Europa atmet auf. Dem alten, krisengeschüttelten Kontinent bleibt der Albtraum einer rechtsextremen französischen Präsidentin erspart. Eine Wahl Marine Le Pens, die raus will aus der EU und gegen Deutschland hetzt, hätte die Europäische Union wenn schon nicht zerstört, so doch in Chaos und Siechtum gestürzt. Entsprechend groß ist auch hierzulande die Erleichterung – und die Begeisterung über jenen jungen Mann, der Le Pen geschlagen hat und ohne den Rückhalt einer Partei an die Spitze der Grande Nation gelangt ist.
In Emmanuel Macron, dem gerade mal 39 Jahre alten Proeuropäer, ruhen nun alle Hoffnungen auf eine Erneuerung und wirtschaftliche Erholung Frankreichs. Und weil ja Le Pen auf eine neue Chance lauert und Macron nach Jahren reformerischen Stillstands vor einer Herkulesaufgabe steht, fliegen dem Nachfolger des unglücklichen Monsieur Hollande nicht nur die Herzen der meisten Deutschen zu. Man will ihm auch tüchtig unter die Arme greifen, damit Frankreich auf die Beine kommt und das Gespenst des Rechtspopulismus dauerhaft verscheucht wird.
Politiker in Berlin und Brüssel wollen Macron unter die Arme greifen
In Berlin und in Brüssel, dem Zentrum der EU, kann sich der bekennende Europäer Macron nicht nur großen Wohlwollens, sondern auch großer Hilfsbereitschaft sicher sein. Sogar die Kanzlerin, die mächtigste Frau Europas, zählt zu den Bewunderern Macrons und glaubt, dass der gelegentlich stotternde deutsch-französische Motor nun wieder auf Touren kommen könnte. Was aber verbirgt sich genau hinter dem Begriff von der „Hilfsbereitschaft“, und was führt Macron in seiner Europapolitik tatsächlich im Schilde? Die deutsche Sozialdemokratie kommt dem Sozialliberalen schon jetzt, da die Pläne Macrons noch gar nicht ausformuliert sind, ziemlich weit entgegen. Außenminister Sigmar Gabriel dringt auf eine „weichere Finanzpolitik“ und „mehr Geld für Europa“, um die Investitionen anzukurbeln und die hohe Arbeitslosigkeit in Ländern wie Frankreich abzubauen. Es müsse Schluss sein mit dem „erhobenen Zeigefinger“ und der Sparpolitik Merkels; die Defizit-Kriterien des Maastrichter Vertrags sollten flexibler ausgelegt werden. Konkret heißt das: Macron soll (noch) mehr Schulden machen dürfen, obwohl Frankreich seit Jahren die gemeinsam beschlossene Obergrenze reißt.
Man darf vermuten, dass die SPD überwiegend hinter dieser Linie Gabriels steht und der Kanzlerkandidat Martin Schulz die Dinge genauso sieht. Schulz hat ja wiederholt die „Austeritätspolitik“ Merkels verurteilt und einen moderateren Umgang mit den Schuldensündern im Süden Europas angemahnt. Gut in Erinnerung ist auch, dass Schulz in seiner Brüsseler Zeit für Eurobonds plädierte – die gemeinsame Aufnahme von Schulden also, für die dann alle Staaten gemeinsam zu haften haben. Merkel und die CDU/CSU schließen Eurobonds kategorisch aus. „Solange ich lebe“, hat Merkel gesagt, werde es keine Eurobonds geben.
Die Zusammenarbeit mit dem neuen Präsidenten könnte schwierig werden
Die Zusammenarbeit mit Macron dürfte sich schwieriger gestalten, als es in der Stunde überschwänglichen Lobs für Macron erscheint. Denn nach allem, was über dessen mittelfristige Pläne für den Umbau der Eurozone und der EU bekannt ist, stehen die Überlegungen des Präsidenten in einem krassen Widerspruch zu der bisherigen Finanz- und Europapolitik Deutschlands. Im Instrumentenkasten Macrons stecken nicht nur die Eurobonds, sondern auch eine gemeinsame Arbeitslosenversicherung und eine gemeinsame Einlagensicherung der Banken. Und dann ist da die Idee von einem europäischen Finanzminister, der mit einem eigenen Budget Geld verteilt und ein eigenes Euro-Parlament zur Seite gestellt bekommt.
Die EU-Kommission, die ja noch immer von „mehr Europa“ und einer „Vertiefung der Union“ träumt, denkt in eine ähnliche Richtung. Dass Länder wie Italien, Griechenland und Spanien in diesen Fragen hinter Frankreich stehen, ist klar: Dies alles liefe ja auf eine Vergemeinschaftung von Lasten und Haftungen hinaus – auf Kosten des mit hoher Bonität ausgestatteten, zahlungskräftigen Deutschland. Und der Reformdruck, den Angela Merkel mit ihrer Sparpolitik aufrechtzuerhalten versucht, wäre mit der Einführung einer lupenreinen Transferunion spürbar gelindert. Der deutsche Steuer- und Beitragszahler hätte für die Schuldenunion geradezustehen.
Mit einem raschen Abmarsch in diese Richtung ist nicht zu rechnen, weil solch tief greifende Veränderungen eine Änderung der EU-Verträge voraussetzen und sich Merkel und ihre europäischen Verbündeten darauf nicht einlassen werden – schon um ihres politischen Überlebens willen. Noch mehr Kompetenzen und noch mehr Geld für Brüssel, noch mehr Umverteilung von Steuergeld zugunsten südlicher Länder, weniger Rechte für nationale Parlamente: Das ist in Deutschland nicht sehr populär.
Macron wird womöglich eine Aufweichung der Stabilitätskriterien erzwingen
Allerdings wird die Druckkulisse, die Macron im Bunde mit Juncker, Renzi & Co. aufbauen und mit der dringend nötigen Reform der heute teils handlungsunfähigen EU koppeln wird, eine gewisse Kompromissbereitschaft erzwingen. Das bedeutete dann eine weitere Aufweichung der Stabilitätskriterien, mehr Spielraum für neue Schulden und eine jener gemeinsamen Investitions-Offensiven, mit deren Hilfe man auch die hohen deutschen Außenhandelsüberschüsse eindämmen will.
Auf die Unterstützung der SPD kann Macron zählen. Und weil Merkel und Schäuble um der deutsch-französischen Kooperation willen zur Hilfe bereit sind, läuft das wohl zunächst auf Abstriche an der Sparpolitik und auf einen Investitionsfonds hinaus, der Projekte zum Abbau der Arbeitslosigkeit in Frankreich finanziert.
Bis zur Bundestagswahl im Herbst wird nicht viel passieren. Ehe Macron die Hilfe der anderen einfordert, muss er im eigenen Land liefern und Reformen anpacken. Wie viel er anschließend an (bedingungsloser) Unterstützung aus Deutschland erhält, hängt davon ab, wer in der neuen deutschen Regierung das Sagen hat.
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