Die Zeichen sind eindeutig: Die Streitkräfte des syrischen Machthabers Baschar al-Assad und mit ihm verbündete Truppen schicken sich an, die Rebellen vernichtend zu schlagen. Seit Monaten feiern sie – unterstützt von russischen Bombern – einen Sieg nach dem anderen. So wurden die Rebellen unter anderem aus Homs, Aleppo oder der Peripherie der Hauptstadt Damaskus vertrieben. In den letzten Tagen mussten die Milizen auch den Südwesten des Landes aufgeben. Die militärische Überlegenheit der Regierungstruppen ist erdrückend. Vieles spricht dafür, dass das Regime in Damaskus in absehbarer Zeit nahezu alle Regionen, bis auf Teile der Kurdengebiete an der türkischen Grenze, kontrollieren wird.
Fast zwölf Millionen Syrer befinden sich auf der Flucht
Während die Rebellen und auch deren Familien nach russischer Vermittlung mit Bussen in die noch von Regierungsgegnern gehaltene Region Idlib im Nordwesten des Landes gebracht werden, kehren bereits Binnenflüchtlinge in ihre Heimatorte zurück. Die Vereinten Nationen (UN) sprechen von rund 750.000 Menschen im ersten Halbjahr 2018 – immerhin beinahe so viele wie im gesamten vergangenen Jahr. Oft finden sie völlig zerstörte Siedlungen ohne eine funktionierende Infrastruktur vor. Ausdrücklich warnen die UN jedoch davor, voreilig von einem Abflauen der Flüchtlingskrise zu sprechen. Zudem wagen Syrer, die ins Ausland geflohen sind, noch immer nur in ganz seltenen Fällen den Weg zurück in ihre Heimat. Die UN-Flüchtlingshilfe UNHCR spricht von lediglich 13.000 Rückkehrern in den letzten sechs Monaten. Eine verschwindend geringe Zahl angesichts von fast zwölf Millionen Syrern, die sich auf der Flucht befinden. Gut 5,5 Millionen davon halten sich im Ausland auf, sechs Millionen sind innerhalb des Landes auf der Suche nach Schutz vor Krieg, Gewalt und Hunger.
Und dennoch: Der Umstand, dass in immer mehr Regionen Syriens die Waffen schweigen, hat dazu geführt, dass unter den Syrern im Ausland, aber auch unter den Kriegsparteien darüber nachgedacht wird, wie eine Zukunft des verwüsteten Landes aussehen könnte. Insbesondere im Westen wird die Frage diskutiert, ob Verhandlungen mit Assad von vorneherein ausgeschlossen werden sollen. Für viele ist der Machthaber nicht nur der Hauptschuldige am Ausbruch des Krieges, sondern auch ein Massenmörder, der für Kriegsverbrechen – darunter Giftgas-Angriffe gegen die eigene Bevölkerung – verantwortlich ist. Andere verweisen darauf, dass Verbrechen gegen die Menschlichkeit von allen am Konflikt beteiligten Mächten und Gruppierungen begangen worden sind.
Hoffnung auf einen Neuanfang ohne Assad
Auch der assyrische Christ Issa Hanna, Mitglied der Assyrischen Demokratischen Organisation, stellt sich diese Frage. „Ich glaube, dass Assad zumindest für eine Übergangsphase Präsident bleiben wird. Doch später könnte seine Entmachtung dazu beitragen, dass sich mehr Staaten am Wiederaufbau Syriens beteiligen und sich das Land stabilisieren kann“, sagte Issa Hanna, der in Augsburg lebt, unserer Zeitung. Ein weiterer Schritt wäre für ihn, dass Syrien eine neue demokratische Verfassung erhält, die den Provinzen eine deutlich größere Unabhängigkeit von Damaskus zusichert.
Assad dürfte sich darüber im Klaren sein, dass er sich ohne das aktive militärische Eingreifen Russlands zu seinen Gunsten ab dem Jahr 2015 kaum hätte an der Macht halten können. Genauso klar ist, dass Russland finanziell weder willens noch in der Lage ist, die Herkules-Aufgabe eines Wiederaufbaus Syriens zu leisten. Die Konsequenz: Moskau sucht Partner. Russische Medien vermeldeten, dass es bei dem Gipfeltreffen von Präsident Wladimir Putin mit seinem US-Amtskollegen Donald Trump auch um einen Aktionsplan ging, gemeinsam die Rückkehr syrischer Flüchtlinge aus dem Ausland zu organisieren. Das wäre ein Anfang.
Weiter viele Unsicherheitsfaktoren in Syrien
Doch die Risiken, dass der Frieden doch wieder in weite Ferne rückt, sind erheblich. Da ist die drohende militärische Eskalation zwischen Syrien und Israel unweit der Golan-Höhen oder die destruktive Rolle die der Iran, aber auch die Türkei in dem Konflikt spielen.
Issa Hanna ist zunehmend alarmiert über die angespannte Situation in den kurdisch kontrollierten Regionen im Nordosten des Landes, der Heimat seiner Familie. In Quamischli und Hasaka an der türkischen Grenze leben noch immer viele Christen. „Die Assyrer werden dort zum Teil systematisch von den Kurden unterdrückt. Christliche Dörfer wurden von kurdischen Milizen besetzt, Privateigentum konfisziert.“
Viele Gespräche unter Syrern in Deutschland drehen sich um die Frage, ob eine Rückkehr in absehbarer Zeit möglich und sinnvoll sein könnte. Issa Hanna hat hunderte solcher Gespräche geführt. Sein Fazit: „Viele wollen zurück. Sie lieben ihr Land, hatten dort Geschäfte und Grundstücke. Doch je länger es dauert, bis es dort wieder Sicherheit und Stabilität gibt, desto weniger Syrer werden am Ende tatsächlich in die Heimat zurückkehren.“