Herr Kubicki, wie oft am Tag bereuen Sie, dass die FDP Nein zu Jamaika gesagt hat?
Wolfgang Kubicki: Ich bereue gar nichts. Es ist schade, dass es nicht geklappt hat. Aber wenn es inhaltlich nicht passt und zu wenig Vertrauen da ist, dann ist es einfach so.
Aber Sie wären schon gerne Finanzminister geworden, oder?
Kubicki: Wenn Jamaika geklappt hätte, war es im Bereich einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit gewesen, dass das Finanzministerium an die Freien Demokraten gegangen wäre. Und dann hätte es wieder eine Wahrscheinlichkeit gegeben, dass ich dieses Amt ausgefüllt hätte. Aber mir ging und geht es nicht darum, Minister zu werden. Das wollte ich nie in meinem Leben.
Nun hat Olaf Scholz Ihren Job. Trauen Sie ihm zu, die Finanzen stabil zu halten?
Kubicki: In Hamburg hat er das einigermaßen ordentlich gemanagt. Ich traue ihm zu, dafür Sorge zu tragen, dass Deutschland nicht mehr Geld ausgibt als es einnimmt.
Die ersten Minister fordern schon ein höheres Budget. Wird Scholz dagegenhalten?
Kubicki: Wenn es einer schafft, standhaft zu bleiben, ist es Olaf Scholz mit seiner trockenen Art.
Auch Horst Seehofers ist neu im Kabinett. Wie beurteilen Sie sein Comeback als Bundesminister?
Kubicki: Seehofer ist besser, als ich es vor den Sondierungsgesprächen gedacht hatte. Aber seinen Versprechen, in Sachen Abschiebungen oder Integration Großes leisten zu wollen, sind bisher ja keine Taten gefolgt. Ich warte also noch darauf, dass Horst Seehofer mehr wird als ein Ankündigungsminister. Momentan macht er ja vor allem Wahlkampf für Bayern.
Das tut auch Markus Söder. Was halten Sie von der Entscheidung, in allen bayerischen Behörden Kreuze aufhängen zu lassen?
Kubicki: Davon halte ich wenig, weil der Staat per Verfassung zur Neutralität verpflichtet ist. Herr Söder will dem ausweichen, indem er erklärt, das Kreuz habe mit der kulturellen Geschichte Bayerns zu tun. Das ist Unsinn und die katholische Kirche hat auch angemessen darauf reagiert.
Sie entspannen bekanntlich am besten mit Kriegsfilmen. Schalten Sie in letzter Zeit wieder öfter den Fernseher ein?
Kubicki: Ich schaue gelegentlich noch Kriegsfilme, aber deutlich weniger als früher. Mir fehlt einfach die Zeit. Wir tagen im Bundestag ja teilweise bis nach Mitternacht.
Sie haben ja mal gesagt, sie wollen gar nicht nach Berlin, weil Sie dort mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Trinker oder Hurenbock werden würden. Verläuft Ihr Privatleben nun in geordneten Bahnen?
Kubicki: Das ist ja schon einige Jahre her. Heute bin ich sittlich und moralisch gefestigt. Außerdem ist meine Frau sehr häufig hier. Es ist wirklich wichtig, auch mal einen Abend oder ein gemeinsames Frühstück zu haben, um sich in Ruhe zu unterhalten. Ich habe außerdem von Claudia Roth, mit der ich seit über 40 Jahren befreundet bin, eine Liste von 15 Restaurants bekommen, die ich jetzt nacheinander abarbeite.
Wie weit sind Sie schon gekommen?
Kubicki: Erst bei Position drei, ich habe also noch ein bisschen was vor mir.
Der Abschied aus Kiel ist Ihnen schwer gefallen. Sie haben sogar ihrem Lieblingsgegner Ralf Stegner eine Träne nachgeweint, was war denn da los?
Kubicki: Wenn Sie nach 25 Jahren weggehen, dann ist das schon ein Abschied aus der Heimat. Ich habe mich gerne mit Ralf Stegner gestritten, aber wir waren uns auch immer bewusst, dass wir eine hohe Verantwortung für die Gemütslage der Menschen tragen. Wir haben im Umgang miteinander nie absichtlich Grenzen überschritten, wie manche Kollegen von der AfD das tun.
Haben Sie Angst um die Debattenkultur in Deutschland?
Kubicki: Ein bisschen Polemik und Witz können in der politischen Auseinandersetzung durchaus dabei sein. Aber vor allem sollen sich Argumente kreuzen. Bei vielen Beiträgen der AfD - nicht bei allen - geht es aber nur um Populismus und Provokation. Ich habe mal versucht, meinen Freunden von den Grünen zu erklären, dass sie sich nicht immer gleich darüber aufregen sollen, denn dadurch bekommt die AfD mehr Aufmerksamkeit als ihr zusteht. Je entspannter und ruhiger wir mit der AfD umgehen, desto weniger funktioniert deren Taktik des ständigen Provozierens.
Aber auch Sie haben sich schon mit der AfD angelegt.
Kubicki: Manche Dinge darf man nicht unwidersprochen lassen. Zum Beispiel, wenn Alexander Gauland Menschen in Anatolien „entsorgen“ will. Menschen sind kein Abfall. Das muss man diesen Leuten klarmachen. Aber natürlich ist das gefährlich, weil sich durch die Verschärfung des Tones wiederum andere bemüßigt fühlen könnten, unflätig darauf zu reagieren.
Als Bundestagsvize müssen Sie eher moderieren. Fällt Ihnen das schwer?
Kubicki: Das fällt mir in der Tat schwer. Aber ich habe ja die Möglichkeit, durch Mimik und Gestik oder eine kurze Bemerkung deutlich zu machen, was ich von einem Wortbeitrag halte, ohne dabei Grenzen zu überschreiten.
Sie sind ja nie um einen lockeren Spruch verlegen - auch Frauen gegenüber. Sind Sie froh, dass Sie die Sexismus-Debatte einigermaßen unbeschadet überstanden haben?
Kubicki: Ich gebe zu, es ist mir öfter schon passiert, dass sich Frauen über einen Spruch beschwert haben. Aber wenn Frauen sich schon beeinträchtigt fühlen, wenn ich sie anlächele, dann ist es eben so.
Zuletzt gab es Wirbel um einen Handkuss, den Sie Katrin Göring-Eckardt gegeben haben...
Kubicki: Sie selbst hat sich nicht beschwert. Ich habe ihr aber nach vier Wochen Jamaika gesagt, dass das nie wieder vorkommen wird. Aber mein grüner bayerischer Kollege Anton Hofreiter, der ja weiß, wie Frauen denken - zumindest hat er mir das mal in einer Talkshow erklärt -, hat sich sehr empört. Er hält den Handkuss für eine verächtliche Geste. Kann ich nicht nachvollziehen, ist mir aber auch egal. Es gehört im Übrigen auch nicht zu meinem ständigen Repertoire, Frauen so zu begrüßen.
Stimmt es eigentlich, dass Ihr Verhältnis zu Christian Lindner angespannt ist?
Kubicki: Ich habe natürlich Verständnis dafür, dass die Medien gerne über einen Streit spekulieren, aber der Eindruck täuscht.
In der Frage des Umgangs mit Russland hat Lindner Ihre Position aber als Einzelmeinung in der FDP abgetan.
Kubicki: Auch Christian Lindner ist der Meinung, dass wir neue Gesprächskanäle nach Moskau eröffnen müssen. Für ihn wäre der erste Schritt, Russland in den Kreis der G8 zurückzuholen. Dafür brauchen wir aber die Zustimmung der anderen. Ich glaube, dass wir mit der Lockerung der Wirtschaftssanktionen einen ersten Schritt auf Russland zumachen sollten, denn das kann Deutschland alleine entscheiden.
Lindner wirkt genervt von dem Thema, lässt er Sie das spüren?
Kubicki: Ihn nerven vielleicht die ständigen Nachfragen und der Versuch, ein Zerwürfnis zwischen uns beiden zu konstruieren. Aber noch einmal: Das ist kein persönlicher Streit und erst recht keine Machtprobe.
Droht diese Meinungsverschiedenheit auf dem Parteitag Mitte Mai zu eskalieren?
Kubicki: Nein, wir werden eine gemeinsame Linie finden, weil wir uns im Ziel ja weitestgehend einig sind. Wir wollen wieder eine gute Nachbarschaft zu Russland herstellen. Denn eines steht fest: Es geht nur mit und nicht gegen Russland.
Zumal der andere große Partner, die USA, unberechenbar geworden ist. Sind Sie enttäuscht, dass die Kanzlerin Donald Trump nicht von Strafzöllen auf EU-Produkte abbringen konnte?
Kubicki: Nein, sie hat das Mögliche getan, um den amerikanischen Präsidenten von einem Handelskrieg mit Europa abzuhalten. Aber das passt nicht zum Naturell von Donald Trump. Der Mann ist Bauunternehmer. Er hat in seinem Leben gelernt, dass er etwas erreicht, wenn er erst einmal auf den Tisch haut. Für ihn gibt es nur eine Devise: Trump first. Wir werden ihn weniger durch Argumente überzeugen, als durch konkrete Reaktionen.
Das heißt, Europa soll in einem möglichen Handelskrieg mit Strafzöllen zurückschlagen?
Kubicki: Das wäre sicherlich nicht die beste aller Lösungen. Wir sollten der US-Administration vielmehr zeigen, dass wir bereit sind, auch mit anderen Staaten Handelsabkommen abzuschließen - deshalb wäre die schnelle CETA-Ratifizierung so wichtig. Washington muss merken, dass wir am Freihandel weiterhin interessiert sind und entsprechende Abkommen auch mit Japan oder Südkorea eingehen. Dann stellen vielleicht alle Beteiligten fest, dass es sinnvoller ist, nicht gegeneinander Politik zu machen, sondern miteinander. Dann wäre vielleicht auch wieder TTIP möglich.
Bis dahin kann aber schon ein großer atmosphärischer und wirtschaftlicher Schaden entstanden sein...
Kubicki: Ja, aber das ist im Leben eben so. Die Alternative wäre, nicht zu reagieren und dann glaubt der andere irgendwann, dass er immer so weitermachen kann. Amerika kann einen Handelskrieg nicht gewinnen. Nicht gegen Europa und erst recht nicht gegen China. Das müssen wir Donald Trump klarmachen.
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