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Fall Böhmermann: Angela Merkels einsame Entscheidung

Fall Böhmermann

Angela Merkels einsame Entscheidung

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    Bundeskanzlerin Angela Merkel ganz allein. Der Fall Böhmermann hat nun einen Keil zwischen Union und SPD getrieben. 
    Bundeskanzlerin Angela Merkel ganz allein. Der Fall Böhmermann hat nun einen Keil zwischen Union und SPD getrieben.  Foto: Gregor Fischer, dpa

    In der Kunst, Konflikte kleinzureden, hat Angela Merkel es mit der Zeit zu einer gewissen Meisterschaft gebracht. „Es gab unterschiedliche Auffassungen“, sagt sie beiläufig, als habe sie mit den Sozialdemokraten gerade über die Fußnoten der nächsten Rentenreform verhandelt. Tatsächlich jedoch stößt die Kanzlerin an diesem Freitag, kurz nach 13 Uhr, ihren Koalitionspartner vor den Kopf wie vielleicht noch nie in dieser Legislaturperiode. Ihre Entscheidung, dem Drängen des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan nachzugeben und noch ein Verfahren gegen den Moderator Jan Böhmermann zuzulassen, trifft sie gegen den ausdrücklichen Willen der SPD. Einsam und ohne sie näher zu begründen.

    Folgt die Kanzlerin Erdogans Wunsch, wegen der Flüchtlingskrise?

    Keine fünf Minuten dauert der Auftritt im Kanzleramt, bei dem Angela Merkel viel von der Freiheit der Meinung und der Unabhängigkeit der Justiz redet, aber wenig über ihre Motive verrät. Folgt sie Erdogans Wunsch so bereitwillig, weil sie in der Flüchtlingskrise alles auf die Karte Ankara gesetzt hat? Warum lobt sie die Türkei ausgerechnet jetzt als Staat, mit dem Deutschland „eng und freundschaftlich“ verbunden sei? Und, vor allem: Muss die Regierung auf Basis eines antiquierten Paragrafen noch ein eigenes Verfahren wegen Präsidentenbeleidigung in die Wege leiten, wo Erdogan längst eine Anzeige gegen Böhmermann bei der Staatsanwaltschaft Mainz gestellt hat?

    Es sind Fragen, auf die an diesem Freitag kein Journalist in Berlin eine Antwort bekommt. Die Kanzlerin liest lediglich eine vorbereitete Erklärung vom Blatt ab, dann klappt sie den Aktendeckel wieder zu – und verabschiedet sich mit dem Versprechen, den umstrittenen Paragrafen bis Anfang 2018 abzuschaffen. Er sei „für die Zukunft entbehrlich“. Im Moment jedoch, so scheint es, wird er noch gebraucht.

    Nicht einmal zwei Tage nach dem Treffen der Partei- und Fraktionsvorsitzenden, bei dem Union und SPD ein neues, kollegialeres Miteinander zelebrierten, hängt der Haussegen in Angela Merkels Koalition schon wieder schief. So offen wie jetzt haben Abgeordnete, Minister, Partei- und Fraktionsobere der SPD selten eine Entscheidung der Kanzlerin kritisiert.

    SPD-Vize Ralf Stegner: "Krasser Mangel an Urteilsfähigkeit"

    „Die Not von Frau Merkel muss sehr groß sein, dass sie sich in absolute Abhängigkeit von Herrn Erdogan begibt“, sagt der Vorsitzende der Deutsch-Türkischen Gesellschaft, der Sozialdemokrat Gerd Andres. Sich bei ausländischen Potentaten für eine Satire zu entschuldigen, zeuge von einem „krassen Mangel an Urteilsfähigkeit“, tobt Parteivize Ralf Stegner.

    Erdogan habe „alle rechtlichen Möglichkeiten als türkischer Staatsbürger, seine Ehre vor deutschen Gerichten zu verteidigen“, sekundiert Fraktionschef Thomas Oppermann. „Dazu braucht er nicht die Hilfe der Bundesregierung.“ Und die, die Angela Merkels Türkei-Politik schon immer für etwas zu anbiedernd gehalten haben, fühlen sich sowieso bestätigt: Am nächsten Wochenende fliegt die Kanzlerin mit EU-Ratspräsident Donald Tusk und Kommissionsvize Frans Timmermans nach Gaziantep, einer Stadt an der Grenze zu Syrien, in der viele Flüchtlinge Unterschlupf suchen.

    Dass aus einer Satire überhaupt eine Staatsaffäre werden konnte, liegt vor allem an der Formulierung „bewusst verletzend“. So hatte Angela Merkel in einem Telefonat mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu Böhmermanns Gedicht bezeichnet – und Erdogan damit eine Steilvorlage geliefert.

    Wenn die deutsche Regierungschefin schon argumentiert wie eine Staatsanwältin, dürfte der sich gedacht haben, kann sie ihm den Wunsch nach einem speziellen Verfahren wegen Präsidentenbeleidigung ja schlecht abschlagen.

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