Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Exklusiv-Interview: Andreas Scheuer: "Wir brauchen den Diesel"

Exklusiv-Interview

Andreas Scheuer: "Wir brauchen den Diesel"

    • |
    Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer: „Keine Panik, keine Einschränkungen, keine Verbote.“
    Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer: „Keine Panik, keine Einschränkungen, keine Verbote.“ Foto: Kay Nietfeld, dpa

    Herr Scheuer, Sie waren von 2009 bis 2013 schon Staatssekretär im Verkehrsministerium, nun sind Sie selber Minister. Wie ist das, wenn man als Chef in ein Haus zurückkehrt, das man so gut kennt?

    Andreas Scheuer: Ich habe mich auf die vielen spannenden Themen und bekannten Gesichter gefreut. Das Ministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur ist ein unglaublich spannendes Haus: ein Investitionshaus und gleichzeitig ein Innovationshaus, in das man sehr viel Kreativität einbringen kann. Das Spektrum reicht von Satelliten bis zur Ortsumfahrung.

    Aber es gibt auch Ärger. Die EU-Kommission klagt gegen die Bundesregierung vor dem Europäischen Gerichtshof, weil die Grenzwerte zur Luftreinhaltung noch immer überschritten werden, und hält die beschlossenen Maßnahmen nicht für ausreichend. Es drohen Millionenstrafen – hat die Regierung zu spät reagiert?

    Scheuer: Ich bin sehr verärgert über das Verhalten der EU-Kommission. Wir haben einen überaus konkreten Maßnahmenkatalog mit dem klaren Ziel vorgelegt, dass wir die Luft sauberer machen, ohne die Mobilität dabei einzuschränken. Wir haben Förderprogramme für die E-Mobilität, die Digitalisierung kommunaler Verkehrssysteme und für die Nachrüstung von Dieselbussen aufgelegt. Bis zum Jahresende sollen 5,3 Millionen Fahrzeuge ein Software-Update bekommen. Da sind die Hersteller in der Pflicht. Bisher sind ungefähr 2,5 Millionen Autos mit einer besseren Software ausgestattet worden. Das weiß die EU-Kommission und dennoch hat sie so entschieden – das ist kein gutes Signal. Europa soll mithelfen, dass wir die Ziele erreichen, und nicht die Bürger verunsichern, obwohl Deutschland sehr schnell und sehr konkret reagiert hat.

    Sie und auch Kanzlerin Angela Merkel lehnen Fahrverbote ab. Aber das entscheidet nicht die Bundesregierung, sondern die betroffene Kommune. Hamburg plant konkret

    Scheuer: Das Ziel heißt: keine generellen Fahrverbote. Wir wollen über ein Bündel an Maßnahmen erreichen, dass die Grenzwerte eingehalten werden. Wir hatten 2016 noch 90 Städte, in denen die Grenzwerte überschritten wurden, 2017 waren es noch 66. Mit unserem schlagkräftigen Sofortprogramm „Saubere Luft“ wird die Zahl der Städte sehr schnell in den einstelligen Bereich kommen.

    Was ist mit den betroffenen Städten?

    Scheuer: Es gibt die sogenannten Intensivstädte mit hoher Belastung. Mit ihnen ist die Bundesregierung in einem intensiven Dialog. Wir haben zum Beispiel Modellstädte ausgewählt, an denen wir weitere Maßnahmen prüfen. Auch haben wir im Ministerium ein Lotsensystem aufgebaut, um den Kommunen ganz konkret zu helfen. Wir geben wichtige Impulse und legen große Förderprogramme auf. Wir lassen keine einzige Stadt im Stich. Also: keine Panik, keine Einschränkungen, keine Verbote.

    Sie lehnen auch die Blaue Plakette ab – warum?

    Scheuer: Die Blaue Plakette ist der Einstieg in Fahrverbote. Allein eine Plakette auf der Windschutzscheibe reicht nicht, um die Grenzwerte in den Städten einzuhalten. Da ist kein Anreizsystem dahinter.

    Brüssel hält im Skandal um die Manipulationen bei der Messung der Abgase das Software-Update für nicht ausreichend. Muss es nicht zwingend zu Hardware-Nachrüstungen kommen?

    Scheuer: Ich habe rechtliche, technische und finanzielle Bedenken gegen die Hardware-Nachrüstung. Wir schaffen durch die Software-Updates bei rund 5,3 Millionen Fahrzeugen eine Schadstoffreduzierung von bis zu 30 Prozent. Und das muss man erst einmal wirken lassen. In die alte Diesel-Flotte zu investieren, ist nicht nur eine Investition in die Vergangenheit, sondern braucht auch unglaublich lange Zeit, nämlich eineinhalb bis drei Jahre. So lösen wir das Grundproblem nicht.

    Greenpeace-Protest für die Umwelt-Plakette in Stuttgart.
    Greenpeace-Protest für die Umwelt-Plakette in Stuttgart. Foto: Murat, dpa

    Der Diesel-Skandal hat sehr konkrete Folgen – Autohändler bringen die Autos nicht mehr los, der Gebrauchtwagenmarkt ist eingebrochen, die Fahrzeuge verlieren dramatisch an Wert. Ist der Diesel am Ende?

    Scheuer: Wir brauchen den Diesel mit seinem hoch entwickelten und effizienten Motor. Gerade im ländlichen Raum ist er für Pendler und Handwerker unverzichtbar. Aber wir brauchen auch neue Antriebstechnologien. Deswegen fördern wir technologieoffen von der Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie bis hin zur Elektromobilität.

    Ist das Privileg des Diesels bei der Mineralölsteuer angesichts der Umweltbelastung noch zu rechtfertigen?

    Scheuer: Definitiv, der Diesel ist nicht nur ein effizienter und damit umweltfreundlicher Verbrennungsmotor, sondern inzwischen auch sehr sauber. Wir haben eine Reduzierung der Schadstoffe um 70 Prozent und des Verbrauchs um 40 Prozent in den letzten Jahren erreicht. Auch beim CO2-Ausstoß ist der Diesel deutlich klima- und umweltfreundlicher als der Benziner.

    Die Auto-Industrie konnte sich in der Vergangenheit des Wohlwollens und der Unterstützung aller Regierungen sicher sein, es gab viele enge Kontakte. Ist damit nach all den Skandalen nun Schluss, die Kanzlerin spricht ja von einem Vertrauensverlust?

    Scheuer: Es ist ein Vertrauensverlust und ein Imageverlust für die deutsche Automobilindustrie. Ich werde weiterhin sehr entschlossen und konsequent vorgehen, wenn manipuliert oder getrickst wird. Wir legen sehr strenge Maßstäbe an. Aber wir wissen auch, dass die Automobilindustrie die Leitindustrie in Deutschland ist, von der direkt und indirekt viele hunderttausende an Arbeitsplätzen abhängen. Von ihr sind auch weitere Branchen abhängig, wie die Logistik, der Maschinenbau, die Forschung und Entwicklung. Deshalb dürfen wir das Thema nicht derart zerreden, das zum wirtschaftlichen Schaden führt und Arbeitsplätze in Gefahr bringt. Deutschland wird auch in Zukunft mit hoch entwickelten Produkten saubere Luft und gute Mobilität verbinden und zum Exportschlager machen.

    Verkehrsminister Andreas Scheuer im Deutschen Bundestag.
    Verkehrsminister Andreas Scheuer im Deutschen Bundestag. Foto: Christophe Gateau, dpa (Archiv)

    Kommunen, die ihre Omnibus-Flotte auf E-Busse umrüsten wollen, klagen, dass es keine deutschen Hersteller gibt. Hat die deutsche Industrie dieses Thema verpennt?

    Scheuer: Ich appelliere eindringlich an die deutschen Hersteller, rasch massenfähige Produkte in diesem Bereich zu entwickeln und auf den Markt zu bringen. Alternative Antriebe werden gerade im ÖPNV oder beispielsweise bei den Flotten der Polizei und Paketdiensten immer stärker nachgefragt. Erst zuletzt habe ich Förderbescheide in Höhe von 20 Millionen Euro für die Anschaffung von rund 2000 E-Fahrzeugen übergeben. Deswegen bin ich sehr zuversichtlich, dass jetzt Schwung reinkommt.

    Müssen die Städte eine radikale Verkehrswende einleiten? Privilegierung abgasarmer Autos? Autofreie Innenstädte? Fahrradgerechte Städte?

    Scheuer: Wir werden schon in naher Zukunft ein ganz neues System des Verkehrsmanagements erleben, auch durch die Verzahnung von Mobilität und Digitalisierung. Es gibt bereits heute unglaublich viele innovative Ansätze, um Mobilität neu zu organisieren. So kann ein Pendler beispielsweise über eine App informiert werden, einen Park-and-ride-Parkplatz anzusteuern und mit dem Nahverkehr weiterzufahren. Vielleicht ist es für ihn an dem Tag sogar kostenlos, weil wegen der Wetterlage eine höhere Schadstoffbelastung in der Stadt zu erwarten ist.

    Sie sind auch für den Ausbau der digitalen Infrastruktur zuständig, dafür stehen in diesem Jahr 116 Millionen Euro zur Verfügung. Ist es überhaupt noch sinnvoll, die Verlegung technisch veralteter Kupferkabel zu fördern, oder sollte man nicht unverzüglich nur noch deutlich leistungsfähigere Glasfaserkabel bezuschussen?

    Scheuer: Bei der Versorgung mit 50 Megabit pro Sekunde haben wir mittlerweile eine Abdeckung von über 80 Prozent und sind nun dabei, sehr schnell große Teile des Landes Gigabit-fähig machen zu können. Das Problem ist der ländliche Raum, die letzten fünf bis zehn Prozent der Abdeckung. Bis 2025 soll es Gigabit-Netze für alle flächendeckend in Deutschland geben. Dazu werden wir einen massiven Glasfaser-Ausbau brauchen und umsetzen.

    Ist nicht gerade für die strukturschwachen ländlichen Räume eine Versorgung auf dem neusten Stand der Technik unumgänglich, damit sie nicht noch weiter abgehängt werden?

    Scheuer: Schnelles Internet gehört heute zur Grundausstattung. Wir müssen es den Bürgerinnen und Bürgern anbieten, um neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Die Arbeitswelt verändert sich dramatisch. Aber auch Angebote wie die Telemedizin sind gerade für den ländlichen Raum besonders wichtig.

    Also ohne schnelles Internet keine Heimat?

    Scheuer: Ja, so ist es.

    Noch kurz zur Maut: Die Infrastrukturabgabe liegt derzeit auf Eis. Wird sie kommen – und ab wann?

    Scheuer: Die Maut kommt. Wir sind in der technischen und organisatorischen Umsetzung. Auf jeden Fall wollen wir die Pkw-Maut in dieser Legislaturperiode zum Laufen bringen. Wir arbeiten mit Hochdruck daran.

    Zur Person: Der 43-jährige CSU-Politiker Andreas Scheuer ist seit 14. März Verkehrsminister der Großen Koalition. Der gebürtige Passauer ist seit 16 Jahren Bundestagsabgeordneter und wurde zunächst 2009 Staatssekretär im Verkehrsministerium. 2013 wechselte auf den Posten des CSU-Generalsekretärs.

    Wir wollen wissen, was Sie denken: Die Augsburger Allgemeine arbeitet daher mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey zusammen. Was es mit den repräsentativen Umfragen auf sich hat und warum Sie sich registrieren sollten, lesen Sie hier .

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden