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Frankreich: Polizistenmord in Paris: Was wusste der Innenminister?

Frankreich

Polizistenmord in Paris: Was wusste der Innenminister?

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    Frankreichs Innenminister Christophe Castaner (Mitte) geriet nach den neuen Erkenntnissen über den Messerattentäter von Paris in Erklärungsnot.
    Frankreichs Innenminister Christophe Castaner (Mitte) geriet nach den neuen Erkenntnissen über den Messerattentäter von Paris in Erklärungsnot. Foto: Kamil Zihnioglu, dpa

    Nach neuen Enthüllungen über den Mann, der bei einer Messerattacke am Donnerstag in der Polizei-Hauptdienststelle von Paris vier Menschen ermordet und eine Frau schwer verletzt hatte, geraten die französische Regierung und Innenminister Christophe Castaner zunehmend unter Druck. Der Vorwurf steht im Raum, dass bewusst Informationen über die religiöse Radikalisierung des Attentäters Mickaël Harpon zurückgehalten wurden, der seit 2003 als IT-Spezialist im Hochsicherheitsbereich des Polizei-Geheimdienstes gearbeitet hatte (mehr dazu).

    Sieben Minuten hatte sein mörderischer Gang durch das Präfektur-Gebäude gedauert, bis ihn ein 24-jähriger Praktikant erschoss, der erst seinen sechsten Tag bei der Polizei hatte. Er sei völlig unauffällig gewesen, hatte es zunächst über Harpon geheißen. „Wir haben keinen Hinweis auf eine eventuelle Radikalisierung“, sagte Regierungssprecherin Sibeth Ndiaye in einer ersten Reaktion. Dass er vor 18 Monaten zum Islam konvertiert sei, mache ihn ja noch nicht automatisch verdächtig. Es habe „nicht das geringste Warnsignal“ gegeben, versicherte auch Innenminister Castaner. Vielmehr sickerte aus dem Verhör von Harpons Ehefrau durch, dass dieser in der Nacht zuvor Stimmen gehört habe. Das wies auf psychische Probleme hin, zumal er in seiner Arbeit frustriert gewesen sein soll und unter seiner Hörbehinderung litt. Inzwischen kam aber heraus, dass Harpon einem Kollegen zufolge den blutigen Terror-Anschlag auf das Satiremagazin Charlie Hebdo 2015 gerechtfertigt haben soll. Das erstaunt umso mehr, da der Mann in einer Abteilung des französischen Nachrichtendienstes arbeitete, die für den Kampf gegen den radikalen Islam zuständig ist.

    „Natürlich gab es Schwachstellen“, räumte Castaner am Sonntag kleinlaut ein. Aber er habe davon nichts gewusst. Bereits vor rund zehn Jahren soll Harpon in Wahrheit zum Islam konvertiert sein. Der 45-jährige Vater zweier Kinder, der von der französischen Karibikinsel Martinique stammte, besuchte eine umstrittene Moschee in seinem Wohnort Gonesse, hatte Kontakte zu Mitgliedern der salafistischen Szene und eine „radikale Sicht auf die Religion“, sagte Jean-François Ricard, Chef der Anti-Terror-Abteilung der Pariser Staatsanwaltschaft bereits auf einer Pressekonferenz am Samstag.

    Rechtspopulistin Le Pen spricht von Staatsskandal

    Die Staatsanwälte hatten am Freitagabend die Ermittlungen aufgenommen. Seitdem fragen sich viele Franzosen: Warum erst so spät? Man habe zunächst die notwendigen Untersuchungen durchführen müssen, hieß es aus dem Büro des Premierministers Édouard Philippe. Er kündigte verschärfte Kontrollen in allen Geheimdiensten an, die an der Terrorismusbekämpfung beteiligt sind, und sprach Castaner, der Präsident Emmanuel Macron nahesteht, sein Vertrauen aus. Castaner habe gesagt, was zu dem Zeitpunkt bekannt gewesen sei. Die Opposition hingegen fordert bereits den Rücktritt des Innenministers, der in dieser Woche Parlamentariern Rede und Antwort stehen soll.

    „Ist es Inkompetenz? Vertuschung?“, fragte der republikanische Abgeordnete Guillaume Larrivé. Rechtspopulistin Marine Le Pen sprach von einem Staatsskandal und forderte eine parlamentarische Untersuchungskommission. Staatsanwalt Jean-François Ricard geht inzwischen davon aus, dass Harpon seine Morde geplant hat. Die Autopsien der Todesopfer ergaben, dass er diese mit „extremer Gewalt“ ausführte. Eine halbe Stunde, bevor er zwei Messer kaufte und zur Tat schritt, hatte er 33 SMS mit seiner Frau ausgetauscht, die laut Ricard „ausschließlich religiösen Charakter“ hatten und mit „Allahu Akbar“ („Gott ist groß“) endeten. Die 38-jährige gebürtige Marokkanerin befindet sich in Untersuchungshaft. Auch sie ist muslimischen Glaubens; vor zehn Jahren strengte sie ein Verfahren wegen Gewalt in der Ehe gegen ihren Mann an, das aber wieder eingestellt wurde.

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