Die Affäre um die mit Steuergeldern bezahlten Familienjobs von Abgeordneten und Kabinettsmitgliedern in Bayern schlägt immer höhere Wellen. Landtagspräsidentin Barbara Stamm (CSU) veröffentlichte am Freitag die Namen von 79 Abgeordneten, die seit dem Jahr 2000 Ehepartner, Kinder oder Eltern als Bürohilfen engagiert hatten. Darunter sind zwei ehemalige Kabinettsmitglieder: der frühere Staatskanzleichef Siegfried Schneider und der langjährige Innenstaatssekretär Hermann Regensburger (beide CSU). Somit steht fest, dass insgesamt acht amtierende und ehemalige CSU-Minister und Staatssekretäre seit 2000 auf Familienhilfe zurückgegriffen haben.
Schwere Regierungskrise in Bayern
Der bayerische SPD-Spitzenkandidat Christian Ude sprach von einer "schweren Regierungskrise" und "Parlamentskrise" in Bayern. Er verlangte den Amtsverzicht von Kultusminister Ludwig Spaenle, Agrarminister Helmut Brunner, Kultusstaatssekretär Bernd Sibler, Innenstaatssekretär Gerhard Eck und Finanzstaatssekretär Franz Pschierer. "Es ist ein Skandal, wenn buchstäblich eine Handvoll Kabinettsmitglieder den Staat als Beute betrachten", sagte Ude. "Das weckt Erinnerungen an die schlimmsten Affären."
Auch 21 Sozialdemokraten hatten Verwandte angestellt
Allerdings hatten auch 21 Sozialdemokraten im vergangenen Jahrzehnt Familienmitglieder ersten Grades angeheuert, darunter die frühere SPD-Landesvorsitzende Renate Schmidt. CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt wies Udes Forderungen zurück. Innenminister Joachim Herrmann nahm seinen Staatssekretär Eck in Schutz: "Diese Rücktrittsforderung ist völlig absurd." Eck habe nichts Verbotenes getan, sondern sich nach den Regeln verhalten, die der Landtag mit der Zustimmung der SPD und der Grünen beschlossen habe, betonte der Innenminister.
Altverträge durften weiter laufen
Tatsache ist: Im Jahr 2000 wurde den Parlamentariern verboten, Ehepartner, Kinder und Eltern als Mitarbeiter zu beschäftigten. Altverträge durften aber weiterlaufen. Und von dieser Altfallregelung haben viele Abgeordnete eifrig Gebrauch gemacht - einige davon bis heute. 17 waren es zuletzt bei der CSU, in der Legislaturperiode davor waren es 39 - fast jeder Dritte. Bei der SPD hatten zwischen 2003 und 2008 noch 7 von 41 Abgeordneten Ehepartner oder Kinder unter Vertrag. Und auch eine Grünen-Politikerin machte von der Altfallregelung Gebrauch. Rechtlich war und ist daran bis heute nichts auszusetzen. Und auch nicht an der Beschäftigung von Brüdern oder Schwestern, wie einige Abgeordnete inzwischen zugegeben haben. Nur: Nicht alles, was rechtlich möglich ist, ist auch politisch und moralisch darstellbar - das hatte Seehofer schon vor zwei Wochen ganz deutlich gesagt. Unsensibel sei ihr Vorgehen gewesen, sagen auch viele Betroffene.
Beschäftigung von Geschwistern ist erlaubt
Als sechstes Kabinettsmitglied hatte auch Justizministerin Beate Merk zwischen 2010 und 2013 phasenweise ihre Schwester beschäftigt. Ude nahm Merk aber von seinen Rücktrittsforderungen aus, weil die Beschäftigung von Geschwistern nach bayerischem Abgeordnetenrecht erlaubt ist. Bei der CSU stehen als prominente Zeitgenossen noch der heutige Landkreispräsident Jakob Kreidl und der Präsident des Bayerischen Jagdverbands, Jürgen Vocke, auf der Liste.
Steuern rauf? Steuern runter? Die Positionen der Parteien
CDU/CSU: Um die Bezieher kleinerer und mittlerer Einkommen zu entlasten, will die Union die kalte Progression entschärfen, die von jeder Lohnerhöhung etwas mehr auffrisst.
Zur Gegenfinanzierung hat der CDU-Experte Norbert Barthle eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes vorgeschlagen.
Im Moment greift der Spitzensteuersatz von 42 Prozent bei Alleinstehenden ab einem zu versteuernden Jahreseinkommen von 53 000 Euro.
SPD: Sie will den Spitzensteuersatz für Einkommen über 100 000 Euro auf 49 Prozent und die Abgeltungsteuer von 25 auf 32 Prozent anheben.
Außerdem wollen die Sozialdemokraten die Vermögensteuer wieder einführen und das Ehegattensplitting für neu Verheiratete abschaffen.
Grüne: Bei ihnen wäre der Spitzensteuersatz bereits ab 80 000 Euro fällig. Kapitalerträge müssten nach dem persönlichen Steuersatz versteuert werden, also mit bis zu 49 Prozent.
Außerdem wollen die Grünen zeitlich befristet eine Vermögensabgabe einführen, die Erbschaftsteuer erhöhen und das Ehegattensplitting stufenweise abschmelzen.
Der Grundfreibetrag soll von 8130 auf 8712 Euro steigen, um kleine Einkommen zu entlasten.
FDP: Wie die Union haben sich auch die Liberalen den Kampf gegen die kalte Progression auf ihre Fahnen geschrieben. Steuererhöhungen lehnen sie aus Prinzip ab.
Der Solidaritätszuschlag soll bis zum Jahr 2019 schrittweise abgeschafft werden. Um die Haushalte zu konsolidieren, will die FDP Subventionen abschaffen.
Linke: Bei ihr gehört auch die Mittelschicht zu den Besserverdienern: 53 Prozent Spitzensteuersatz ab einem Einkommen von 65 000 Euro. Der Grundfreibetrag soll auf 9300 Euro steigen.
Banker sollen für Boni Sonderabgaben zahlen. Bei einem Privatvermögen von über einer Million Euro soll eine Vermögensteuer von fünf Prozent fällig werden.
Jeden Euro, der ein Jahreseinkommen von mehr als einer Million übersteigt, will die Linke nach französischem Vorbild mit 75 Prozent besteuern. (rwa)
CSU-Fraktionschefin Christa Stewens wies daraufhin, dass die Abgeordneten in vielen Fällen Minijobs an ihre Angehörigen vergeben hätten, in der Regel habe es sich um geringfügige Beschäftigungsverhältnisse gehandelt. Auch Landtagspräsidentin Stamm appellierte an Medien und Bürger: "Es ist nicht gerecht, alle in einen Topf hineinzuwerfen." Die fünf von Ude zum Rücktritt aufgeforderten Minister und Staatssekretäre hatten ihren Frauen im Schnitt Beträge zwischen 500 und knapp 1000 Euro netto pro Monat für Teilzeitarbeit gezahlt - das allerdings über Jahre. Ausnahme war Spaenle, der seine Frau vor seiner Berufung ins Kabinett mit gut 2000 Euro netto entlohnt hatte und ihr Gehalt später reduzierte.
Ude fordert Rücktritt von fünf Kabinettsmitgliedern
"Der Kultusminister ist von Schüttel-Schorsch" - dem mittlerweile zurückgetretenen CSU-Fraktionschef Georg Schmid - "gar nicht so weit entfernt", sagte SPD-Fraktionschef Markus Rinderspacher. Die Beschäftigung von Verwandten ersten Grades - also Ehepartnern, Eltern, Kindern - hatte der Landtag im Jahr 2000 für alle künftigen Abgeordneten verboten, den damals schon im Landtag sitzenden Volksvertretern aber bisher noch erlaubt. Dazu zählen auch die fünf aktiven Kabinettsmitglieder, die Ude gefeuert sehen möchte. Die Affäre schadet nach Udes Meinung nicht nur der CSU: "Es zementiert Vorurteile gegen Bayern, es mobilisiert Vorurteile gegen die Politik."
Politikwissenschaftler kritisieren Debatte als überzogen
Die Politikwissenschaftlerin Ursula Münch kritisierte die aufgeregte Debatte als überzogen. "Als Resultat wird bleiben, dass der Wähler nicht mehr zur Wahl geht, weil er die Wahrnehmung hat, die sind alle korrupt", sagte die Chefin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing: "Eine Pauschalverdammung ist nicht zutreffend." Ude verlangte einen Sonderermittler zur Aufklärung der Angelegenheit und einen Transparenzbeauftragten für die Staatsregierung. CSU-Fraktionschefin Stewens zeigte sich in diesen Punkten gesprächsbereit.
Folgende Landtagsabgeordnete hatten vor dem Jahr 2000 Verwandte ersten Grades (Eltern, Ehefrau, Ehemann, Kinder) beschäftigt. Deshalb gelten diese Beschäftigungsverhältnisse, die seit 13 Jahren untersagt sind, als „Altfälle“. Sie hatten Bestandsschutz und liefen nicht nach einer bestimmten Frist aus. Abgeordnete aus der Region sind mit einer Fettung hervorgehoben.
Die Liste von Landtagspräsidentin Barbara Stamm
14. Wahlperiode 1998–2003
CSU: 15 Abgeordnete und zwei Verstorbene; insgesamt 17: Franz Brosch, Josef Eppeneder, Josef Göppel, Dieter Heckel, Walter Hofmann, Rudolf Klinger, Christian Knauer, Friedrich Loscher-Frühwald, Gerhard Merkl, Herbert Mirbeth, Willi Müller, Hermann Regensburger, Ludwig Ritter, Helmut Schreck, Rita Schweiger.
SPD: 13 Abgeordnete und ein Verstobener; insgesamt 14: Dieter Appelt, Hermann Geiger, Gerhard Hartmann, Inge Hecht, Anne Hirschmann, Heinz Köhler, Heinz Mehrlich, Fritz Möstl, Hermann Josef Niedermeier, Gudrun Peters, Renate Schmidt, Heiko Schultz, Johannes Strasser.
Fraktionslos: 1 Abgeordneter: Volker Hartenstein.
15. Wahlperiode 2003–2008
CSU: 22 Abgeordnete: Manfred Ach, Helmut Brunner, Herbert Ettengruber, Ingrid Fickler, Herbert Fischer, Günther Gabsteiger, Helmut Guckert, Henning Kaul, Jakob Kreidl, Helmut Müller, Johann Neumeier, Rudolf Peterke, Herbert Rubenbauer, Berta Schmid, Siegfried Schneider, Bernd Sibler, Hans-Gerhard Stockinger, Blasius Thätter, Jürgen Vocke, Peter Welnhofer, Alfons Zeller, Josef Zengerle.
SPD: sieben Abgeordnete: Rainer Boutter, Heinz Kaiser, Wilhelm Leichtle, Heidi Lück, Herbert Müller, Joachim Wahnschaffe, Klaus Wolfrum.
Die Grünen: eine Abgeordnete: Maria Scharfenberg.
16. Wahlperiode 2008–2013
CSU: 17 Abgeordnete: Gerhard Eck, Robert Kiesel, Alexander König, Christa Matschl, Walter Nadler, Eduard Nöth, Franz Josef Pschierer, Eberhard Rotter, Heinrich Rudrof, Georg Schmid, Peter Schmid, Ludwig Spaenle, Max Strehle, Joachim Unterländer Georg Winter, Manfred Weiß, Otto Zeitler.
Justizministerin Beate Merk (CSU, Neu-Ulm) taucht auf dieser Liste ebenso wenig auf wie der Augsburger SPD-Abgeordnete Linus Förster. Beide hatten Geschwister, also Verwandte zweiten Grades beschäftigt.