Von den Staatspräsidenten Frankreichs und der Türkei ist bekannt, dass sie gerne verbal provozieren, und auch, dass sie schon länger miteinander über Kreuz liegen. Trotzdem erschüttert das Niveau, das die Scharmützel zwischen Recep Tayyip Erdogan und Emmanuel Macron zuletzt erreicht haben, so sehr, dass nicht nur der deutsche Außenminister Heiko Maas von einem „neuen Tiefpunkt“ spricht.
Erdogan ruft Türken zu Boykott von Produkten aus Frankreich auf
„Was ist das Problem dieser Person namens Macron mit den Muslimen und dem Islam?“, echauffierte sich Erdogan am Wochenende. „Macron sollte seinen geistigen Zustand überprüfen lassen.“ Der französische Präsidentschaftspalast nannte die Worte „inakzeptabel“. Frankreich zog seinen Botschafter aus der Türkei ab – ein außergewöhnlicher Vorgang. Am Montag legte Erdogan nach und rief seine Landsleute dazu auf, keine französischen Produkte zu kaufen. Muslime seien in Europa einer „Lynchkampagne“ ausgesetzt.
Auslöser war eine Rede Macrons bei der Trauerfeier für den französischen Lehrer Samuel Paty, der Mitte Oktober von einem Islamisten ermordet wurde, nachdem er Mohammed-Karikaturen im Unterricht gezeigt hatte. „Wir werden die Freiheit verteidigen, wir werden nicht auf Karikaturen verzichten“, betonte der Präsident, der den „islamischen Separatismen“ den Kampf ankündigte. Dazu gehört auch der Beschluss, dass Imame künftig im Land selbst ausgebildet statt aus dem Ausland geschickt werden sollen. Nachdem von den derzeit rund 300 Wanderpredigern rund die Hälfte aus der Türkei stammt, droht diese an Einfluss zu verlieren.
Macron hält strikte Trennung von Kirche und Staat hoch
Während Macron den Laizismus, die strikte Trennung von Kirche und Staat hochhält, betreibt Erdogan die Abkehr von diesem Prinzip, obwohl es unter Staatsgründer Kemal Atatürk als eine der Säulen der modernen Türkei galt. Mehr noch, Erdogan will sich als weltweiter Verteidiger unterdrückter Muslime profilieren. Die Pariser Regierung kritisiert, dass im Gegensatz zu anderen Islamischen Staaten die Türkei den terroristischen Mordanschlag auf den Lehrer nicht verurteilt habe.
Zwischen beiden Ländern brodeln schon länger zahlreiche Konfliktherde. Dazu gehören der Syrien-Krieg mit dem militärischen Vorgehen der Türkei gegen die kurdischen Kämpfer, ihre Rolle beim Krieg in Bergkarabach sowie der Gasstreit im östlichen Mittelmeer. Im Sommer verstärkte Frankreich dort seine Militärpräsenz und stellte sich demonstrativ an die Seite Griechenlands und verkaufte dem Land 18 größtenteils gebrauchte französische Rafale-Kampfflugzeuge.
Tatsächlich sind die franko-türkischen Beziehungen seit Jahren angespannt. Als Provokation empfand die Türkei 2001 die Anerkennung des Genozids an den Armeniern durch Frankreich, wo die europaweit größte armenische Diaspora lebt. Nach seiner Wahl 2007 erteilte Ex-Präsident Nicolas Sarkozy einem möglichen EU-Beitritt der Türkei, der damals noch diskutiert wurde, eine klare Absage.
Im Sommer kam es zu einem kritischen Zwischenfall
Das Misstrauen wuchs weiter unter Macron, der zur verbalen Eskalation beitrug, etwa indem er Ankara eine „historische und kriminelle Verantwortung“ im Libyen-Konflikt bescheinigte. Im Sommer kam es zu einem gefährlichen Zwischenfall, als türkische Kriegsschiffe, die trotz des Embargos offenbar einen Waffentransport nach Libyen begleiteten, eine französische Fregatte ins Visier nahmen. Auch Macrons Aussage von November 2019, die Nato sei „hirntot“, soll in Teilen eine Kritik an der fehlenden Bündnistreue des Nato-Partners Türkei gewesen sein. Erdogans Erwiderung in bekannter Manier: „Lass deinen eigenen Hirntod überprüfen.“
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