Fast vier Jahre ist es her, da traten zwei stolze Präsidenten Seite an Seite vor die Presse, während sich hinter ihnen als pompöse Kulisse für ihr Zusammentreffen das herrschaftliche Schloss von Versailles auftat. Dorthin hatte der frisch gewählte französische Staatschef Emmanuel Macron seinen russischen Amtskollegen Wladimir Putin eingeladen. Beide betonten die Bedeutung ihrer Zusammenarbeit bei Themen wie Terrorbekämpfung und internationale Konflikte. Der Wille zum Dialog war erkennbar.
„Mit allen über alles reden“ und somit den russischen Präsidenten einbinden, um Konflikte zu überbrücken – das war jahrelang Macrons Ansatz, von dem wenig übrig geblieben ist. So wie auch sein anfängliches Bemühen, den früheren US-Präsidenten Donald Trump zu umgarnen, angesichts ausbleibender konkreter Erfolge nachließ, so fordert er längst einen härteren Kurs gegen Putin, vor allem seit dem Versuch, den russischen Oppositionellen Alexei Nawalny zu vergiften, dessen fragwürdiger Verurteilung und dem brutalen Niederschlagen der Bürgerproteste. Von diesem Kurswechsel ist nun auch das Ferngasprojekt Nord Stream 2 erfasst.
Frankreich spricht sich gegen Nord-Stream-Fertigstellung aus
Europa-Staatssekretär Clément Beaune spricht sich inzwischen klar gegen dessen Fertigstellung aus und folgt damit den Vertretern osteuropäischer Länder, dem EU-Parlament und den USA: Man habe „die größten Bedenken gegen das Projekt unter diesen Bedingungen“, so der Macron-Vertraute Beaune. Neu sind diese Zweifel nicht, wohl aber ist es die Deutlichkeit, mit der sie geäußert werden. Kontroversen mit dem deutschen Partner, der weiter an Nord Stream 2 festhält, trägt Paris nur selten öffentlich aus. Bei der gemeinsamen Pressekonferenz, die Bundeskanzlerin Angela Merkel und Präsident Macron an diesem Freitag nach dem virtuellen deutsch-französischen Sicherheits- und Verteidigungsrat geben, dürfte die direkte Pipeline von Russland nach Deutschland durch die Ostsee zum Thema werden.
Beaune ließ auch durchblicken, dass sein Land diese immer kritisch gesehen hat – mit der Hauptbegründung, Russland könne Gaslieferungen als politisches Druckmittel einsetzen. Nun liefert der Umgang mit Nawalny weitere Argumente. Tatsächlich unterstützte Paris bereits vor zwei Jahren gegen den Willen Berlins die Verschärfung der Regeln für Pipelines aus Drittstaaten in die EU, die Nord Stream 2 direkt betraf. Der nächste Schritt ist nun der Appell zu einem kompletten Baustopp, obwohl der französische Energiekonzern Engie zu den fünf europäischen Unternehmen gehört, die daran beteiligt sind und bereits mehrere hundert Millionen Euro investiert haben.
Frankreich deckt seinen Energiebedarf aus Kernenergie
Doch dieses Engagement von Engie, an dessen Kapital der französische Staat zu knapp einem Viertel beteiligt ist, spielt offensichtlich eine untergeordnete Rolle. Tatsächlich braucht Frankreich, das mehr als 70 Prozent seines Strombedarfs aus Kernenergie bezieht, deutlich weniger Erdgas als der deutsche Nachbar. Das meiste Erdgas bezieht es aus norwegischen Gewässern. Auch verfügt das Land über eigene Flüssiggas-Anlagen.
Nicht zuletzt lässt sich die klar geäußerte französische Kritik an Nord Stream 2 als Annäherungsversuch an die neue US-Regierung unter Joe Biden deuten, von dem man sich wieder eine bessere Zusammenarbeit erhofft.
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