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Fall Skripal: Chemiewaffen-Experte: "Weniger als ein Salzkorn davon ist tödlich"

Fall Skripal

Chemiewaffen-Experte: "Weniger als ein Salzkorn davon ist tödlich"

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    Auf dieser Parkbank in Salisbury wurde der Ex-Spion Sergej Skripal zusammen mit seiner Tochter bewusstlos gefunden.
    Auf dieser Parkbank in Salisbury wurde der Ex-Spion Sergej Skripal zusammen mit seiner Tochter bewusstlos gefunden. Foto: Bens Stensall, afp

    Herr Trapp Sie haben als Toxikologe und Chemiewaffen-Experte Anfang der neunziger Jahre die mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete Organisation für das Verbot chemischer Kampfstoffe, OPCW mitgegründet. Wie tödlich ist das beim Mordversuch auf den russischen Ex-Spion eingesetzte Nervengift Nowitschok?

    Ralf Trapp: Im Verhältnis zu anderen Nervenkampfstoffen wie etwa VX ist Nowitschok zehnmal giftiger. Man benötigt nur wenige Milligramm um einen Erwachsenen zu töten. In der Praxis gibt es aber immer Verluste, weshalb größere Mengen zum Einsatz kommen, da nicht alles in den Körper eindringt. Dafür reicht theoretisch eine Menge Nowitschok von weniger als einem Salzkorn.

    Welche Chancen haben Sergej Skripal und dessen Tochter den Anschlag zu überleben?

    Trapp: Das lässt sich aus der Ferne schlecht einschätzen und hängt von mehreren Faktoren ab. Wie groß war die Dosis? Wie wurde der Stoff aufgenommen? Durch die Haut oder über die Luft? Wenig überraschend ist, dass Skripal schwerere Symptome als seine Tochter zeigt. Wie tödlich ein Nervengift ist, hängt auch vom Alter und Gesundheitszustand des Opfers ab. Man kann auch nicht ausschließen, dass die Tochter, wenn sie überlebt, bleibende Schäden an inneren Organen oder im zentralen Nervensystem haben wird.

    Was können Ärzte gegen die Vergiftung tun?

    Trapp: Erstmal wird versucht, die normalen Lebensfunktionen wieder herzustellen und aufrechtzuerhalten: Künstliche Beatmung und Unterstützung des Kreislaufes. Mit einem Gegenmittel wie Atropin kann man der Wirkung des Kampfstoffes entgegenwirken. Nowitschok wirkt wie andere Nervengifte. Der Stoff blockiert ein Enzym im Körper, welches im Nervensystem vorkommt. Die Folge einer Vergiftung sind Muskelkrämpfe, das zentrale Nervensystem wird beeinträchtigt, der Herzschlag verlangsamt sich, Speichellauf, verengte Pupillen und Krämpfe im Augenmuskel. Der Tod tritt in der Regel durch Atemstillstand ein.

    Medien berichten von mehr als 20 Personen, die mit dem Nervengift in Berührung gekommen sind. Glauben Sie, die Zahl könnte noch höher liegen?

    Trapp: Das hängt davon ab wie der Stoff eingesetzt worden ist. Möglicherweise wurden Oberflächen kontaminiert. Die Frage ist, wie leicht sie zugänglich für die Öffentlichkeit waren. Anders sieht es bei den Helfern aus, die die Opfer ins Krankenhaus gebracht und behandelt haben. Sie konnten sich ebenfalls vergiften, falls sie nicht geschützt waren, da der Stoff über die Haut aufgenommen werden kann.

    Kann sich der Stoff auch über die Luft verbreiten?

    Trapp: Nowitschok ist als Waffe entwickelt worden. Die normale Variante es auszubringen, ist über die Luft. Der schnellste Weg des Gifts in den Körper ist das Einatmen und von der Lunge ins Blut. Es kann aber auch über Hautkontakt verbreitet werden. Das dauert zwar etwas länger, ist aber dennoch sehr wirksam.

    Wie kann Nowitschok nachgewiesen werden?

    Trapp: Kurz nach der Vergiftung ist das kein Problem, wenn man die nötige Erfahrung hat. Das Nervengift lässt sich im Blut nachweisen und für ein paar Tage auch im Urin des Opfers. Die Spuren wurden sicherlich in einem Speziallabor untersucht. Gleich in der Nähe von Salisbury, wo der Anschlag stattfand, gibt es die Einrichtung Porton Down. Dort forscht das britische Verteidigungsministerium zum chemischen Schutz der Bevölkerung. Die haben über Jahrzehnte Untersuchungen zum Nachweis von Kampfstoffen durchgeführt und kennen Nowitschok.

    Wer kann dieses Nervengift herstellen? Geht das in einem üblichen Chemielabor?

    Trapp: Ich schließe Labors von Terroristen oder kriminellen Banden aus. Das geht nur mit Unterstützung eines hoch spezialisierten Labors, das Erfahrungen mit Kampfstoffen hat. Auch sind die Nowitschok-Verbindungen sind sehr instabil. Es sind genaue Kenntnisse in der Herstellung aber auch bei den Schutzmaßnahmen nötig.

    Glauben Sie, dass der russische Geheimdienst dahinter steckt?

    Trapp: Allein vom chemischen Stoff kann man das nicht sagen. Da müsste man die Ermittler in Großbritannien fragen, die aber vermutlich derzeit nicht alle ihre Erkenntnisse veröffentlichen. Aber alles das, was man sieht, deutet in die Richtung, das die Russen dahinter stecken.

    Besteht die Möglichkeit, dass Kampfmittel-Reste aus Zeiten des Kalten Krieges in die Hände von Dritten gelangt sind?

    Trapp: Wie schon erwähnt: Die Inhaltsstoffe von Nowitschok sind nicht stabil. Sie sind wasserempfindlich und zersetzen sich bei höheren Temperaturen. Wir reden also über keinen Altbestand. Das halte ich für unwahrscheinlich.

    Welche Länder könnten diesen Stoff herstellen?

    Trapp: Die tschechische Republik hat in den neunziger Jahren zu Schutz- und Abwehrzwecken an ähnlichen Giften wie Nowitschok geforscht. Ich halte es für möglich, dass eine Reihe von Ländern im Westen und Osten die technischen Möglichkeiten haben, mit diesen Stoffen zu arbeiten und dies auch getan haben. Natürlich aber in kleinen Mengen und nur zu Erforschung von Schutzmaßnahmen.

    Welche Stoffe werden benötigt um Nowitschok herzustellen und wie schwer sind diese zu beschaffen?

    Trapp: Anders als bei anderen Nervengiften wie Sarin oder VX werden die Rohstoffe bei Nowitschok auf keine Kontrolllisten geführt. Im Gegenteil: Diese Stoffe sind in der Chemieindustrie verbreitet. Gerade aus diesem Grund hat die Sowjetunion damals an einem solchen Kampfstoff gearbeitet, um bei Bedarf schnell eine große Menge produzieren zu können.

    Vor einem Jahr wurde der Halbbruder von Kim Jong Un mit VX vergiftet worden. Wie unterscheidet sich dieser Stoff von Nowitschok?

    Trapp: VX wurde bereits in den fünfziger Jahren entwickelt. Russen wie Amerikaner haben Waffen damit hergestellt. Viele Labors haben mit dem Gift gearbeitet. In diesem speziellen Fall sprechen viele Details dafür, dass das VX in Nordkorea hergestellt wurde. Auch weil das Land schon länger an chemischen Waffen forscht. Interessanter war bei diesem Attentat, wie das Opfer mit dem VX in Berührung kam. Zwei Frauen haben unterschiedliche Hautcremes auf das Gesicht des Halbbruders geschmiert, die dann offenbar zusammen reagierten und das VX bildeten. Für die Attentäterinnen waren die einzelnen Cremes ungefährlich.

    Zur PersonDer deutsche Toxikologe Ralf Trapp arbeitet seit mehr als 30 Jahren auf dem Gebiet der Abrüstung chemischer und biologischer Waffen. Er ist Berater und Mitarbeiter der Vereinten Nationen und der Organisation zum Verbot von chemischen Waffen (OPCW), die 2013 mit den Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde.

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