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Frankreich-Wahl 2017: Paris ist immun gegen Marine Le Pen

Frankreich-Wahl 2017

Paris ist immun gegen Marine Le Pen

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    Der Wahlkampf in Frankreich geht in die zweite, entscheidende Runde: Marine Le Pen und Emmanuel Macron liefern sich ein schonungsloses Duell.
    Der Wahlkampf in Frankreich geht in die zweite, entscheidende Runde: Marine Le Pen und Emmanuel Macron liefern sich ein schonungsloses Duell. Foto: Eric Cabanis, afp

    Sonia hält ein Plakat hoch, auf dem ein Bild des grimmig dreinblickenden Jean-Marie Le Pen prangt, des Gründers und langjährigen Chefs des Front National. Umgeben wird sein Gesicht von der blonden Frisur, die dessen Tochter und Nachfolgerin Marine Le Pen charakterisiert. Die Fotomontage soll zeigen: Selber Name, selbe Partei, selbe Ideologie – auch wenn sich die Präsidentschaftskandidatin inzwischen von ihrem offen antisemitischen und rassistischen Vater distanziert hat und sich als moderne Rechtspopulistin präsentiert. „Wir widersetzen uns dem

    Die spontan gegründete Gruppe organisiert Demonstrationen und lädt dazu ein, die sozialen Netzwerke mit Argumenten gegen die Ideen der Rechtspopulistin zu füllen. Die Aktionen finden in Paris statt, es beteiligen sich überwiegend jüngere, gut ausgebildete Leute. Ein Zufall ist das nicht. Denn in der französischen Hauptstadt wie auch den meisten anderen Metropolen hat der Front National einen schweren Stand. Gerade einmal 4,99 Prozent der

    Auch in Lyon, Bordeaux und Toulouse landete die Rechtspopulistin weit abgeschlagen auf dem fünften Platz. In größeren Städten konnte die 48-Jährige nur punkten, wenn sich diese in ihren traditionellen Hochburgen befinden – wie Marseille und Nizza im Südosten und in etwas abgeschwächter Form im nordfranzösischen Lille. Dafür erzielte Le Pen starke Ergebnisse in den ländlichen Gegenden und kleinen Städten: Je weiter ein Ort von einem Regionalzentrum entfernt ist, desto höher war der Stimmanteil des Front National. Mehr als 30 Prozent erreichte er oft in der Provinz.

    „Viele meiner Nachbarn wählen Marine Le Pen und sagen das auch ganz offen“, sagt die Psychologin Marie-Christine Théry aus einem Dorf in der Oise, nordöstlich von Paris. „Unser Ortszentrum stirbt aus, die Läden schließen und es gibt nicht einmal mehr eine Post. Die Leute fühlen sich alleingelassen, lehnen die Politiker-Klasse ab und wollen sie abstrafen.“

    Weit weg erscheint hier diese elitäre „Kaste“, wie Le Pen sie nennt, die überwiegend in eigenen Zirkeln in Paris verkehrt. Verkörpert wird sie von Macron, dem Absolventen von Elitehochschulen, ehemaligen Investmentbanker und früheren Wirtschaftsminister von François Hollande. Der 39-Jährige aus gutbürgerlichem Elternhaus geht mit einem spielerischen Selbstbewusstsein durchs Leben, das gerade diejenigen provoziert, die sich nicht auf der Sonnenseite fühlen.

    Positionen von Macron

    Einwanderung: Macron will lokale Integrationsprogramme schaffen. Am aktuellen Flüchtlingskurs will er festhalten. Asylanträge sollen in höchstens sechs Monaten bearbeitet werden.

    Europa: Der Ex-Wirtschaftsminister will die Eurozone in einer engen Partnerschaft mit Deutschland reformieren. Die Eurozone soll einen eigenen Haushalt, ein Parlament und einen Finanzminister bekommen.

    Sicherheit: Er will 10.000 neue Polizisten einstellen und 15.000 Gefängnisplätze schaffen. Und er plant, die Arbeit der Geheimdienste im Kampf gegen die Terrormiliz IS zu bündeln.

    Wirtschafts-/Sozialpolitik: Der Ex-Wirtschaftsminister will das Land wettbewerbsfähiger machen, 120.000 Stellen im Öffentlichen Dienst abbauen und in fünf Jahren 60 Milliarden Euro einsparen

    Präsidentschaftswahl in Frankreich: Macron gegen Le Pen

    Le Pen hingegen trifft einen Nerv mit ihren Warnungen vor der „zügellosen Globalisierung“, der unlauteren Konkurrenz aus anderen europäischen Staaten und den offenen Grenzen, die „die Flüchtlinge der Immigrationskanzlerin Merkel“ und damit potenzielle Terroristen durchließen. Sie verspricht, die Wirtschaft mit protektionistischen Maßnahmen zu stärken und Frankreich „wieder in Ordnung zu bringen“. Das Versprechen alleine genügt vielen, die den Experten längst nicht mehr zuhören. Fast unisono warnen diese davor, dass Le Pens Vorschläge von einem Verlassen der Eurozone bis hin zu einer kaum finanzierbaren Erhöhung etlicher Sozialleistungen genau das Gegenteil zur Folge hätten: eine massive Schwächung der französischen

    Positionen von Le Pen

    Einwanderung: Die Rechtspopulistin will die Einwanderung drastisch einschränken und die Bedingungen des Asylrechts verschärfen. Wer illegal nach Frankreich kommt, soll keine Chance auf Legalisierung und Staatsbürgerschaft haben.

    Europa: Sie will die Euro-Währung verlassen und raus aus dem Schengen-Raum, der Reisen innerhalb der EU ohne Grenzkontrollen ermöglicht. Außerdem verspricht sie ein Referendum über die EU-Mitgliedschaft Frankreichs.

    Sicherheit: Sie fordert die Ausweisung von ausländischen Straftätern und Menschen, die von Behörden als islamistische Gefährder eingestuft werden. Zudem plant Le Pen die Einstellung von 15.000 Polizisten und 40.000 neue Gefängnisplätze.

    Wirtschafts-/Sozialpolitik: Sie will zur Rente mit 60 statt 62 zurückkehren und weniger Steuern für Geringverdiener. Produkte von Firmen, die Fabriken ins Ausland verlagern, sollen mit 35 Prozent besteuert werden.

    Von einem zerrissenen Land, ja von „zwei Frankreichs“ war nach der ersten Wahlrunde die Rede. Große Unterschiede kristallisierten sich heraus – regional und strukturell, aber auch hinsichtlich der Wählerprofile. Besonders gut kommt Macron bei Frauen, Senioren, Studenten und den finanziell Bessergestellten an. Le Pen wiederum hat die weniger gut qualifizierten Arbeiter und Angestellten, Arbeitslose und Landbewohner hinter sich.

    Der Meinungsforscher Martial Foucoult, Direktor des Forschungszentrums Cevipof, sieht allerdings weniger eine geografische oder soziokulturelle Spaltung des Landes oder jene in Globalisierungsgewinner und -verlierer.

    Denn das Votum der Menschen hänge nicht nur von deren Einkommen oder jeweiligem Wohnort ab. Auf Basis der Ergebnisse einer regelmäßigen Befragung von 20.000 Wählern über mehrere Monate hinweg teilt Foucault die Franzosen in Optimisten und Pessimisten ein: „Der Front National bekommt nicht nur die Stimmen der Unterschicht, sondern auch der unglücklichen und unzufriedenen Klassen. Macron ist nicht einfach nur der Kandidat der Reichen, sondern auch der Zuversichtlichen.“ So gehörten die Menschen in der Mittelmeerregion und im Nordosten des Landes zu den pessimistischsten und fürchteten besonders stark die Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen, während jene in Macrons Hochburgen wie der Hauptstadtregion und dem Landeswesten von der Bretagne bis zum Baskenland überdurchschnittlich positiv in die Zukunft blickten.

    Der französische Präsidentschaftskandidat Emmanuel Macron und seine Frau Brigitte.
    Der französische Präsidentschaftskandidat Emmanuel Macron und seine Frau Brigitte. Foto: Christophe Ena, dpa

    Generell seien die Franzosen ihrer Berufspolitiker überdrüssig, so Foucault: Gerade einmal zwölf Prozent vertrauen Parteien, auch die Medien erscheinen nur 22 Prozent der Menschen noch glaubwürdig. So schafften erstmals die Vertreter der beiden traditionellen Volksparteien nicht die Qualifizierung in die Stichwahl – das komme einem Erdbeben der politischen Landschaft gleich, erklärt Foucault.

    Der rasante Aufstieg Macrons, der noch nie in ein politisches Amt gewählt wurde und vor drei Jahren noch ein weitgehend Unbekannter war, zeigt für Foucoult exemplarisch den Wunsch nach Erneuerung: Ein wichtiges Element sei die vertikale Organisation von Macrons Partei „En marche!“ („Vorwärts!“).

    Allerdings ist der 39-Jährige weit davon entfernt, echte Begeisterungswellen auszulösen. Fast die Hälfte der Stimmberechtigten sagen laut Umfragen, er sei ihnen unsympathisch. 60 Prozent der Franzosen, die ihn wählen wollen, tun das nicht aus Begeisterung für Macron oder sein Programm, sondern in erster Linie, um Le Pen zu verhindern. Das gilt auch für Sonia: „Man muss keine ,Macronistin‘ sein, um eine rechtsextreme Präsidentin verhindern zu wollen.“

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