Im beginnenden französischen Präsidentschaftswahlkampf gibt es etliche Bewerberinnen und Bewerber, die um Aufmerksamkeit ringen – die Sozialistin und Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo gehört zu ihnen oder auch der rechtskonservative Ex-EU-Kommissar Michel Barnier. Ein Mann aber bestimmt bereits die Debatten, noch bevor er überhaupt offiziell seine Kandidatur erklärt hat: der Fernsehjournalist und Autor Éric Zemmour, den man in Frankreich gerne auch als „Polemist“ bezeichnet. Polemiken zu schaffen ist das große Talent des 63-Jährigen, der die Rechtsnationalistin Marine Le Pen rechts überholt.
Éric Zemmour würde französische Vornamen für Kinder zur Pflicht machen
So sagt er, es gebe keinen Unterschied zwischen Islam und Islamismus. Wer in Frankreich ein Kind zur Welt bringe, solle per Gesetz dazu gezwungen werden, diesem einen französischen Vornamen zu geben. Und in „philosophischer Hinsicht“ befürworte er die Todesstrafe. Der Einwanderung, die er als Frankreichs Hauptproblem sieht, ordnet er alle anderen Themen unter. Das kommt an.
Sollte Zemmour kandidieren, kann er neuen Umfragen zufolge mit bis zu 15 Prozent der Stimmen rechnen und läge nur noch knapp hinter Le Pen. Ohne Zemmour würde sie demnach bis zu neun Prozentpunkte mehr erreichen. Er könnte sie um den Einzug in die zweite Wahlrunde bringen. Auch den Republikanern, deren Kandidat noch nicht feststeht, droht er Stimmen wegzunehmen. Doch will der sogenannte „französische Trump“ wirklich antreten – oder geht es ihm nur um Werbung für sein neues Buch „Frankreich hat noch nicht sein letztes Wort gesprochen“?
Dass die Medien ausgiebig über seine Absichten rätseln, amüsiert ihn sichtlich. „Ich beobachte, ich analysiere, ich werde meine Entscheidung zu dem für mich idealen Zeitpunkt treffen“, stellte er in einem Interview mit dem Nachrichtensender CNewsklar. Bis vor kurzem moderierte Zemmour selbst eine Talkshow beiCNews – hier konnte der Sohn jüdischer Algerienfranzosen („Pieds-noirs“), die nach dem Algerienkrieg nach Frankreich kamen, seine Thesen verbreiten. Doch seit die oberste Rundfunk-Regulierungsbehörde entschied, dass seine Redezeit gezählt werden müsse, beendete der Sender die Zusammenarbeit. Denn es scheint immer offenkundiger, dass Zemmour eine Kandidatur vorbereitet.
Ist die Lese-Reise von Zemmour schon die erste Wahlkampftour?
Er hat sich ein Beraterteam zusammengestellt, sammelt Spenden, ließ Plakate mit der Aufschrift „Zemmour Präsident“ drucken. Derzeit tourt er durch das Land, offiziell um sein Buch vorzustellen. Die Auftritte wirken wie Wahlkampfveranstaltungen, bei denen seine Fans die Nationalhymne „Marseillaise“ anstimmen. Viele bewundern sein umfassendes Wissen über Frankreichs ruhmreiche Geschichte, auch wenn Historiker auf seine häufigen Verdrehungen hinweisen. Seine Fans stört es auch nicht, dass ihr Held bereits wegen Aufstachelung zum Rassenhass verurteilt wurde, unter anderem für die Behauptung, dass Arbeitgeber das Recht hätten, Araber oder Schwarze abzulehnen. Von afrikanischen Einwanderern sagte er pauschal, sie vergewaltigten und töteten Frauen, und vom früheren Nazi-Kollaborateur und Chef des französischen Vichy-Regimes, Philippe Pétain, dieser habe französische Juden „gerettet“. Solche Aussagen kämen Marine Le Pen nicht über die Lippen.
Die 53-Jährige bemüht sich seit Jahren um eine Entdämonisierung des früheren Front National, den sie in „Rassemblement National“ (nationaler Zusammenschluss) umbenannt hat, um einen Neuanfang zu markieren. Kürzlich sagte sie, der Islam sei vereinbar mit der Republik. Manchen ist sie längst zu soft. Auch ihr Vater, Parteigründer Jean-Marie Le Pen, kritisiert sie. „Marine hat ihre starken Positionen aufgegeben, und Eric besetzt den Platz, den sie verlassen hat“, sagte der 93-Jährige nun. Sollte Zemmour bessere Gewinnchancen haben, werde er ihn unterstützen.
Vor wenigen Tagen sprach Zemmour auf einer vom ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán organisierten Konferenz in Budapest, während Orbán Marine Le Pen stets auf Abstand hielt. Offiziell gibt sie sich gelassen; doch wenn sie vor einer Spaltung des nationalen Lagers warnt, ist ihre Nervosität spürbar. Einen dauerhaften Erfolg von Zemmour relativiert Frédéric Dabi vom Meinungsforschungsinstitut Ifop allerdings: „Die Präsidentschaftswahl ist ein Langstreckenlauf, gekreuzt mit einem finalen Sprint. Wenn er jeden Tag radikale Positionen äußert, kann das seine Glaubwürdigkeit beschädigen.“ Anders als Donald Trump hat Zemmour keine Partei hinter sich – und im Gegensatz zu Präsident Emmanuel Macron auch keine gegründet. Und es teilen auch längst nicht alle Franzosen seine Ideen.
Buchhändlerin hat sich kreative Form des Protests gegen Zemmour überlegt
Aurélie Bouhours, Besitzerin eines Buchladens im Städtchen Sully-sur-Loire, hat Zemmours neues Werk nur widerwillig aufgestellt. „Ich wollte es überhaupt nicht verkaufen. Aber meine Tochter sagte, dass es mir nicht zusteht, die Leute daran zu hindern, zu lesen oder sich zu informieren“, so Bouhours. Also bietet sie das Buch an, überweist die Einnahmen aber an einen Verein für Flüchtlingshilfe und hat auf die Exemplare ein Schild mit einem Zitat von Isaac Newton gestellt: „Die Menschen bauen zu viele Mauern und zu wenige Brücken.“