Gebirgslandschaft verschwindet, versammeln sich die Touristenmassen im Zentrum der Kleinstadt. Hier reihen sich dampfende Garküchen neben Souvenirshops, vor einem Nachtclub werben junge Frauen in Elfenkostümen um Laufkundschaft, rotbeleuchtete Schilder preisen Fußmassagen an. Nahezu kein Tourist trägt eine Gesichtsmaske, die Pandemie scheint in Yangshuo weit weg.

    Das Konsumverhalten der Landsleute, das fehlende Problembewusstsein gegenüber der Klimakrise, all das mache sie ängstlich und treibe sie an, auf der Straße zu demonstrieren, sagt Ou Hongyi. Als sie den Dokumentarfilm „Eine unbequeme Wahrheit“ mit dem einstigen US-Vizepräsidenten Al Gore gesehen hat, habe sie das erste Mal realisiert, welche Auswirkungen die Erderwärmung für ganz normale Menschen bedeutet. „Die Klimakrise ist die größte Bedrohung für die menschliche Zivilisation“, sagt sie.

    Die meisten Passanten irgnorieren ihre Slogans zum Klimawandel

    Im vergangenen Frühling fing die Schülerin an, inspiriert durch Greta Thunberg, sich vor das Regierungsgebäude ihrer Heimatstadt Guilin zu stellen. Ein friedlicher Ein-Personen-Protest. Nur Ou Hongyi, ein Pappschild und eine Menge Geduld im Gepäck. Jeden Abend nach der Schule zog sie vor das vergitterte Gebäude. Die meisten Passanten ignorierten das Mädchen mit seinen Slogans über Klimawandel und globale Erwärmung.

    Am siebten Tag passierte das in China dann doch Unausweichliche: Mehrere Sicherheitsbeamte führten die Schülerin ab und brachten sie auf eine Polizeiwache. Vier Stunden lang verhörten sie Ou Hongyi, fragten sie nach ihren Motiven, schüchterten sie ein. Doch Ou Hongyi blieb stur. Dass sie für ihren Aktivismus eine mehrjährige Haftstrafe riskiert, nimmt sie in Kauf.

    Die schwedische Klima-Aktivistin Greta Thunberg ist das große Vorbild von Ou Hongyi .
    Die schwedische Klima-Aktivistin Greta Thunberg ist das große Vorbild von Ou Hongyi . Foto: Paul White/AP, dpa

    Noch vor wenigen Jahren wäre das Schicksal der chinesischen Klima-Aktivistin wohl in Vergessenheit geraten. Doch auf Twitter, das in China eigentlich verboten ist, lud die Jugendliche damals ein Foto von ihrer Protestaktion hoch. Wenige Tage später verbreitete Greta Thunberg höchstpersönlich den Tweet, bezeichnete die junge Chinesin als „echte Heldin“ und versprach: „Wir stehen alle hinter dir!“ Seither erreichen Ou Hongyi Medienanfragen vom britischen Guardian bis hin zum schwedischen Fernsehen. Nur in ihrem Heimatland kennt sie niemand.

    Am 25. September rief die „Fridays for Future“-Bewegung zum weltweiten Klimastreik auf. China bleibt, was das betrifft, so etwas wie ein weißer Fleck auf der Landkarte. Im autoritär regierten Land beschneidet die Kommunistische Partei ihre Zivilgesellschaft, die öffentliche Meinung wird durch strikte Zensur gelenkt. Ein Demonstrationsrecht gibt es in China nicht, kritische Artikel über umweltpolitische Vergehen der Regierung werden umgehend gelöscht. Die staatlichen Medien berichten auch praktisch nicht über „Fridays for Future“. Wer „Ou Hongyi“ in chinesische Suchmaschinen eintippt, findet so gut wie keine Treffer.

    China ist weltweit der größte Klimasünder, aber...

    Dabei gibt es durchaus auch in China Umweltorganisationen, Greenpeace beispielsweise hat eine Vertretung in Peking. Doch wer sich bei den NGOs umhört, erhält unter der Hand immer dieselbe Antwort: Seit Präsident Xi Jinping an der Macht ist, würden die Handlungsmöglichkeiten immer weiter eingeschränkt. In der Vergangenheit mussten etliche Veranstaltungen abgesagt werden, und bei Interviews mit ausländischen Journalisten halten sich die meisten Experten ausgesprochen bedeckt.

    Zwar hat Xi in seiner Umweltbilanz durchaus Erfolge vorzuweisen. Das Gesamtbild fällt jedoch eher ambivalent aus. Absolut gesehen ist die Volksrepublik mit einem Ausstoß von knapp zehn Milliarden Tonnen CO2 der weltweit größte Klimasünder, weit mehr als ein Viertel aller freigesetzten Klimagase gelangen von China aus in die Atmosphäre. Doch auf die Bevölkerungsgröße heruntergerechnet liegt der Verbrauch pro Kopf noch immer deutlich hinter den Vereinigten Staaten oder auch Deutschland.

    Smog in Peking – bis vor kurzem ein häufiges Bild. Doch die Umweltbelastung in der Millionen-Metropole ist nicht mehr ganz so dramatisch.
    Smog in Peking – bis vor kurzem ein häufiges Bild. Doch die Umweltbelastung in der Millionen-Metropole ist nicht mehr ganz so dramatisch. Foto: Wang Jilin/Zuma, dpa

    Beim jährlichen Klimaschutz-Index wiederum landet China mittlerweile immerhin im internationalen Mittelfeld auf Platz 30 – nur sieben Ränge hinter Deutschland. Denn das Reich der Mitte investierte zuletzt mehr in erneuerbare Energien als die USA, Japan und die Europäische Union zusammen. Etwa jede zweite Solarzelle weltweit wird in China verbaut. Selbst in der Hauptstadt Peking, deren Feinstaubbelastung noch vor wenigen Jahren für apokalyptische Straßenszenen sorgte, ist nun regelmäßig blauer Himmel zu sehen. Gleichzeitig jedoch baut China weiterhin neue Kohlekraftwerke – verstärkt in ländlichen Provinzen, fernab der Medienöffentlichkeit.

    Bei der jüngsten Generalversammlung der Vereinten Nationen schließlich hat Chinas Präsident einen energiepolitischen Paukenschlag angekündigt: „Unser Ziel ist es, dass der Ausstoß von Kohlendioxid vor 2030 den Höchststand erreicht und dass wir Klimaneutralität vor 2060 erreichen“, sagte der politische Führer der Volksrepublik. Erstmals also legt das weltweit bevölkerungsreichste Land mit dem höchsten CO2-Ausstoß einen zeitlichen Fahrplan zur schadstofffreien Zukunft vor.

    Schon bald stieß Ou Hongyi an ihre Grenzen

    Für Ou Hongyi reichen die Taten der chinesischen Regierung jedoch nicht aus. Ohne gesellschaftlichen Druck werde sich auch nichts ändern, sagt sie. Doch politische Fragen über ihren Staatspräsidenten möchte die junge Chinesin nicht diskutieren. Sie weiß, wo die roten Linien verlaufen in einem System, in dem regelmäßig Menschenrechtsanwälte und Bürgerrechtsaktivisten über Nacht verschwinden.

    Nach ihrem ersten Polizeiverhör hat sie intensiv die Bücher von Mahatma Ghandi gelesen, sich von seinem Konzept des zivilen Ungehorsams inspirieren lassen. In ihrer Schule patrouillierte sie regelmäßig in den Pausen durch die Klassenzimmer, um die Klimaanlagen auszuschalten. In der Kantine forderte sie, das Plastikbesteck sein zu lassen. Auch zuhause hat sie ihre Eltern dazu gedrängt, sämtlichen Einwegmüll aus dem Haushalt zu verbannen. Sie organisiert Klimaproteste, Dokumentationsfilmabende und Müll-Sammelaktionen. Wer die 17-Jährige interviewen möchte, muss zunächst versprechen, die elfstündige Fahrt von Peking aus mit dem Zug anzutreten.

    Es war nur eine Frage der Zeit, bis auch Ou Hongyi mit ihrem unbequemen Aktivismus an ihre Grenzen stieß. Ihre Schuldirektorin hat sie zu Beginn des Jahres vor die Wahl gestellt: Entweder gibt sie ihr Klima-Engagement auf oder sie wird von der Schule verwiesen. Hongyi entschied sich dafür, weiterzukämpfen.

    Fragt man sie nach Zukunftsängsten, antwortet sie dennoch nicht mit fehlenden Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt oder den ständigen Streitereien mit ihren verzweifelten Eltern. „Die Klimakrise ist es, die mir Angst macht. Sie wird eine unkontrollierbare Kettenreaktion auslösen, wenn wir nicht umgehend handeln“, sagt sie.

    Dann schießen der Klima-Aktivistin Tränen in die Augen

    Eine solche Kettenreaktion konnte die 17-Jährige im Sommer mit eigenen Augen beobachten. Die schlimmsten Fluten seit Jahren überschwemmten ihre Heimatprovinz Guangxi, wo die Wassermassen die Existenz von tausenden Landwirten zerstörten. Wenn Hongyi davon redet, schießen ihr noch heute Tränen in die Augen.

    An diesem feuchtschwülen Abend in der Fußgängerzone von Yangshuo gibt sie sich kämpferisch. Bis weit nach Mitternacht verteilt sie Informationszettel an interessierte Passanten und spricht über die Notwendigkeit erneuerbarer Energien. Sobald die Polizei kommt, rollt sie die Plakate zusammen, packt sie in ihren Rucksack und sucht nur wenige Straßenecken weiter ein neues Plätzchen.

    Einen festen Platz in der chinesischen Gesellschaft wird die Klimaschutz-Aktivistin wohl nie finden.

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