Forderungen für mehr Klimaschutz gibt es schon lange. Was ist nun anders?
Dr. Christian Hof: Das Wissen ist längst da, Erkenntnisse zum Klimawandel gibt es schon seit Jahrzehnten – über den Rückgang des Eises in Gebirgen und an Polen, über Ozeanversauerung und den Anstieg des Meeresspiegels. In dem Papier sind nun alle zentralen Indikatoren zusammengefasst und ganz klar dargestellt – auch Folgen, die bereits eingetreten sind.
Beeindruckend ist auch, dass weltweit mehr als 23.000 Wissenschaftler die Warnung unterzeichnet haben.
Hof: Es ist eine sehr große Zahl von Kolleginnen und Kollegen, das wird der Dramatik der Lage aber nur gerecht. Bei den Scientists for Future sind ähnlich viele organisiert. Wir als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind einfach Teil der Gesellschaft. Wenn Indikatoren klar zeigen, dass eine Katastrophe ansteht, haben wir die moralische Verantwortung, hierauf hinzuweisen, wie die Autorinnen und Autoren zu Beginn ihres Papiers betonen. Dieses Bewusstsein ist gewachsen.
Zuvor gab es eher einzelne Mahner, nun warnen viele. Wie kam es dazu?
Hof: Die Lage ist tatsächlich dramatischer geworden. Der Klimawandel und seine Folgen für die Menschen sind immer deutlicher im Alltag zu merken – sei es bei einem starken Hitzesommer wie 2018 im eigenen Garten oder bei Dürre und Wassermangel im Urlaubsort. Damit reicht das Thema viel stärker ins Bewusstsein, es bewegt die Leute sehr und erfährt zurecht konstant Aufmerksamkeit in den Medien.
Wird die Wissenschaft dabei nicht zu politisch?
Hof: Die Frage ist, inwieweit wir verantwortlich sind, aufzuzeigen, was getan werden muss. Die Autorinnen und Autoren benennen alle Stellschrauben, die betätigt werden müssen, um wirksamen Klimaschutz voranzubringen. Aber wir können der Politik nicht die Verantwortung für die Maßnahmen und ihre Umsetzung abnehmen.
Besteht aus Ihrer Sicht diese Gefahr?
Hof: Beim Klimapaket der Bundesregierung hieß es: Die Erwartungen der Wissenschaft waren so hoch, dass wir sie nur enttäuschen konnten. Aber ich sage: Das lag nicht an den Erwartungen, sondern an den Inhalten. Die Maßnahmen sind wahrscheinlich weitgehend unwirksam. Und dazu sozial ungerecht. Das ist dann auch eine Kritik, die Wissenschaft und Bürger äußern dürfen und müssen.
Um noch stärker auf den Klimawandel aufmerksam zu machen, verwenden Wissenschaftler nun Formulierungen vom „Klima-Notstand“, die nicht gerade wissenschaftlich-nüchtern klingen. Wie weit ist das vertretbar?
Hof: Wir Wissenschaftler können bei der Verklausulierung von Tatsachen bleiben, das verstehen nur wenige. Wir können die Dinge aber auch beim Namen nennen. Schon jetzt ist das Klima aus den Fugen geraten. Ich finde, man darf dazu eine in der Sache klare, aber drastische Wortwahl bemühen. Wenn es weiter so geht wie bisher, wird das für uns katastrophale Folgen haben. Wenn ein Tsunami kommt, wird auch erwartet, dass die Experten rechtzeitig und eindeutig warnen. In der Klimadebatte geht es zwar um andere Zeitabstände. Doch wenn wir etwas ändern wollen, müssen wir allerspätestens jetzt anfangen.
Auch von „unsäglichem menschlichen Leid“ ist in der Warnung die Rede. Was bedeutet das konkret?
Hof: Wir in Mitteleuropa werden die Folgen nicht ganz so ausgeprägt und unmittelbar erfahren. Hitzesommer machen uns auch hier zu schaffen, doch in anderen Weltregionen geht es den Menschen schon jetzt weitaus schlechter. In Asien und Afrika wird es noch schwerere und häufigere Dürren und Überflutungen geben. Wenn der Meeresspiegel bis zum Ende des Jahrhunderts nur einen halben Meter ansteigt, bedeutet dies wohl die Umsiedlung von vielen Millionen Menschen. Auch die Frequenz von Waldbränden wie kürzlich in Kalifornien wird höher. Das ist natürlich menschliches Leid!
Wie wird sich die Katastrophe, von der Sie sprechen, auf uns auswirken?
Hof: Beispielsweise wird sich das Leid anderer womöglich in globalen Migrationsströmen zeigen, die uns in Europa und Deutschland erreichen. Es werden sich weit mehr Menschen auf den Weg machen als etwa 2015. Das stellt uns vor enorme politische Herausforderungen.
Zeigt sich Klimawandel selbst auch in unserem Land unmittelbar?
Hof: Dieselben Veränderungen, die wir global erkennen, gibt es schon jetzt auch in Bayern zu beobachten. Immer mehr wärmeliebende Arten aus dem Mittelmeerraum siedeln sich bei uns an wie etwa Libellen oder Schmetterlinge. Kälteliebende Arten dagegen weichen zurück, etwa in höhere Höhenlagen. Flora und Fauna sind bei uns allerdings vor allem durch die Zerstörung ihrer Lebensräume gefährdet, beispielsweise durch eine immer intensivere Landwirtschaft. Diese Zerstörung, zum Beispiel von Wäldern, ist übrigens auch ein wichtiger Treiber für den Klimawandel, daher müssen wir sie schnellstmöglich stoppen. Die direkten Folgen der Klimaveränderung werden für die menschlichen Systeme vermutlich stärker zu spüren sein.
Was genau meinen Sie damit?
Hof: Wie sehr uns die Folgen des Klimawandels betreffen, hat sich in den Hitzesommern der vergangenen Jahre schon gezeigt: Das Wasser für die Landwirtschaft ist knapp geworden, wegen der niedrigen Pegel war teils keine Schifffahrt möglich. Um die Flüsse nicht weiter zu erwärmen wurden Kraftwerke abgeschaltet. Unsere Wälder leiden unter Trockenstress. Wie wir mit dem Klimawandel umgehen hat also auch Auswirkungen auf Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und quasi alle menschlichen Systeme.
Zur Person: Dr. Christian Hof ist Biologe, lehrt an der TU München und ist Leiter einer Forschungsgruppe des Bayerischen Klimaforschungsnetzwerks bayklif.
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