Herr Harder, wie geht es denn den Impfgegnern in der Corona-Zeit?
Bernd Harder: Ein Journalist hat kürzlich darüber geschrieben, welche Weltanschauungen nach der Corona-Krise nicht überleben werden und hat auch die Impfgegner genannt. Der Gedanke dabei war: Jetzt müssten die Leute doch sehen, was in einer Welt passieren würde, in der es keine Impfungen gibt, in der sie jedem gefährlichen Erreger ausgeliefert wären. Das ist eine naive Vorstellung. Bei den radikalen Impfgegnern in Deutschland passiert eher das Gegenteil. Die radikalisieren sich im Moment immer weiter. Das sieht man ja auch jetzt in Berlin, an diesen sogenannten Hygiene-Demos, die samstags stattfinden. Da sind auch auffallend viele Impfgegner dabei. Eines ihrer Idole, Hans Tolzin, hat gleich zu Beginn der Corona-Krise einen Preis von 100.000 Euro ausgelobt, dass ihm jemand beweisen soll, dass das Virus existiert.
Ist das nicht leicht verdientes Geld?
Harder: Wir kennen solche Auslobungen nur allzu gut von dem „Masern-Prozess“ 2016. Auch damals hatte ein Anhänger dieser Verschwörungsmythen 100.000 Euro für einen Existenznachweis des Masernvirus versprochen. Ein Arzt legte ihm daraufhin mehrere anerkannte Studien vor. Trotzdem verlor der Mediziner den Prozess aus rein formaljuristischen Gründen, weil der Impfgegner die Bedingungen für die Auslobung laut Gericht selbst bestimmen dürfe und somit auch, welchen Beweis er akzeptiere. Da es solchen Leuten ja nicht wirklich um Erkenntnis geht, sondern um eine unerschütterliche Grundüberzeugung, finden die immer einen Weg, sich aus der Affäre zu ziehen. Es ist daher völlig sinnlos, Herrn Tolzin die hunderten Studien von Forschern verschiedener Länder zum neuartigen Coronavirus zu zeigen.
"Die begreifen nicht, dass die Maßnahmen funktionieren"
Wie bewerten die Leugner denn dann das Coronavirus?
Harder: Sie sagen einerseits, das Coronavirus ist ein Fake, es existiert nicht. Andere, die einräumen, dass es das gibt, sagen, es werde total überschätzt. Das sagt Tolzin auch auf seiner Website, wo er vermeintliche Experten zitiert, die ähnliche Ansichten wie er vertreten. Die zeigen auf die Krankenhäuser und sagen, die Kliniken sind leer - sie begreifen nicht, dass die Kliniken deshalb leer sind, weil die Maßnahmen funktionieren.
Eigentlich hätte man denken können, dass den Impfgegnern jetzt die Argumente fehlen, weil ohne Impfung noch viel mehr Menschen am Virus erkranken und sterben könnten...
Harder: So denken Impfgegner aber nicht, die haben schon lange gesagt: Entweder es gibt keine Viren oder aber sie seien überhaupt nicht gefährlich und man müsse Krankheiten durchmachen. Denn das entspreche der Natur und sei viel besser. Allerdings bekommen wir nun drastisch vor Augen geführt, dass die Natur nicht unser Bestes will. Aber das ist nicht die Denkweise. Sie sagen nur: Diese ganze Impferei ist eine große Verschwörung und nur dazu da, um entweder die Pharmaindustrie reich zu machen oder, wie aktuell, Gesetze außer Kraft zu setzen.
Impfgegner richten sich gegen den Staat, Gesundheitsbehörden und Bill Gates
Gegen wen richteten sich denn die Impfgegner? Häufig wird ja der Microsoft-Gründer Bill Gates beschuldigt.
Harder: In den Foren sieht man, dass der ein ganz großes Feindbild ist. Aber es gibt auch ein abgrundtiefes Misstrauen gegenüber Staat und Gesundheitsbehörden. Was die radikalen Impfgegner aus ihrer Sicht nun erleben, ist das, was sie immer befürchtet haben: Jetzt macht der Staat sozusagen ernst, die Freiheit wird beschnitten, es kommt die Zwangsimpfung. Und da werden die üblichen Verdächtigen ausgemacht, in erster Linie Bill Gates, weil er sich seit Jahren für die Entwicklung von Impfstoffen engagiert. All das Misstrauen, weshalb diese Leute bisher Impfgegner waren, werden eher noch verstärkt, jetzt müssen sie zum Beispiel Masken tragen. Dazu gibt es auch ein Meme im Internet, da steht, dass die Masken sie jetzt als Sklaven kennzeichnen. Sie sollen jetzt also diese Masken tragen, weil sie ihren Sklavenstatus nach außen tragen sollen. Das ist eine Reaktion der Impfgegner auf die Situation. Das gilt für den harten Kern von etwa drei Prozent.
Was gibt es denn da für Unterteilungen?
Harder: Es gibt eine Studie aus Frankreich, die haben 2019, also vor der Corona-Krise, herausgefunden, dass in Deutschland rund drei Prozent der Eltern jede Impfung ihrer Kinder ablehnen – egal gegen welche Krankheit. Das sind praktisch die harten Impfgegner, also eher Impfverweigerer. Und diese Menschen sind die treibende Kraft hinter dem, was wir aktuell an Radikalisierung beobachten. Darüber hinaus gibt es etwa zehn Prozent Impfskeptiker, die Vorbehalte verschiedener Art gegen Impfungen haben, aber vermutlich mit guten Argumenten noch zu erreichen wären.
"Das ist keine völlig homogene Gruppe"
Und wie wird das Virus von denen gesehen, die da nicht ganz so radikal sind?
Harder: Da könnte die Corona-Krise möglicherweise ein Umdenken bewirken. Es setzt ja niemand einfach so leichtfertig die Gesundheit und das Leben seiner Kinder aufs Spiel.
Sie haben gesagt, dass die Impfgegner teilweise die Existenz des Virus bezweifeln, andere sehen es als ungefährlich an. Widersprechen die sich da nicht gegenseitig?
Harder: Das ist wie bei jeder Verschwörungstheorie, es gibt Leute, die sich entweder selbst oder anderen in dieser Community widersprechen. Das ist keine völlig homogene Gruppe. Was aktuell genau passiert, da haben viele untereinander abweichende Vorstellungen, aber das Hauptnarrativ ist, dass nicht stimmt, was die Regierung uns erzählt. Was dann im Einzelnen nicht stimmt, das kann durchaus unterschiedlich sein.
Man einigt sich letztendlich also in einem Feindbild?
Harder: Ja, darum geht es im Grunde: Angebliche „Pläne“ und „Profiteure“ der Corona-Krise zu entlarven und Feindbilder zu konstruieren.
"Viele Impfgegner sitzen in Berliner Nobelvierteln"
Wie sind die Impfgegner organisiert? Sie haben schon Demonstrationen angesprochen.
Harder: Das ist ein geringer Organisationsgrad. Was es an Strukturen gibt, sind die impfkritischen Elternstammtische, die anscheinend regelmäßig stattfinden, wohl auch hier in der Gegend, vor allem Richtung Allgäu. Ort und Termine werden aber nur auf Anfrage mitgeteilt. Dann gibt es solche Demos wie in Berlin. Aber überwiegend, wie bei allen Verschwörungstheorien, ist das eine Internet-Blase, die haben ihre geschlossenen Foren und radikalisieren sich dort.
Gibt es da bestimmte Mechanismen, wie sich so etwas verbreitet?
Harder: Es sind im Grunde Internetphänomene, da pflanzt sich das fort, vor allem über die Foren und Newsletter.
Aber wie rutscht man denn da rein? Nicht jeder dieser radikalen Impfgegner wird ja schon von klein auf so gedacht haben?
Harder: Das ist wie mit anderen Verschwörungstheorien auch. Die Arbeitshypothese von Forschern war lange, dass diese Menschen nicht gut informiert sind. Das ist vollkommen falsch. Viele Impfgegner sitzen zum Beispiel in Berliner Nobelvierteln, wie dem Prenzlauer Berg. Das ist kein Bildungsproblem, im Gegenteil. Impfgegner vertrauen eher ihrem Gefühl als Fakten und haben die Einstellung, dass alles aus der Natur gut ist. Aber Giftpflanzen, Skorpione, Erdbeben, das gehört auch zur Natur. Eine andere Sache ist, wie man sich radikalisiert: Es gibt häufig ein Grundmisstrauen gegenüber dem Staat, seinen Institutionen und dem Gesundheitssystem. Die seien alle pharmahörig und wollten uns nur krank machen. Und die Freiheit ist auch so eine Sache. Jeder von uns liebt die Freiheit. Aber es gibt Leute, die stilisieren sich in der jetzigen Situation zu Freiheitshelden. Die machen, was sie wollen, und das scheint im Moment so ein weiterer Punkt zu sein, dass manche Bürger einen absoluten Widerwillen gegen jede staatliche Maßnahme haben. Das kann man mit der Impfverweigerung natürlich schön demonstrieren, indem man sagt: "Ich zeige dem Staat, dass ich mir von euch nichts gefallen lasse."
Zur Person: Bernd Harder ist Pressesprecher der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften und forscht zu Verschwörungstheorien.
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