Aus dem Mordanschlag auf einen russischen Ex-Spion in Großbritannien ist eine schwere politische Krise geworden. Die britische Premierministerin Theresa May vermutet Russland hinter der Giftattacke auf den Agenten und dessen Tochter. Sie forderte den Kreml auf, sich binnen 24 Stunden zu erklären, und drohte mit Konsequenzen. Die Reaktion aus Moskau folgte prompt – und in aller Schärfe. Außenminister Sergei Lawrow nannte die Vorwürfe „lächerlich“ und beteuerte: „Wir haben damit nichts zu tun.“ Der Kreml hält den Fall für eine „Zirkus-Nummer“ und fordert nun Zugang zu Beweismitteln – also zu dem eingesetzten Nervengift.
Der Außenpolitik-Experte Tyson Barker vom Aspen Institute in Berlin hat keine Zweifel, wer hinter dem Mordversuch steckt: „Die Indizien, die für eine Täterschaft Russlands sprechen, sind erdrückend“, sagte der US-Politologe unserer Redaktion. Auch die Motivlage ist für ihn klar: „Das ist ein Abschreckungssignal an russische Auswanderer, Ex-Spione und vor allem Oligarchen, für die Großbritannien mehr als viele andere Länder eine Art sichere Zufluchtsoase war.“ Die Botschaft dahinter laute: „Ihr könnt Russland den Rücken kehren, aber ihr werdet Russland nie los.“
CSU-Vize Manfred Weber warnt vor Putin
Der Thriller um den Ex-Agenten, der immer noch um sein Leben kämpft, ist nicht der einzige Fall, in dem Russland eine undurchsichtige Rolle spielt. CSU-Vize Manfred Weber sagte im Gespräch mit unserer Redaktion, es gebe „belastbare Hinweise, dass russische Kräfte auch in Katalonien mit Fake News gearbeitet haben“. Ähnlich sei es im Baltikum, auf dem Balkan oder bei der Brexit-Kampagne gelaufen.
„Sollte sich bewahrheiten, dass dieser Mordanschlag tatsächlich aus Russland kommt, wäre dies eine enorme neue Belastung des Verhältnisses“, sagte Weber und warnte vor Kreml-Chef Wladimir Putin. „Er will die Europäische Union beschädigen und destabilisieren. Wir Europäer dürfen nicht so naiv sein und glauben, dass uns die russischen Aktivitäten nichts angehen.“
Weber fordert gemeinsame Verteidigung gegen Cyberattacken
Als Chef der größten Fraktion im EU-Parlament kämpft Weber für eine entschiedene Reaktion auf die russischen Provokationen: „Wir müssen in den nächsten fünf bis zehn Jahren eine gemeinsame europäische Verteidigung aufbauen, die uns nicht nur vor militärischen Angriffen, sondern auch vor Cyberattacken schützt.“ Der Politologe Barker sieht das ähnlich: „Alles spricht dafür, dass Putin mit seiner aggressiven Politik weitermacht und immer weiter gehen wird, solange man ihm keine Konsequenzen und Grenzen entgegensetzt.“
Dies gelte insbesondere für die Amerikaner: „In den USA haben der Kongress und der Senat im Sommer zwar parteiübergreifend Sanktionen beschlossen, doch die Regierung von Donald Trump setzt bislang nichts davon um.“ Von den bewilligten 120 Millionen Dollar für ein Abwehrzentrum gegen Fake News aus Russland habe die US-Regierung keinen Cent ausgegeben. „Trumps Politik ist weiterhin von Respekt gegenüber Putin geprägt“, sagt Barker. „Und in Europa gibt es sogar noch weniger Gegenmaßnahmen.“
Bundeskanzlerin Angela Merkel verurteilt Anschlag "auf das Schärfste"
Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat Russland nach dem Giftanschlag auf den Ex-Doppelagenten Sergej Skripal zur Aufklärung aufgefordert. Es sei an Russland, "rasche Antworten auf die berechtigten Fragen der britischen Regierung zu geben", machte Merkel nach Angaben eines Sprechers am Dienstag in einem Telefonat mit der britischen Premierministerin Theresa May deutlich. Die Kanzlerin verurteilte den Anschlag demnach "auf das Schärfste".
Merkel habe versichert, sie nehme die Einschätzung der britischen Regierung zur Frage einer russischen Verantwortung für den Anschlag "außerordentlich ernst". Moskau müsse der britischen Aufforderung "nach vollständiger und umgehender Offenlegung des einschlägigen Chemiewaffenprogramms" gegenüber der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) folgen.
Merkel und May vereinbarten demnach, "in engem Austausch zu bleiben und sich gemeinsam in geeigneter Weise mit den Verbündeten und europäischen Partnern zu beraten". (mit dpa)
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