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Fall Maaßen: Nahles und Kohnen lächeln die SPD-Krise weg

Fall Maaßen

Nahles und Kohnen lächeln die SPD-Krise weg

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    Zwei SPD-Frauen, die Harmonie in der Krise versuchen: Parteichefin Andrea Nahles und ihre Stellvertreterin, die Landesvorsitzende Natascha Kohnen, im Bayerischen Landtag.
    Zwei SPD-Frauen, die Harmonie in der Krise versuchen: Parteichefin Andrea Nahles und ihre Stellvertreterin, die Landesvorsitzende Natascha Kohnen, im Bayerischen Landtag. Foto: Matthias Balk, dpa

    Sehen so zwei Powerfrauen aus, die sich gerade ziemlich heftig in die Haare geraten sind? SPD-Chefin Andrea Nahles und ihre Stellvertreterin, die bayerische Landesvorsitzende Natascha Kohnen, lachen viel an diesem strahlend schönen Donnerstagmorgen in München. Sie umarmen sich sogar. „Hallooo Natascha, schön, dich zu sehen“, sagt Nahles, als sie am Landtag aus dem Auto steigt. Ihr erster Scherz gilt den vielen Wahlplakaten Kohnens entlang der Straßen. „Du hängst ja hier überall“, sagt Nahles und witzelt: „Allerdings bist du zum Glück froh und munter, obwohl du hängst.“ Kohnen setzt ihr charmantestes Lächeln auf, begleitet Nahles ins Maximilianeum und zeigt ihr erst einmal den Blick über die Stadt.

    Die SPD-Chefin mag München. Sie mag das Oktoberfest. Die CSU und insbesondere ihren Chef, Innenminister Horst Seehofer, zu dem ihr ansonsten ein ganz passables persönliches Verhältnis nachgesagt wird, mag sie zurzeit nicht. Ganz und gar nicht.

    Sie lächeln sich an, sie umarmen sich sogar

    Und dann auch das noch. Ausgerechnet einen Tag vor dem lange geplanten Treffen der SPD-Fraktionsspitzen im Bayerischen Landtag ist Kohnen ihrer Parteivorsitzenden mächtig in die Parade gefahren. Es geht um den Fall des wegbeförderten Hans-Georg Maaßen. Sie sei „nicht einverstanden mit der Entscheidung von Andrea Nahles“ in der Causa, hatte Kohnen wissen lassen. Die SPD könne nicht sagen, dass Maaßen als Chef des Verfassungsschutzes nicht mehr tragbar sei, dann aber zustimmen, dass er im Innenministerium als Staatssekretär noch mehr Verantwortung übernehme. „Das ist nicht akzeptabel“, sagt Kohnen.

    Ein Brief an Nahles kam noch hinterher. Darin forderten Kohnen und ihre Stellvertreterin Johanna Uekermann, dass die SPD-Minister im Kabinett Merkel der Personalentscheidung nicht zustimmen sollen. Alle – in München wie in Berlin – wissen, was das heißt. Kohnen und Uekermann hätte ihren Genossinnen und Genossen in der Bundesregierung auch schreiben können: Entweder ihr setzt euch durch in der Causa Maaßen oder ihr lasst die Koalition mit Merkel und Seehofer platzen.

    Trotzdem lächeln Nahles und Kohnen an diesem Morgen. Es ist der Versuch von Normalität und gespielter Harmonie. So ist das auch am Mittag bei einer Pressekonferenz, bei der es eigentlich um die Themen des SPD-Treffens, um Wohnungsbauförderung und gebührenfreie Kindertagesstätten gehen soll. Als wäre es das normalste der Welt sagt Kohnen: „Es gibt bei uns unterschiedliche Einschätzungen und unterschiedliche Haltungen.“ Nahles kommt ihr entgegen: „Dass ich die Kritik und das Unverständnis über diese Entscheidung nachvollziehen kann, möchte ich hier auch mal betonen.“

    Nahles ist erkennbar in der Defensive. Aber sie verteidigt sich. Sie halte die Entscheidung Seehofers, Maaßen zum Staatssekretär zu befördern, für einen Fehler. Sie habe aber dennoch zugestimmt, weil es eine Entscheidung in seinem Verantwortungsbereich gewesen sei und sie in einer zugespitzte Situation eine „Abwägung“ habe treffen müssen. „Ich hätte klar was machen können, natürlich“, sagt Nahles, aber Seehofer habe Bedingungen gestellt. „Er hat das verknüpft mit der offenen Koalitionsfrage, die im Raum stand.“ Nach ihrer Darstellung war es der CSU-Chef, der als erster „Entweder oder“ gesagt hat.

    Nahles hat sich von Seehofer über den Tisch ziehen lassen, lautet die Kritik

    Nahles kann sich verteidigen, nur es hilft ihr wenig. Die Maaßen-Personalie wächst sich zur bedrohlichen Krise für sie aus, zur größten in ihrer fünf Monate währenden Amtszeit als SPD-Chefin. Sie habe sich von Seehofer austricksen, sich regelrecht über den Tisch ziehen lassen, lautet die Kritik. Andere wie der frühere SPD-Landeschef Michael Groscheck sprechen von einem schweren Fehler, von einem Vertrauensverlust, der schwer wiegt. Der Landtagsabgeordnete Herbert Woerlein aus Stadtbergen bei Augsburg fordert Nahles’ Rücktritt.

    Dabei fühlte sich die SPD-Chefin, berichten Vertraute, noch als Siegerin, als sie am spätsommerlichen Dienstagabend das Kanzleramt verließ. Vielleicht auch, weil sie sich am Wochenende zuvor extrem weit aus dem Fenster gelehnt hatte. Getrieben vom Juso-Vorsitzenden Kevin Kühnert, der die Causa Maaßen zu einem Symbol im Kampf gegen Rechts und damit zu einer Frage der Haltung der SPD stilisiert hatte, stellte sie der Union eine Art Ultimatum. Der Geheimdienstchef müsse wegen seiner unbelegten Mutmaßungen über die rechtsextremen Ausschreitungen in Chemnitz gehen. Und er werde gehen, versprach sie.

    Doch ebenso kategorisch hatte Seehofer angekündigt, er werde seinen Vertrauten Maaßen nicht fallenlassen. Dass der CSU-Vorsitzende so kurz vor der Landtagswahl in Bayern einen peinlichen Rückzieher machen würde, schien ausgeschlossen. Eher hätte Seehofer die Koalition platzen lassen. Nahles dagegen war nicht bereit, nicht wegen einer Personalie, nicht wegen des „Präsidenten einer nachgeordneten Behörde“, wie es die Kanzlerin ausgedrückt hatte.

    Maaßen wird befördert und erhält 2580 Euro pro Monat mehr

    Um dennoch ihr Versprechen zu halten, dass der Geheimdienstchef abgelöst wird, musste Nahles gleich zwei dicke Kröten schlucken: Maaßen wurde nicht entlassen, sondern nach oben wegbefördert, zum Staatssekretär im Innenministerium. Er gehört damit zur erweiterten Regierung – samt Gehaltserhöhung um 2580 Euro auf 14.157 Euro im Monat. Und: Für ihn musste ausgerechnet Staatssekretär Gunther Adler seinen Posten räumen, ein hoch angesehener SPD-Mann und ausgewiesener Experte für das Zukunftsthema Bauen.

    Nahles’ Strategie war es, das allein als Personalangelegenheiten des Innenministers darzustellen. Diese Sprachregelung gab sie an die Bundestagsabgeordneten aus. Doch große Teile ihrer Partei sehen die Sache eben anders. Ihr Intimfeind Sigmar Gabriel etwa nennt den Maaßen-Kompromiss „irre“. Juso-Chef Kühnert stellt wieder einmal die Große Koalition in Frage. Auch der linke Parteiflügel fordert lauter denn je den Ausstieg aus dem ungeliebten Regierungsbündnis. Und dann auch noch Kohnens Aufruf an die SPD-Minister, gegen die Maaßen-Entscheidung zu stimmen – das ist wie offene Rebellion.

    Natürlich kommt auch das nicht von ungefähr. Die bayerische SPD dümpelt in Umfragen hinter den Grünen bei elf Prozent, gleichauf mit der AfD. Kohnen droht als Spitzenkandidatin bei der Landtagswahl ein Debakel. Auch in Hessen sieht es nicht gut aus für die Genossen. Und auf Bundesebene verheißen die Umfragen ebenso wenig Gutes. Anfang des Monats rutschte die SPD auf 16 Prozent ab – noch einmal vier Prozent weniger als bei der desaströsen Bundestagswahl vor einem Jahr.

    Meinungsforscher Manfred Güllner, Chef des Forsa-Instituts, erklärt das so: „Das Regierungsunwilligkeits-Gen sitzt tief in der Partei und im Moment bricht es wieder kräftig durch.“ Güllner, selbst seit Jahrzehnten SPD-Mitglied, sagt, man könne sich selbstverständlich darüber ärgern, „wenn Horst Seehofer Maaßen befördert und einen SPD-Staatssekretär entlässt“. Doch wegen einer solchen vergleichsweise nachrangigen Personalie gleich wieder die ganze Regierung und damit die vom Wähler so dringend gewünschte Stabilität im Land in Frage zu stellen, ergebe ein verheerendes Bild.

    In der SPD reißen die tiefen Gräben wieder auf

    Im Willy-Brandt-Haus jedenfalls quillt das Postfach mit Protestschreiben über – auch, wenn Nahles Meldungen dementiert, wonach es eine Austrittswelle empörter Parteimitglieder gebe. Fest steht, dass in diesen Tagen vieles bei SPD-Leuten hochkommt: der Konflikt über die ungeliebte Große Koalition, die Nahles’ Vorgänger Martin Schulz zunächst kategorisch ausgeschlossen hatte, der erbitterte Streit an der Basis, dann die Mitgliederbefragung, bei der sich nur 66 Prozent für ein neuerliches Bündnis mit der Union aussprachen. Die tiefen Gräben, zeigt sich jetzt, sie reißen wieder auf. Der Neuanfang in der Partei, für den Nahles stehen sollte, droht krachend zu scheitern.

    Mäßigende Stimmen sind selten. Besonders schmerzhaft für die SPD-Chefin ist es auch, wenn manche zunächst einmal gar nichts sagen. So wie ihr Vertrauter Olaf Scholz, der Finanzminister. Lange schwieg der Vizekanzler, dann äußerte er Verständnis für alle, die über Seehofers Personalie den Kopf schütteln. Entscheidungen, die Nahles mitgetroffen und mitgetragen hat. Die SPD-Chefin, so hat es Seehofer am Mittwoch ausdrücklich betont, wusste Bescheid, dass der Kompromiss den Aufstieg Maaßens und die Entlassung des SPD-Manns Adler bedeutet. Nahles wiederum betont, dass für diese Personalentscheidungen allein Seehofer zuständig sei. Und sie sagt: „Ich finde das schwer erträglich. Und ich halte das auch für falsch.“

    Der Fall Maaßen, so viel steht fest, hat nicht nur der SPD geschadet, sondern der der Großen Koalition insgesamt. Das geht aus einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Emnid hervor. Danach sehen 50 Prozent die Bundesregierung als Verlierer. 22 Prozent sind der Auffassung, dass Seehofer erfolgreich aus dem Disput hervorgegangen ist, fünf Prozent sehen einen Erfolg von Angela Merkel. Bei Andrea Nahles sagt das nur ein Prozent.

    Nahles muss sich am Montag zunächst im 45-köpfigen Parteivorstand und dann in einer Sondersitzung der Fraktion rechtfertigen. Schafft sie es nicht, ihre Genossinnen und Genossen zu überzeugen, könnten ihre Tage an der SPD-Spitze tatsächlich gezählt sein.

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