Nach zwei Stunden ist alles vorbei – zumindest fürs Erste. Sigmar Gabriel hat noch Termine, und deshalb endet das groß angekündigte Spitzentreffen der Koalition an diesem Sonntag auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner, nämlich mit der Übereinkunft, sich am Donnerstag noch einmal zu treffen.
Es gebe „noch offene Punkte“, betont Regierungssprecher Steffen Seibert diplomatisch. In den ersten Meldungen der Nachrichtenagenturen aber heißt es wenig später schon: „Koalitionsgipfel zur Asylpolitik gescheitert.“ Die Grüne Katrin Göring-Eckardt spricht von „irritierender Hilflosigkeit.“ Und Hans-Günter Henneke, der Geschäftsführer des Landkreistages, warnt eindringlich: „Die Menschen vor Ort, die tagtäglich Manager der Flüchtlingskrise sind, wollen aus Berlin Taten sehen und keinen kleinteiligen politischen Richtungsstreit.“
Uneinigkeit herrscht vor allem bei den Transitzonen
Dem Vernehmen nach klemmt es besonders bei den sogenannten Transitzonen, die CSU-Chef Horst Seehofer entlang der deutsch-österreichischen Grenze einrichten möchte, um Flüchtlinge mit berechtigten Ansprüchen schon früh von Asylbewerbern ohne jede Aussicht auf Erfolg zu trennen, die dann gar nicht erst einreisen dürften.
Wenn man so will, ist das die Konfliktlinie, die im Moment zwischen Union und SPD verläuft. Über die Konfliktlinie, die Horst Seehofer mit einem breiten Strich zwischen sich und Angela Merkel gezogen hat, dringt zunächst deutlich weniger nach draußen. Erst am Abend verständigen die beiden sich auf ein gemeinsames Positionspapier, in dem eben jene Transitzonen als „vordringlichste Maßnahme zur besseren Kontrolle unserer Grenze“ benannt werden. Das Gespräch mit Gabriel am Donnerstag macht das nicht unbedingt einfacher, dafür aber ist der Streit zwischen der Kanzlerin und ihrem Gegenspieler aus Bayern fürs Erste entschärft.
Nachdem Gabriel sich verabschiedet hat und kommentarlos in seinen Wagen gestiegen ist, sind Fraktionschef Volker Kauder und CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt prompt ins Kanzleramt geeilt, wo dem Koalitionsgipfel der zweite Unionsgipfel innerhalb von nur zwei Tagen folgte. Das Ultimatum, das Seehofer der Kanzlerin gestellt hat, ist zwar formell kein Thema, schwebt aber wie das berühmte Damoklesschwert über der Runde. Wenn die Kanzlerin ihre liberale Asylpolitik bis Allerheiligen nicht korrigiere, hatte der Ministerpräsident aus München gedroht, werde Bayern selbst handeln – wie auch immer. Ist ihr klares Bekenntnis zu den Transitzonen nun das Signal, auf das er gewartet hat? Auch die Forderung, den Familiennachzug für zwei Jahre auszusetzen, liegt eher auf der Linie von Seehofer als auf der von Angela Merkel.
„Wir können es uns nicht leisten, keine Lösungen zu finden“
Eine Arbeitsgruppe von Bund und Ländern soll bis Donnerstag nun einen Weg finden, die unterschiedlichen Positionen der Koalitionäre miteinander in Einklang zu bringen. Nach einem Privatissimum der SPD-Spitze am Samstag hatte Gabriel noch einmal betont, was er von den Transitzonen hält, nämlich nichts. Riesige Gefängnisse seien das, findet er – und schlägt dezentrale Zentren in den einzelnen Bundesländern vor. Flüchtlingen, die sich der Registrierung dort verweigern, will der SPD-Vorsitzende die Leistungen kürzen und das Asylverfahren „erheblich“ erschweren.
Das Echo aus der Union auf diesen Vorschlag reicht von kategorischer Ablehnung bis zu diffuser Unbestimmtheit. „Wir können es uns nicht leisten, keine Lösungen zu finden“, sagt die stellvertretende CDU-Vorsitzende Julia Klöckner lapidar. Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) spricht nur vage von Vorschlägen, die es nun weiterzuentwickeln gelte. Noch knirscht es erheblich im Getriebe der Koalition.
Als Seehofer am Samstag um kurz nach 23 Uhr das Kanzleramt verlässt, ist nur eines sicher: dass nichts sicher ist. Knappe fünf Stunden sitzen die Kanzlerin, der CSU-Chef, Kauder, Hasselfeldt und Kanzleramtsminister Peter Altmaier zusammen, um die Strategie für das Gespräch mit Gabriel tags darauf zu besprechen, der Seehofers Transitzonen nicht nur rechtlich, sondern auch organisatorisch für höchst problematisch hält: „Mir hat noch keiner erklärt, welches Fußballstadion man dafür umrüsten will.“ Seine dezentralen Zentren dagegen könnten in bereits existierenden Erstaufnahmen betrieben werden – ein Vorschlag, mit dem vielleicht die Kanzlerin noch leben kann, nicht aber die CSU und die Skeptiker in der CDU.
Umso zufriedener registrieren sie, dass Angela Merkel und Horst Seehofer sich noch auf etwas einigen können, an das viele schon nicht mehr so richtig geglaubt haben: eine gemeinsame Position.