Nach dem zehnten Klingeln des Telefons meldet sich endlich jemand von der Burschenschaft „Olympia“ in Wien. Es ist schon später Vormittag, aber offenbar wird er aus dem Tiefschlaf gerissen. „Nein“, sagt die männliche Stimme, „wir geben keine Interviews. Niemand von uns wird mit Ihnen sprechen.“ Die „Olympia“ gilt als älteste „deutsche“ Burschenschaft in Österreich. Ihr werden Kontakte zu rechtsextremen Gruppen nachgesagt, deshalb hat sie der Verfassungsschutz im Blick.
Also nächster Versuch.
Die Mädelschaft „Freya“ ruft immerhin zurück. Wenn auch die Botschaft ähnlich ist: „Hier ist Franziska von der Mädelschaft. Wir wissen, dass Journalisten uns ohnehin nur in ein schlechtes Licht rücken. Das brauchen wir nicht. Deshalb reden wir nicht mit Ihnen“, sagt eine junge Frau. Sie erklärt noch rasch, dass auch eine Mädelschaft ein Lebensbund, also auf Dauer angelegt ist, und verabschiedet sich dann höflich.
Man muss mit solchen Abfuhren rechnen, seit der Skandal bei der Burschenschaft „Germania“ aufgedeckt wurde und klar ist, dass Österreich ein größeres Problem mit seinen Burschenschaftlern hat als wohl gedacht. Nicht mit allen etwa 4000 im Land, muss man betonen, aber mit vielen von ihnen. Mit Leuten, die ihre deutschnationale bis antisemitisch-radikale Gesinnung nicht nur im stillen Kämmerlein ausleben. Aus diesen Kreisen rekrutiert die rechtspopulistische FPÖ, Teil der neuen Regierung, auch Nachwuchsleute für wichtige Posten: in Ministerien, im Parlament, in staatlichen Unternehmen und auch beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk ORF. Vizekanzler HeinzChristian Strache, Verkehrsminister Norbert Hofer und andere führende FPÖ-Politiker gehören Burschenschaften an. Entsprechend hat der Fall „Germania“ eine gewaltige politische Sprengkraft entfaltet, die nicht nur Strache, sondern auch Kanzler Sebastian Kurz von der konservativen ÖVP in Schwierigkeiten bringen könnte.
Die FPÖ will ihre Geschichte aufarbeiten lassen
Jüngste Konsequenz: Die FPÖ will nicht nur ihr Verhältnis zu den Burschenschaften, sondern gleich ihre ganze Geschichte von einer „Historikerkommission“ aufarbeiten lassen. Am Montagabend wollte der Parteivorstand dies beschließen. Details waren bis zu Beginn der Sitzung geheim, nicht einmal der Tagungsort wurde bekannt gegeben.
Wer sind diese Burschenschaften und warum stehen sie so im Blickpunkt? Was manche anzieht und andere gleichzeitig abstößt, sind ihre mitunter seltsam-altertümlich anmutenden Rituale. Burschenschaften sind Studentenverbindungen. Wer einmal eintritt, bleibt im Regelfall für den Rest des Lebens dabei. Bei Versammlungen sieht man dann Männer in festlicher Kleidung mit runden Käppchen auf dem Kopf und farbigen Bändern quer über die Brust gespannt, in einem halbdunklen Gewölbekeller sitzen. Sie singen, skandieren Trinksprüche und trinken Bier. In ihren Verbindungshäusern hängen Wappen und schwarz-rot-goldene Fahnen, Fotos ehemaliger Mitglieder und allerlei alter Plunder an der Wand.
Handelt es sich um eine schlagende Verbindung, wird mehrmals im Jahr mit scharfen Klingen gefochten, die sie in Wien „Schläger“ nennen. Augen und Ohren sind durch eine Stahlbrille und Lederriemen geschützt. Trotzdem fließt oft Blut. Zurück bleiben Narben, vor allem im Gesicht. Die Schmisse werden dann gleich von einem Mediziner verarztet. Wer sich tapfer schlägt, steigt in der Hierarchie auf.
Burschenschaft ist nicht gleich Burschenschaft, auch das gehört zur Wahrheit. Die meisten stehen nur Männern offen, ganz wenige nur Frauen, einige auch beiden Geschlechtern. Es gibt christlich orientierte, liberale Gruppen, aber eben auch deutschnationale und darunter wiederum welche, die mit Holocaust-Leugnern, Neonazis und der Identitären Bewegung kooperieren. Von der „Germania zu Wiener Neustadt“ mit ihren 70 Mitgliedern weiß man seit gut zwei Wochen zumindest, dass in deren Liederbuch ein offen antisemitischer Text steht. Darin heißt es in Anspielung auf die im Nationalsozialismus ermordeten sechs Millionen Juden: „Da trat in ihre Mitte der Jude Ben Gurion: ,Gebt Gas, ihr alten Germanen, wir schaffen die siebte Million.‘“
Ein internationaler Sturm der Entrüstung erhob sich. Stellvertretender Vorsitzender der „Germania“ ist Udo Landbauer, 31, der als talentierter niederösterreichischer Politiker galt und Spitzenkandidat der FPÖ für die Landtagswahl war. Inzwischen ist er von seinen Ämtern zurückgetreten. Innenminister Herbert Kickl, ebenfalls ein Freiheitlicher, kündigte zudem an, die „Germania“ auflösen zu wollen.
Trotzdem scheinen alle Versuche von FPÖ-Chef Strache im zurückliegenden Wahlkampf, seiner Partei einen seriösen, staatstragenden Anstrich zu geben, zunichtegemacht. Auf dem Wiener Akademikerball, einem Treffpunkt von Europas Burschenschaftlern, bemühte er sich um Schadensbegrenzung. Jeder „anständige Bürger, jeder Couleurstudent und jeder Waffenstudent“ müsse Antisemitismus, Rassismus und totalitärem Denken entgegentreten, sagte er. „Wer das nicht teilt, der ist bei uns nicht willkommen. Wem das nicht passt, der kann aufstehen und gehen.“
Nur einer ist gegangen - und das nicht freiwillig
Bis auf Udo Landbauer ging bisher niemand. Und dieser wurde auch noch dazu gedrängt.
Christian Neschwara ist Professor für Verfassungs- und Rechtsgeschichte an der Wiener Universität. Und: Er gehört der schlagenden Burschenschaft „Gothia“ an. Er räumt ein, dass es in vielen Studentenverbindungen einen „latenten Antisemitismus gibt, der zur fahrlässigen Handhabung“ des Themas Holocaust führt. Festgeschrieben wurde dieser Antisemitismus 1896 im Waidhofener Abkommen, das völkische Wiener Studentenverbindungen schlossen. Darin wurde Juden „die Ehre“ abgesprochen und sie von Duellen ausgeschlossen.
Selbst der ehemalige Europa-Abgeordnete der FPÖ, Andreas Mölzer, Mitglied des „Corps Vandalia Graz“, sieht einen „historisch gewachsenen“ antisemitischen Rand – ein Denken, das nach der NS-Zeit teilweise erhalten geblieben sei. Noch als Parlamentarier erregte Mölzer Aufsehen, als er die EU als chaotisches „Negerkonglomerat“ bezeichnete. Unter anderem diese Entgleisung kostete ihn die zweite FPÖ-Spitzenkandidatur für das Europäische Parlament 2014.
Bis heute haben Burschenschaften Zulauf, auch weil sie – häufig unter dem Marktpreis – Zimmer an Studenten vermieten. Trotz der aus der Zeit gefallenen Rituale schaffen sie es, neue Mitglieder zu binden. „Es gibt keinen Standesdünkel“, sagt Neschwara über seine eigene Burschenschaft. „Es wird auch kein Nachweis der Staatsbürgerschaft verlangt. Es ist vielmehr so, dass die Mitglieder ein Leben lang füreinander einstehen und sich in schweren Zeiten unterstützen, auch finanziell und beruflich.“
Das Motto der meisten Burschenschaften lautet „Ehre, Freiheit, Vaterland“. Dabei gilt der Ehrbegriff nur für den exklusiven Kreis der Burschenschaftler. Neschwara wünscht sich, dass der Ehrbegriff auch Andersdenkenden gegenüber gelten soll. „Das starke Verhaftetsein in der eigenen Tradition“ hält er „für unvernünftig“. Und beim Liedgut müsse man sich teilweise fragen, ob es „noch dem guten Geschmack entspreche“.
Auch Neschwara hat Mensuren gefochten; mehr, als es für ein Burschenschaftsmitglied Pflicht war. Inzwischen sieht man die Narben seiner Verletzungen kaum noch. Die Mensur-Erfahrung sei „persönlichkeitsprägend“ gewesen, sagt der Mann mit leiser Stimme. Fechten sei ein Initiationsritus; eine Mutprobe, durch die sich die Bundesbrüder verbunden fühlten. So sieht er das.
Fakt ist aber auch: In den Köpfen vieler Burschenschaftler steckt noch immer das Ideal vom großdeutschen Reich. „Die Kombination aus unbedingtem Anschlusswunsch (an das Deutsche Reich, d. Red.) und Antisemitismus führte sie dann relativ geschlossen in die Reihen des Nationalsozialismus“, sagt der Extremismus-Experte Bernard Weidinger. In der NS-Zeit wurden die Verbindungen aufgelöst, wie alle anderen Organisationen auch. „Sie trafen sich nur noch privat“, erzählt Neschwara. Bis sie sich nach dem Krieg neu organisierten und in den siebziger und achtziger Jahren sogar liberalisierten. Die erneute Radikalisierung erfolgte in den Neunzigern, als Burschenschaften ihr Profil durch Ausländerfeindlichkeit, patriarchalische Strukturen und Deutschtümelei schärften. Seit der ersten Regierung von ÖVP und FPÖ werden sie öffentlich gefördert.
Droht sogar eine Spaltung des rechten Lagers?
Als Jörg Haider die FPÖ als österreichisch-patriotische Partei 1999 in die erste schwarz-blaue Koalition führte, dann aber die Umfragewerte sanken, rebellierten die Burschenschaftler. Damals war es Heinz-Christian Strache, der den Aufstand gegen Haider organisierte. Ex-Abgeordneter Mölzer sieht die Gefahr, dass sich die Lage in der Partei nun wieder zuspitzen könnte. Haider habe damals „versucht, die Korporationen herauszudrängen, weil sie ihm zu unbequem waren“, sagt er. „Das sind keine Ja-Sager, sondern unbequeme Leute, die ihren eigenen Kopf haben und über Jahrzehnte das Dagegensein verinnerlicht haben.“ Deshalb müsse die FPÖ jetzt „für Hygiene im eigenen Haus sorgen“. Als Regierungspartei müsse sie sich verändern. Dazu könne die Historikerkommission beitragen.
Eine erneute Spaltung des rechten Lagers brächte die Regierung Kurz/Strache schwer in Bedrängnis. Der ÖVP-Bürgermeister von Tulln in Niederösterreich, Peter Eisenschenk, hat nach der Nationalratswahl im Oktober auf der Internetseite der Stadt geschrieben: „Die neue Rolle der FPÖ ist demokratisch legitimiert, das ist zu akzeptieren. Sobald sich jedoch das deutsch-nationale, das hetzende, das menschenverachtende oder sonst irgendein hässliches Gesicht der FPÖ in der Regierungsarbeit zeigt, muss die Zivilgesellschaft dagegen aufstehen. Diesen Widerstand wird es auch in der ÖVP geben.“ Auf Sebastian Kurz könnten schwierige Zeiten zukommen. (mit anf)