Die derzeit geschäftsführende Bundesregierung hat keinen Überblick darüber, wie viele Familienangehörige von in Deutschland lebenden anerkannten Asylbewerbern oder Flüchtlingen nach der Genfer Flüchtlingskonvention einen Antrag auf Familiennachzug stellen oder bereits nach Deutschland gekommen sind. „Die Zahl der erteilten Visa zum sogenannten privilegierten Familiennachzug zu Schutzberechtigten wird ausschließlich im Falle syrischer Staatsangehöriger erfasst“, sagte der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth (SPD), auf eine Frage des Karlsruher CDU-Abgeordneten Axel E. Fischer. „Eine Ausweitung der Erfassung auf andere Staatsangehörigkeiten ist nicht vorgesehen.“
Im Ausland lebende Familienangehörige von anerkannten Asylbewerbern erhalten automatisch ebenfalls Asyl und können im Rahmen des privilegierten Nachzugs nach Deutschland kommen, ohne ausreichend Sprachkenntnisse, eine Wohnung oder einen Job nachweisen zu müssen. In Deutschland lebten zum Stichtag 30. September 2017 rund 1,58 Millionen Flüchtlinge und Asylbewerber, davon besaßen 1,2 Millionen eine Schutzberechtigung. In den ersten neun Monaten des Jahres 2017 wurden rund 89.000 Visa für Familienzusammenführungen ausgestellt, Zahlen für das Gesamtjahr liegen noch nicht vor, 2016 waren rund 100.000 Familienangehörige nach Deutschland gekommen. Diese Menschen werden allerdings in der offiziellen Asylstatistik nicht eigens aufgeführt.
Der CDU-Bundestagsabgeordnete spricht von Skandal
Für den CDU-Bundestagsabgeordneten Axel E. Fischer, der im Haushaltsausschuss für den Etat des Arbeits- und Sozialministeriums zuständig ist, ist dies ein Skandal. „Die Bundesregierung weiß nicht, wer ins Land kommt, wie viele ins Land kommen – und will es auch nicht wissen“, kritisierte er im Gespräch mit unserer Zeitung. Er erwarte, dass die Regierung eine komplette Erfassung aller Menschen vornehme, die im Rahmen des Familiennachzugs kommen. „Diese Zahlen sind äußerst wichtig für den Bundeshaushalt wie für die Länder und Kommunen, die wissen müssen, was auf sie beispielsweise bei der Bereitstellung von Wohnraum zukommt.“
Nach Angaben des Auswärtigen Amtes werden bei der Erteilung aller Visa in den Botschaften persönliche Daten, Passdaten, biometrische Daten sowie die persönlichen Daten der in den Deutschland lebenden Referenzpersonen und ihre Anschriften registriert. Darüber hinausgehende statistische Erfassungen gebe es jedoch nicht. Auf die Frage Fischers, wie sich nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes die Zahl der nachziehenden Familienangehörigen entwickeln werde, antwortete der Staatsminister ausweichend: Dazu könne man „nichts Verantwortbares sagen“. Das Auswärtige Amt wisse nicht, wie groß die jeweilige Kernfamilie sei. „Dazu können mal zwei Kinder, mal gar kein Kind gehören; mal geht es nur um den Ehepartner.“ Man spreche „nicht über größere Familienzusammenhänge, sondern nur über die noch nicht volljährigen Kinder und die Ehepartner“, so Roth.
Im Durchschnitt kam auf einen Asylbewerber ein Familienmitglied
In den vergangenen 20 Jahren kam im Durchschnitt auf einen anerkannten Asylbewerber ein Familienangehöriger nach. Dagegen erwarten die Innenexperten der Unionsfraktion einen starken Nachzug. Bei 300.000 anerkannten Asylbewerbern aus Syrien könne allein beim privilegierten Familiennachzug rasch eine Zahl von 750.000 bis zu einer Million Nachzüglern zusammenkommen. Der Familiennachzug bei subsidiär Geschützten bleibt nach dem Willen von Union und SPD bis Ende Juli ausgesetzt, danach können bis zu 1000 Angehörige pro Monat nachziehen. Zudem soll nach dem Koalitionsvertrag die humanitäre Zuwanderung auf insgesamt 180.000 bis 220.000 Menschen pro Jahr begrenzt werden.
Ebenso hat auch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales keine „gesicherten Erkenntnisse“, wie viele Empfänger von Hartz IV anerkannte Asylbewerber oder deren nachgezogene Familienangehörige sind. Dabei hat die dem Ministerium unterstellte Bundesagentur für Arbeit (BA) jüngst Zahlen veröffentlicht, wonach mittlerweile fast jeder sechste Hartz-IV-Bezieher ein Flüchtling sei. So bezogen im September 2017 exakt 936.407 Männer, Frauen und Kinder aus den acht wichtigsten Herkunftsländern Syrien, Irak, Afghanistan, Eritrea, Iran, Pakistan, Somalia und Nigeria das Arbeitslosengeld II. Im gleichen Monat des Jahres 2016 waren es noch 565.480 gewesen, eine Zunahme von gut 65 Prozent innerhalb von zwölf Monaten. Die Agentur für Arbeit begründete diesen Anstieg damit, dass mittlerweile viele Asylverfahren abgeschlossen seien und die anerkannten Asylbewerber Anspruch auf die Leistungen hätten.
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