Es ist ein hartes, grausames Bild. Es zeigt das Gesicht der erfrorenen einjährigen Laila. Die Augen des toten Mädchens, das in einem Flüchtlingslager in Idlib starb, sind offen. Einige Zeitungen und Magazine druckten es ab, manche verpixelt, wenige im Original. Das Foto komprimiert die ganze Brutalität des Krieges, der seit 2011 in Syrien tobt – ähnlich wie im September 2015 das Bild von dem ertrunkenen Jungen Kurdi das Elend der Flüchtlinge symbolisierte.
Dass Kinder am stärksten unter bewaffneten Konflikten leiden, ist eine Binsenweisheit. Doch das nimmt dieser Erkenntnis kein Jota seiner Dramatik. Besonders verheerend sind die Auswirkungen für Mädchen und Jungen, wenn sie ihr Zuhause oder gar ihre Eltern verlieren. Ein Schicksal, das in der syrischen Provinz Idlib zum tristen Alltag gehört. Nun hat dort ein scharfer Wintereinbruch dazu geführt, dass Hilfsorganisationen Alarm schlagen. Erst kam der Dauerregen, der die Flüchtlingslager in dem umkämpften Gebiet im Nordwesten Syriens in einen Albtraum aus Schlamm verwandelte, dann der Schneesturm mit beißender Kälte. Hunderttausende suchen in Idlib verzweifelt Schutz vor den Kämpfen, die in den letzten Tagen weiter an Heftigkeit zugenommen haben. Viele Familien irren von Ort zu Ort, um Luftangriffen und Artilleriefeuer zu entgehen. Oft übernachten sie im Freien.
Auch Verschläge in den die Flüchtlingscamp schützen nicht vor Kälte
Doch auch Familien, die ein Zelt oder einen Verschlag in einem der Flüchtlingscamps gefunden haben, sind in den nicht wetterfesten Unterkünften den Minusgraden und der allgegenwärtigen Feuchtigkeit ausgesetzt. Ein großer Teil der Kinder ist erkrankt.
„Die humanitäre Katastrophe in Idlib findet jetzt statt – aller Warnungen zum Trotz“, sagt Sonia Khush, Leiterin der Hilfseinsätze von Save the Children in Syrien. Die Hilfsorganisation verfügt über ein Netz von Informanten in der Region. Auch mithilfe von Drohnen versuchen ihre Mitarbeiter sich ein Bild von der unübersichtlichen Lage zu machen. Und die ist dramatisch: „Fast ein Viertel der Bevölkerung von Idlib musste innerhalb weniger Wochen bei Minusgraden fliehen. 80 Prozent von ihnen sind Frauen und Kinder. Noch nie war das Ausmaß so groß“, sagt Sonia Khush. Unter den Flüchtlingen – laut aktueller Zahlen der UN sind seit Dezember 800.000 Menschen vertrieben worden – sind nach Schätzungen von Save the Children mindestens 290.000 Minderjährige. Schon in den vergangenen Jahren habe das Winterwetter Kinder und Babys das Leben gekostet. Jetzt stünden „tausende Menschenleben auf dem Spiel“. Die Organisation fordert einen sofortigen Waffenstillstand, damit die eingeschlossenen Menschen besser mit Hilfsmitteln versorgt werden können.
Die Chancen auf einen neuen Waffenstillstand schwinden
Doch kaum etwas deutete darauf hin, dass dieser Appell von den Kriegsparteien erhört wird. Das syrische Regime mit Präsident Baschar al-Assad an der Spitze, ist fest entschlossen, Idlib – die letzte Rebellenhochburg – unter seine Kontrolle zu bringen. Unterstützt werden die Regierungstruppen durch russische Experten, Soldaten und vor allem Kampfjets. Eine vereinbarte Waffenruhe hielt nicht. In den letzten Tagen griffen auch türkische Truppen massiv in die Kämpfe ein. Sie attackierten syrische Stellungen und Hubschrauber, nachdem türkische Soldaten durch syrisches Feuer getötet worden waren. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan drohte, in Zukunft noch härter zurückschlagen, falls die syrischen Truppen nicht innehalten. Eine Drohung, die nach wie vor im Raum steht. Denn Assads Militärmaschinerie scheint von Erdogans Ankündigung gänzlich unbeeindruckt. Am Montag erzielte die syrische Armee erneut Geländegewinne westlich der Großstadt Aleppo. Nach Informationen der syrischen Rettungsorganisation Weißhelme sind erneut zwei Kliniken bei Luftangriffen attackiert und schwer beschädigt worden. Für die Angriffe machten die Weißhelme gestern einmal mehr die russische Luftwaffe verantwortlich.
Für Hunderttausende von Flüchtlingen in Idlib sind das schlechte Nachrichten. Denn sie müssen befürchten, dass ihnen nun auch der Fluchtweg in Richtung Norden abgeschnitten wird.