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Fleischindustrie: Regierung bremst Leiharbeit in Schlachthöfen aus

Fleischindustrie

Regierung bremst Leiharbeit in Schlachthöfen aus

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    Mittlerweile versucht Tönnies in seinem Stammwerk, die Corona-Auflage umzusetzen.
    Mittlerweile versucht Tönnies in seinem Stammwerk, die Corona-Auflage umzusetzen. Foto: Tönnies, dpa

    Per Gesetz will die Bundesregierung die teils unhaltbaren Zustände in der Fleischindustrie beenden. Mehrere Corona-Massenausbrüche in Schlachthöfen, etwa beim Branchen-Riesen Tönnies in Nordrhein-Westfalen, hatten nur erneut ans Licht gebracht, was Branchenkenner und Politiker seit Jahrzehnten kritisieren: miserable Arbeits- und Wohnbedingungen von meist ausländischen Beschäftigten, ausbeuterische Arbeitsverhältnisse in einem undurchsichtigen System von Subunternehmen und Leiharbeitsfirmen.

    An effektiven Infektionsschutz, so zeigte sich bei mehreren Zwischenfällen mit teils Hunderten von Ansteckungen, war im Arbeitsalltag in den Schlachthäusern ebenso wie in den überfüllten Gemeinschaftsunterkünften kaum zu denken. So entstand unter der Federführung von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) das neue Arbeitsschutzkontrollgesetz, das Union und SPD am Mittwoch im mit ihrer Mehrheit im Bundestag beschließen wollen. Zu Beginn des kommenden Jahres soll das Regelwerk in Kraft treten. Es sieht in seinem Kern die starke Beschränkung von Leiharbeit und Werkverträgen vor.

    Leiharbeit bleibt auf Schlachthöfen in Ausnahmefällen weiter möglich

    Ein komplettes Verbot, wie zunächst geplant, kommt aber nicht. In der Diskussion um das Gesetz hatte die Fleischindustrie auf Ausnahmen gedrängt und bei der Union Unterstützung gefunden. So ist der Einsatz von Werkverträgen mit meist ausländischen Fremdfirmen laut dem Regierungsentwurf zwar ab Januar verboten, ausgenommen sind aber Betriebe mit bis zu 50 Mitarbeitern. Der Einsatz von Leiharbeit ist ebenfalls verboten, aber erst ab April und auch nur für Betriebe mit mehr als 50 Mitarbeitern.

    In den kommenden drei Jahren gilt zudem eine weitere Ausnahmeregelung. Auf Grundlage eines Tarifvertrags ist es Betrieben weiter möglich, Leiharbeiter zur Bewältigung von Auftragsspitzen einzusetzen. In der Diskussion im Vorfeld war dies damit begründet worden, etwa zur Grill-Saison die Wurst-Produktion zu gewährleisten.

    Dies gilt nur bei der Weiterverarbeitung von Fleisch, nicht aber beim Schlachten und Zerlegen. Außerdem muss den Leiharbeitern der gleiche Lohn bezahlt werden wie den regulär Beschäftigten, die Höchstüberlassungsdauer beträgt vier Monate.

    Neue Regeln für Leiharbeiter auf Schlachthöfen: Mehr Kontrollen und höhere Bußgelder

    Das Gesetz sieht außerdem eine Ausweitung von Arbeitsschutzkontrollen und höhere Bußgelder bei Verstößen vor. Pflicht wird in der Fleischindustrie eine elektronische Arbeitszeiterfassung. Verbessert werden soll zudem die Unterbringung von Mitarbeitern in Gemeinschaftsunterkünften.

    SPD-Chef Norbert Walter-Borjans hält an den 30 Prozent für seine Partei fest.
    SPD-Chef Norbert Walter-Borjans hält an den 30 Prozent für seine Partei fest. Foto: Kay Nietfeld/dpa

    Für SPD-Chef Norbert Walter-Borjans ist das Gesetz ein „Meilenstein“. Unserer Redaktion sagte er: „Wohlstand und Anstand dürfen kein Gegensatz sein. Das ist aber der Fall, wenn wir das Angebot an preisgünstigem Fleisch mit ausbeuterischer Leiharbeit und gesundheitsgefährdenden Arbeitsbedingungen sichern - noch dazu in Betrieben ohne Tarifbindung.“ Er verteidigte die Ausnahmen bei Produktionsspitzen - diese seien nur begrenzt zulässig, „wenn das von den Tarifparteien gebilligt und die Arbeit tariftreu entlohnt" werde. Damit werde gleichzeitig sicher gestellt, „dass nur tarifgebundene Unternehmen eng limitierte Ausnahmen in Anspruch nehmen dürfen“.

    Die Linke kritisiert das neue Leiharbeiter-Gesetz auf Schlachthöfen massiv - es biete viele Schlupflöcher

    Susanne Ferschl, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken, findet das Gesetz bietet zu viele Schlupflöcher
    Susanne Ferschl, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken, findet das Gesetz bietet zu viele Schlupflöcher Foto: Arne Immanuel Bänsch, dpa

    Kritik am Gesetzeswerk kommt von der Linkspartei im Bundestag. Susanne Ferschl, die stellvertretende Fraktionsvorsitzende, sagte unserer Redaktion: „Leider hat die Fleischlobby über CDU und CSU zahlreiche Schlupflöcher durchsetzen können." Sie befürchte etwa, dass die Ausnahmeregelung für Leiharbeit in Produktionsspitzen in der Praxis zu einer „sehr langen Grillsaison" führen werde. Über Arbeitszeitkonten hätte sich das Problem besser lösen lassen, so die Gewerkschafterin. Das Arbeitsschutzgesetz, so Ferschl, sei „unklar, kompliziert in der Umsetzung und deshalb schwer zu kontrollieren".

    Die Grünen sehen das Vorhaben mit gemischten Gefühlen. Beate Müller-Gemmeke, Sprecherin für Arbeitsmarktpolitik der Bundestagsfraktion, sagte unsere Redaktion: „Es ist gut, dass die Blockade der Union beendet ist. Es ist wirklich an der Zeit, dass das Gesetz endlich auf den Weg gebracht wird. Es sei die „Antwort auf den Missbrauch von Werkverträgen im Kernbereich der Fleischindustrie, mit dem sich die großen Schlachthöfe schon viele Jahre aus der Verantwortung stehlen - beim Arbeitsschutz und auch beim Lohn." Dies dürfe es nicht länger geben.

    Kirche will die Leiharbeit in Firmen generell weiter begrenzen

    Wichtig sei aber, "dass jetzt auch lückenlos kontrolliert wird, ob die Leute wirklich direkt angestellt sind, ob die Beschäftigten richtig entlohnt werden und natürlich, ob der Arbeitsschutz jetzt wirklich eingehalten wird", sagte Müller-Gemmeke. Denn das Arbeitsschutzkontrollgesetz, so die Grünen-Politikerin, "darf auf keinen Fall ins Leere laufen.“

    Eine generelle Verbesserung der Stellung von Leiharbeitern fordern die Betriebsseelsorge im Bistum Augsburg. Laut ihrem Leiter Georg Steimetz sollte Leiharbeit pro Person höchstens sechs Monate möglich sein - als Brücke in den ersten Arbeitsmarkt. In einem Schreiben an Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, das unserer Redaktion vorliegt, sprechen sich die Seelsorger dafür aus, dass befristete Arbeit nur bei Vorliegen wirklich triftiger Gründe möglich sein solle. Der Mindestlohn, der ab Januar 2021 zunächst auf 9,50 Euro je Stunde steigt, solle auf 13,69 Euro angehoben werden: Damit schließen sich die Betriebsseelsorger einer Forderung der katholischen Arbeitnehmerbewegung (KAB) an.

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