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Flüchtlingspolitik: Die Union entschärft ihren Asylstreit - Waigel warnt vor neuer Eskalation

Flüchtlingspolitik

Die Union entschärft ihren Asylstreit - Waigel warnt vor neuer Eskalation

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    Der CSU-Ehrenvorsitzende Theo Waigel fordert seine Partei auf, den Streit mit der CDU beizulegen.
    Der CSU-Ehrenvorsitzende Theo Waigel fordert seine Partei auf, den Streit mit der CDU beizulegen. Foto: Robert Schlesinger, dpa

    In der Union stehen nach Wochen der erbitterten Auseinandersetzung um ihren Kurs in der Asylpolitik die Zeichen auf Einigung. Die CDU geht davon aus, dass der Konflikt zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und Innenminister Horst Seehofer um die Zurückweisungen an der deutschen Grenze nach dem Kompromiss beim EU-Gipfel nun beigelegt werden kann. Die Chancen stünden gut, dass sich die Schwesterparteien bei ihren Sitzungen am Sonntag auf ein gemeinsames Vorgehen einigen, hieß es in Partei- und Fraktionskreisen.

    Theo Waigel appelliert an die CSU: Eskalation wäre selbstzerstörerisch

    Dafür spricht, dass auch die CSU in ersten Stellungnahmen die Brüsseler Beschlüsse begrüßte. „Eine Reihe an Punkten wie der bessere Schutz der Außengrenzen, Flüchtlingszentren in Drittländern und mehr Engagement bei der Fluchtursachenbekämpfung sind Maßnahmen, die wir als „konstruktiv und ermutigend“.

    Der CSU-Ehrenvorsitzende Theo Waigel hat nach dem EU-Gipfel zur Flüchtlingspolitik seine Partei mit einem eindringlichen Appell aufgefordert, den Asylstreit mit der CDU beizulegen: „Angela Merkel hat gezeigt, dass sie in Europa immer noch über eine starke Autorität verfügt. Eine europäische Lösung, die sich sowohl die CDU als auch die CSU wünschen, ist in greifbarer Nähe“, sagte Waigel. Dieser Erfolg, so Waigel, sei auf die CSU zurückzuführen. Das biete eine gute Grundlage für eine gemeinsame Lösung im Unionsstreit, „in dem jede Eskalation selbstzerstörerisch wäre“.

    Die Kanzlerin sieht die Forderungen der Schwesterpartei als erfüllt an: „Wenn das alles umgesetzt wird, ist das mehr als wirkungsgleich, dann ist das ein wirklich substanzieller Fortschritt.“ Deutschland dürfe nicht unabgestimmt und nicht zu Lasten Dritter handeln. Das Zurückweisen von Flüchtlingen an der Grenze, wie Seehofer es angedroht hat, könne nicht ohne Absprache mit europäischen Partnern angeordnet werden. Mit Griechenland und Spanien hat

    CDU begrüßt die Einigung am EU-Gipfel zum Asylstreit

    Im CDU-Teil der Unionsfraktion herrschte am Freitag spürbare Erleichterung. „Mit den Vereinbarungen, die in Brüssel getroffen worden sind, sind CDU und CSU einer gemeinsamen Lösung einen großen Schritt nähergekommen“, sagte Fraktionsvize Stephan Harbarth.

    Chronologie: Der Asyl-Streit zwischen CSU und CDU

    31. August 2015: "Wir schaffen das", sagt Merkel über die Bewältigung der Flüchtlingszahlen. Kurz darauf schließt sie nicht die Grenzen, als Schutzsuchende massenweise von Ungarn über Österreich nach Deutschland einreisen. Seehofer nennt das einen Fehler.

    9. Oktober 2015: Der CSU-Chef droht mit einer Verfassungsklage, falls der Bund den Flüchtlingszuzug nicht eindämmen sollte. Nach einer Aussprache mit der CDU legt er das Vorhaben kurz darauf ad acta.

    20. November 2015: Auf dem CSU-Parteitag in München kritisiert Seehofer die Kanzlerin auf offener Bühne, während sie neben ihm steht.

    3. Januar 2016: Seehofer fordert erstmals eine konkrete Obergrenze: maximal 200.000 neue Flüchtlinge pro Jahr. Merkel ist strikt dagegen.

    9. Februar 2016: Seehofer nennt die offenen Grenzen für Flüchtlinge im Herbst 2015 "eine Herrschaft des Unrechts".

    4./5. November 2016: Merkel nimmt erstmals nicht an einem CSU-Parteitag teil.

    20. November 2016: Merkel kündigt ihre vierte Kanzlerkandidatur an.

    24. November 2016: Der CSU-Chef macht eine Begrenzung der Zuwanderung zur Bedingung für eine erneute Regierungsbeteiligung.

    6. Februar 2017: Seehofer erklärt offiziell, die CSU unterstütze Merkel bei der Bundestagswahl. Zuvor war lange ein eigener Kanzlerkandidat nicht ausgeschlossen.

    1. April 2017: In einem Interview bezeichnet Seehofer Merkel als "unser größter Trumpf". Nur mit ihr sei die Wahl zu gewinnen.

    3. Juli 2017: Eine Obergrenze für Flüchtlinge kommt im Wahlprogramm der Union nicht vor. Im gesonderten CSU-Programm "Bayernplan" wird sie aber festgehalten. Seehofer macht sie erneut zur Koalitionsbedingung.

    20. August 2017: In einem Interview nennt Seehofer eine Obergrenze nicht mehr ausdrücklich als Bedingung für eine Koalition nach der Wahl.

    24. September 2017: Trotz Verlusten gewinnt die Union die Bundestagswahl, doch die CSU stürzt auf für ihre Verhältnisse katastrophale 38,8 Prozent ab. Fehler der Union im Wahlkampf sieht Merkel nicht.

    8. Oktober 2017: Vor anstehenden Gesprächen mit anderen Parteien über mögliche Koalitionen verständigen sich CDU und CSU auf das Ziel, maximal 200.000 Flüchtlinge pro Jahr aufzunehmen. Ausnahmen sind möglich. Das Wort "Obergrenze" taucht in der Einigung nicht auf.

    15. Dezember 2017: Merkel ist wieder auf dem CSU-Parteitag zu Gast. Die Schwesterparteien demonstrieren Geschlossenheit.

    12. März 2018: Union und SPD unterschreiben ihren Koalitionsvertrag. Seehofer wird als Innenminister in Merkels viertem Kabinett zuständig für Migration und Flüchtlinge. Er kündigt einen "Masterplan für schnellere Asylverfahren und konsequentere Abschiebungen" an.

    15. März 2018: Seehofer sagt: "Der Islam gehört nicht zu Deutschland." Die Kanzlerin grenzt sich von ihm ab.

    10. Juni 2018: In der ARD-Sendung "Anne Will" spricht sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gegen die CSU-Forderung nach einer Zurückweisung bestimmter Asylbewerber an der deutschen Grenze aus. Sie wolle, dass Deutschland "nicht einseitig national" handle.

    11. Juni 2018: Seehofer verschiebt überraschend die für den Folgetag geplante Vorstellung seines Masterplans. Hintergrund sind Differenzen mit Merkel über die Zurückweisung von Flüchtlinge an der Grenze, einem wichtigen Punkt des Masterplans.

    12. Juni 2018: Die CSU beharrt auf ihrer Forderung – und setzt auf eine Konfrontation mit der Kanzlerin: "Wir setzen den Punkt durch", sagt CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Unterstützung bekommt Seehofer derweil auch aus den Reihen der CDU. Das wird auch in einer gemeinsamen Sitzung der Bundestagsabgeordneten von CDU und CSU deutlich.

    13. Juni 2018: Ein abendliches Krisentreffen zwischen Merkel und Seehofer endet ohne Annäherung. Merkel will zwei Wochen Zeit gewinnen und bis zum EU-Gipfel Ende Juni bilaterale Vereinbarungen mit anderen Staaten treffen. Die CSU lehnt das ab: Sie will umgehend auf nationaler Ebene handeln, bevor es mögliche europäische Schritte gibt.

    14. Juni 2018: Der Konflikt eskaliert: Eine laufende Bundestagsdebatte muss unterbrochen werden, die Abgeordneten von CDU und CSU beraten in getrennten Sitzungen mehr als vier Stunden lang über den Asylstreit. Seehofer droht Merkel mit einem "Alleingang". Eine Entlassung des Innenministers, ein Bruch der Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU oder gar der Regierungskoalition – zwischenzeitlich erscheinen viele Szenarien möglich.

    15. Juni 2018: Der Bundestag befasst sich in einer aktuellen Stunde mit der Flüchtlingspolitik. Die Opposition kritisiert die Union dabei wegen des Asylstreits scharf. Derweil beharren CDU und CSU auf ihren Positionen.

    16. Juni 2018: CDU-Politiker warnen die CSU eindringlich vor einem Bruch der Union und fordern Kompromissbereitschaft.

    17. Juni 2018: Eine Annäherung zeichnet sich über das Wochenende nicht ab – die Fronten bleiben verhärtet.

    18. Juni 2018: Der Streit wird vertagt. CDU und CSU einigen sich darauf, dass Merkel zwei Wochen Zeit bekommt, um in der Flüchtlingsfrage bilaterale Abmachungen mit anderen EU-Staaten zu erreichen. Erst dann soll über mögliche Zurückweisungen an der Grenze entschieden werden, es gebe keinen "Automatismus", hob Merkel hervor. Umgehend zurückgewiesen werden sollen aber Flüchtlinge mit Einreise- oder Aufenthaltsverbot. Zugleich droht Merkel Seehofer am Montag mit ihrer "Richtlinienkompetenz" als Kanzlerin. (dpa/AFP)

    Auch der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl (CDU) begrüßte gegenüber unserer Redaktion das Erreichte. Es sei „gut, dass das Thema jetzt den Stellenwert bekommt, den es verdient“. Erst recht sei es gut, „dass in der Nacht zum Freitag ein erfolgreicher Schritt gemacht wurde“. Die Migration sei eine Herausforderung für Europa „und braucht eine europäische Antwort“ beim Schutz der Außengrenzen sowie der Migration in Europa. „Kurzum, die Richtung stimmt, jetzt muss entschlossen und tatkräftig in diese Richtung gegangen werden.“ – Mit der Lage in der Union beschäftigt sich auch der Leitartikel. Was in Brüssel genau verabredet wurde und wie die CSU darüber denkt, lesen Sie in der Politik.

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