Viele Menschen in Deutschland stecken in finanziellen Schwierigkeiten. Steigende Lebenshaltungskosten und die Folgen der Pandemie machen immer mehr Frauen und Männern zu schaffen. Das spüren auch Schuldnerberatungsstellen, die aktuell viel Zulauf erhalten. Eine Umfrage in der Branche hat ergeben, dass bei zwei Dritteln der Beratungsstellen die Nachfrage höher ist als vor Corona. Kurzarbeit, Jobverlust, gestiegene Miet- und Energiepreise sind die häufigsten Gründe, die zu finanziellen Notsituationen führen.
„Die Pandemie zieht immer mehr Menschen den finanziellen Boden unter den Füßen weg. Die Politik muss reagieren und dafür sorgen, dass die Betroffenen schnelle und professionelle Unterstützung durch gemeinnützige Schuldnerberatungsstellen bekommen“, sagt Diakonie-Präsident Ulrich Lilie. Nicht alle, die Hilfe suchen, bekommen diese kostenlos. Deshalb fordert der Diakonie-Chef einen „Rechtsanspruch auf Beratung für alle – nicht erst, wenn Vermögen und Einkommen bereits weg sind und die Existenz auf dem Spiel steht.“
Präsidentin des VdK, Verena Bentele, fordert mehr Sozialwohnungen
Auch Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbandes VdK, ist alarmiert. „Die Politik muss endlich Rahmenbedingungen schaffen, damit für alle Menschen im Land Wohnraum, Strom, Wärme aber auch gesunde Lebensmittel bezahlbar sind und sie durch Preissteigerungen, wie wir sie im Moment erleben, nicht in Verschuldung geraten“, sagt sie. Fast jeder zweite Haushalt in Großstädten gebe 30 Prozent des Nettoeinkommens für Miete aus, ein Viertel sogar 40 Prozent. „Wir brauchen dringend mehr Sozialwohnungen und Instrumente, um Mietsteigerungen zu begrenzen“, fordert Bentele.
Als Reaktion auf die hohen Energiekosten müsse der Staat einen sozialen Ausgleich schaffen. „Die versprochenen Erleichterungen bei den Strompreisen und auch die Erhöhung der Pendlerpauschale gleichen das bislang in keiner Weise aus“, betont Bentele. Oft ist der Gang zur Schuldnerberatung der Umfrage zufolge tatsächlich auf Miet- und Energieschulden zurückzuführen.
Gerade die Strom-, Öl- und Gaspreise sind zuletzt deutlich gestiegen. Das frisst die finanziellen Reserven in vielen Haushalten auf. Maria Loheide ist bei der Diakonie für Sozialpolitik zuständig. Ihre Beobachtung: „Zu Beginn der Pandemie konnten sich viele Menschen noch durch Rücklagen oder privat geliehenes Geld über Wasser halten. Inzwischen können viele ihre Überschuldungssituation jedoch nicht mehr kompensieren.“ Gerade die Kurzarbeit habe viele, die ohnehin mit knappen Mitteln leben, hart getroffen.
Kurzarbeit und Selbstständigkeit als Armutsfalle
Zur Verdeutlichung rechnet der Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung, Roman Schlag, vor: Eine Alleinstehende verdient 2000 Euro netto und bezahlt damit eine Wohnung in Augsburg und ein Auto. Sie kommt mit ihrem Gehalt aus, hat aber nicht viel Geld auf der hohen Kante. Plötzlich ist sie coronabedingt in Kurzarbeit und verdient nur noch 1200 Euro netto. „Da kann man sich vorstellen, wie schnell man in eine Schieflage gerät“, sagt Schlag.
188 der 461 befragten Beratungsstellen gaben an, dass besonders Beschäftigte in Kurzarbeit Rat suchten. 204 Stellen erkannten stark gestiegenen Bedarf bei Selbstständigen. Sie werden nach Ansicht der Experten besonders direkt von Einnahmeausfällen infolge der Pandemie getroffen.