Vor einem Jahrzehnt kappte Spanien die Flüchtlingsroute von Westafrika über den Atlantik auf die Kanarischen Inseln: mit Patrouillenbooten, die Migrantenschiffe zur Umkehr zwangen. Und mit Abschiebevereinbarungen, die mit Millionenhilfen für die Herkunfts- und Transitstaaten verbunden waren. Das spanische Modell wird seitdem als vorbildlich gelobt. Aber hat die Abschreckungspolitik wirklich zur Verringerung des Migrantenstroms nach Europa beigetragen?
Aus spanischer Sicht war es ein Erfolg. Im vergangenen Jahr gelang es nur noch ein paar hundert Afrikanern, von der Küste Mauretaniens, Senegals oder Marokkos aus die Kanaren zu erreichen. 2016 kamen lediglich 16 Flüchtlingsboote mit insgesamt 663 Menschen auf Teneriffa, Gran Canaria und Fuerteventura an. 2006 waren noch 32.000 Bootsflüchtlinge auf den Ferieninseln gestrandet.
Probleme haben sich nach Italien verlagert
In Wahrheit versiegte der Flüchtlingsstrom aus Westafrika nicht. Er wurde nur umgeleitet, und zwar vor allem an die Küste Italiens. Mit dem Ergebnis, dass es an Spaniens Küsten derzeit vergleichsweise ruhig ist – während in den italienischen Aufnahmelagern der Notstand herrscht.
Seit der Blockade der Atlantikroute müssen sich die Migranten aus den westafrikanischen Ländern über tausende Kilometer durch die Sahara bis an die libysche Mittelmeerküste durchschlagen, um von dort nach Europa überzusetzen. Eine monatelange Tour der Leiden, auf der Ausbeutung, Misshandlung, sexueller Missbrauch und auch der Tod zum Alltag gehören. Nach Angaben der europäischen Grenzschutzagentur Frontex stammten 2016 mehr als die Hälfte der 180.000 an italienischen Küsten angetriebenen Flüchtlinge aus Westafrika. Vor allem aus dem Krisenland Nigeria, das mit 20 Prozent der in Italien registrierten Flüchtlinge die Liste der Herkunftsländer anführt.
Der Strom jener, die aus Westafrika über das Chaos-Land Libyen nach Europa wollen, schwelle weiter an, warnt Frontex-Chef Fabrice Leggeri. Er schätzt, dass sich hunderttausende Menschen aus dieser Region unterhalb der Sahara auf dem Weg an die Küste oder sogar schon in Libyen befinden. Immer mehr Kinder und Jugendliche – meist ohne Eltern – seien darunter, so Frontex. Minderjährige machten 2016 schon 15 Prozent der in Italien angekommenen Flüchtlinge aus.
Tausende Flüchtlinge warten vor den spanischen Exklaven
Ganz gelöst hat Spanien sein Flüchtlingsproblem aber nicht. Auch an der südspanischen Festlandküste kommen trotz Abschreckungspolitik und der engen Zusammenarbeit mit dem gegenüberliegenden Marokko noch Boatpeople an. Etwas mehr als 6000 waren es 2016, was freilich im Vergleich zu dem, was Italien erlebt, kaum der Rede wert ist.
Zudem warten vor den spanischen Nordafrika-Exklaven Ceuta und Melilla, die von marokkanischem Territorium umgeben sind, tausende afrikanische Flüchtlinge auf eine Chance, die Grenzzäune zu überwinden. Normalerweise schaffen sie es nicht bis zum Zaun, weil sie von marokkanischen Grenzern abgehalten werden. Doch immer dann, wenn der marokkanische König Mohammed über die EU verstimmt ist, sinkt Marokkos Lust, für Europa den Gendarmen zu spielen. Mit dem Ergebnis, dass es dann zu Anstürmen kommt, bei denen es – wie kürzlich wieder – hunderten Migranten gelingt, die hohen Grenzwälle zu überwinden.
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