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Exklusiv-Interview: Lobbyisten fordern Lobby-Beauftragten für den Bundestag

Exklusiv-Interview

Lobbyisten fordern Lobby-Beauftragten für den Bundestag

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    Transparency International und der Verband der chemischen Industrie fordern mehr Transparenz in der Politik. Sie fordern einen Lobby-Beauftragten für den Bundestag.
    Transparency International und der Verband der chemischen Industrie fordern mehr Transparenz in der Politik. Sie fordern einen Lobby-Beauftragten für den Bundestag. Foto: Michael Kappeler, dpa

    Frau Müller, ist Herr Tillmann als Hauptgeschäftsführer des Verbandes der chemischen Industrie ein Lobbyist?

    Müller: Ja, er ist ein Lobbyist, so wie ich als Vorsitzende von Transparency International Deutschland auch eine Lobbyistin bin.

    Warum?

    Müller: Weil er bestimmte Interessen gegenüber der Politik vertritt, wie ich auch. Das ist absolut legitim, denn das gehört zum Wesenselement der Demokratie.

    Also ist Lobbyismus per se nichts Schlechtes?

    Müller: Nein. Nach Artikel 9 des Grundgesetzes haben alle Bürger das Recht, sich zu Vereinen oder Verbänden zusammenzuschließen, um ihre Interessen gemeinsam zu vertreten.

    Dennoch hat Lobbyismus einen schlechten Ruf.

    Müller: Das hat seine Gründe, weil wir innerhalb der Interessenvertreter eine zunehmende Ungleichheit feststellen. Zwar hat jeder das Recht, seine Interessen zu artikulieren, aber wir brauchen auch Chancengleichheit, damit faire Bedingungen herrschen. Wir haben aber im Bereich des Lobbyismus inzwischen eine völlig neue Situation. Die klassischen Verbände, die die Interessen ihrer Branche, ihrer Mitglieder oder einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe bündeln und somit für den politischen Willensbildungsprozess wichtige Ansprechpartner sind, geraten zunehmend ins Hintertreffen. Denn durch kommerzielle Dienstleistungsunternehmen, vor allem hoch spezialisierte Anwaltskanzleien oder Unternehmensberater, die vor allem im Auftrag von multinationalen Konzernen tätig werden und gezielt Einfluss nehmen, verändern sich die Spielregeln.

    Ist das der Grund, warum plötzlich Transparency International und der Verband der Chemischen Industrie an einem Strang ziehen, wenn es um klare Spielregeln für Lobbyisten und mehr Transparenz geht?

    Müller: In der Tat, das Prinzip der Bündelung der Interessen durch die Verbände, der Ausgleich der Interessen durch unterschiedliche Verbände, wird dadurch gestört. Deshalb ist Transparenz so wichtig. Wir sitzen hier zusammen, weil es uns um Chancengleichheit und Nachvollziehbarkeit politischer Entscheidungen geht.

    Utz Tillmann ist der Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI). Er wünscht sich mehr Transparenz in der Lobbyarbeit.
    Utz Tillmann ist der Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI). Er wünscht sich mehr Transparenz in der Lobbyarbeit. Foto: Kay Nietfeld, dpa

    Herr Tillmann, wenn man Sie einen Lobbyisten nennt, trifft Sie das?

    Tillmann: Überhaupt nicht. Ich sehe das auch nicht negativ. Lobbyismus ist heute etwas anderes als früher. Es geht nicht darum, immer nur Nein zu sagen oder etwas zu verhindern, sondern Vorschläge zu machen, mit denen die Politik auch etwas anfangen kann. Das ist nur im Dialog möglich. Über allem steht die Frage: Wie werden wir unserer Verantwortung gerecht – gegenüber unseren Mitgliedsunternehmen, gegenüber den Beschäftigten, aber auch gegenüber der Gesellschaft.

    Haben Sie die Handynummer der Bundeskanzlerin?

    Tillmann: Nein, aber wir kennen ihre Büronummer. Und das ist auch unser Ansatz: Wenn wir Wünsche oder Informationsbedarf haben, schicken wir keine SMS, sondern machen einen offiziellen Termin. Das verstehen wir unter Transparenz. Da wird nichts im dunklen Hinterstübchen gemauschelt.

    Müller: Das ist der große Irrtum. Unerfahrene Interessenvertreter sind immer glücklich, wenn sie einen Vier-Augen-Termin bei einem Minister bekommen. Aber das ist ein Termin, den kann man abschreiben. Bei einem ernst zu nehmenden Termin ist nicht nur der Minister, sondern auch der Staatssekretär und Vertreter der Fachebene des Ministeriums dabei, die Vermerke anfertigen. Ein Termin bei einem Minister ist nett, aber hat keine Folgen. Ein Minister, selbst die Kanzlerin, entscheiden in unseren demokratischen Prozessen nicht alleine. Deswegen muss man immer dafür sorgen, dass die Anliegen in den Gesamtapparat einfließen. Deshalb ist auch die Annahme, Lobbyismus hat nur Erfolg, wenn er im Dunkeln stattfindet, völliger Blödsinn. Fairer Lobbyismus ist transparent, weil er die Regeln des demokratischen Diskurses respektiert.

    Was ist für Sie wichtiger: gute Kontakte zur Ministerialbürokratie, wo die Gesetzentwürfe geschrieben werden, oder zu Abgeordneten, die über die Gesetze entscheiden?

    Tillmann: Beide sind gleich wichtig. Ein Gesetz hat fachliche Elemente, die stimmig sein müssen. Dafür ist die Fachebene der Ministerialbürokratie verantwortlich. Und es gibt politische Aspekte, dafür sind die Politiker zuständig. Und beide sollen wissen, dass ich mit dem jeweils anderen auch geredet habe.

    Hat schon mal ein Abgeordneter gesagt, mit ihnen rede er nicht?

    Tillmann: Nein.

    Edda Müller, Vorsitzende von Transparency International in Deutschland, macht sich für mehr Kontrolle bei Lobbyarbeit stark.
    Edda Müller, Vorsitzende von Transparency International in Deutschland, macht sich für mehr Kontrolle bei Lobbyarbeit stark. Foto: Kay Nietfeld, dpa

    Nun sitzen der Verband der Chemischen Industrie und Transparency International an einem Tisch und ziehen beim Thema Lobbyismus an einem Strang. Was eint sie?

    Müller: Wir sehen die gegenwärtige Entwicklung mit Sorge und sagen: Um die demokratische Notwendigkeit von Interessenvertretung zu sichern, brauchen wir klare Regeln und mehr Transparenz. Das ist unsere Botschaft – und zwar auf beiden Seiten. Um zu politischen Entscheidungen zu kommen, sind handlungsfähige Strukturen nötig, dazu gehört auch die Bündelung der Interessen und die Chance für jeden, sein Anliegen zu artikulieren.

    Sie fordern die Einführung eines verpflichtenden Lobbyregisters beim Deutschen Bundestag. Was ist der Sinn eines derartigen Registers?

    Müller: Ziel ist, dass alle Akteure, die hauptamtlich mit der Vertretung von Interessen zu tun haben, Verbände wie Think-Tanks, die eine immer größere Rolle spielen, Anwaltskanzleien und Dienstleister, registriert werden. Nicht nur die Namen, wie bisher beim Bundestag, das sagt relativ wenig aus, sondern umfassend: Wie hoch ist ihr Etat? Wie finanzieren sie sich? Wir haben auf der Ebene der EU in Brüssel ein derartiges Register, da müssen die personellen wie finanziellen Ressourcen offengelegt werden. Wie viel Geld steckt dahinter? Wo kommt es her? Das ist ganz wichtig bei Think-Tanks, die häufig einen hübschen Namen haben. Aber da muss man wissen, wer steckt dahinter und welche Interessen hat er? Das hat sich bewährt, das sollte man verpflichtend auf Deutschland übertragen. Aber wir gehen noch einen Schritt weiter und wollen nicht nur den Input, sondern auch den Output offenlegen.

    Das ist die Forderung nach dem legislativen Fußabdruck. Was muss man sich darunter vorstellen?

    Tillmann: Wenn ein Gesetz verabschiedet wird, ist es ganz wichtig zu wissen, wer hat wie zu seiner Entstehung beigetragen und sich im Entscheidungsprozess an welcher Stelle durchgesetzt. Wer hat welche Informationen geliefert und was hat davon Eingang in das Gesetz gefunden? Damit kann man die Entwicklung eines Gesetzes nachvollziehen und erkennen, welche Position sich durchgesetzt hat. Das ist sehr hilfreich und sorgt für Transparenz.

    Müller: Jeder Gesetzentwurf enthält eine Begründung. Wir fordern, dass an dieser Stelle dokumentiert wird, was im Vorfeld geschehen ist, und im Einzelnen darlegt, welche Interessenvertretung stattgefunden hat. Darüber sollte dann auch der Bundestag in der ersten Lesung diskutieren.

    Tillmann: Es geht um Nachvollziehbarkeit. Die Menschen sollen verstehen können, wie das Gesetz zustande gekommen ist.

    Sie wollen auch einen Lobby-Beauftragten. Was soll dessen Aufgabe sein?

    Tillmann: Der Lobby-Beauftragte soll den gesamten Prozess im Parlament steuern und überwachen. Es macht keinen Sinn, wenn niemand über die Einhaltung der Regeln wacht und ein Auge darauf wirft. An dieser Stelle sind Frau Müller und ich nicht ganz einer Meinung: Wir halten den Bundestagspräsidenten für die geeignete Persönlichkeit. Er agiert überparteilich, vertritt den Bundestag gegenüber der Regierung und überwacht die Parteienfinanzierung. Das wäre für uns die einfachste Lösung.

    Sie, Frau Müller, wollen einen unabhängigen Beauftragten. Warum?

    Müller: Wir glauben, dass wir dafür eine stärkere politische Figur brauchen, weil der Bundestagspräsident zwar unabhängig ist, aber nicht politisch agieren kann.

    Nach dem Vorbild des Wehrbeauftragten?

    Müller: Richtig. Er spielt eine unglaublich wichtige Rolle, weil er vom Bundestag gewählt wird, aber eine parteipolitisch unabhängige Rolle spielt und einmal im Jahr einen Bericht vorlegt, über den das Parlament diskutieren muss. Das kann der Bundestagspräsident nicht machen. Insofern plädieren wir für einen unabhängigen Beauftragten zur Kontrolle, der klar Kante redet und auch Sanktionen bei Verstößen verhängen kann.

    Was erhoffen Sie sich als Lobbyist von diesem Maßnahmenpaket?

    Tillmann: Ich verspreche mir davon Glaubwürdigkeit. Wenn die Politik wie die Bevölkerung offen informiert wird, wie wir agieren, wird für alle nachvollziehbar, was wir tun und warum wir das tun. Das stärkt auch das Vertrauen in die

    Müller: Und das wiederum wird die Arbeit der Verbände und Dienstleister in diesem Bereich verändern. Denn auch sie müssen sich intern an Regeln halten und sich öffentlich für ihr Tun rechtfertigen.

    Damit das Realität wird, muss ein Gesetz verabschiedet werden. Werden Sie beide nun Lobbyisten in eigener Sache?

    Müller: Na und ob! Wir suchen Verbündete, sprechen mit den politischen Akteuren, es gibt bereits verschiedene Gesetzentwürfe, das Thema wäre fast in den Koalitionsvertrag gekommen. Unser Ziel ist, dass es noch in dieser Legislaturperiode ein Gesetz gibt. Dafür arbeiten wir.

    Tillmann: Wir verstehen uns als Problemlöser. In diesem Sinne wollen wir einen Beitrag leisten, damit es am Ende eine gute Lösung gibt.

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