Herr Kornblum, halten Sie den Luftschlag der USA, Großbritanniens und Frankreichs gegen mutmaßliche Produktions- und Lagerstätten für Chemiewaffen in Syrien für angemessen?
John Kornblum: Ich bin einverstanden mit der Reaktion. Das musste sein. Wenn man genau hinschaut, war der Angriff ja auch ziemlich chirurgisch. Eines habe ich in vielen Jahren gelernt: Das Einzige, was noch schlimmer ist als zu starke Vereinigte Staaten, ist, wenn die USA zu schwach sind.
Es heißt, dass der US-Präsident eher eine umfassendere Attacke wollte.
Kornblum: In den Medien stand, dass Trump mehr machen wollte. Er hat das allerdings dementiert. Man darf nicht vergessen, dass eines der wichtigsten Punkte in seinem Wahlkampf das Versprechen war, in Zukunft keine US-Truppen nach Übersee und insbesondere in den Nahen Osten zu schicken.
Rückt er nun davon ab?
Kornblum: Das glaube ich nicht. Ein Abzug aus Syrien ist immer noch sein Ziel. Auffällig ist ja, dass die Angreifer bei dem doch eher symbolischen Angriff auf zwei Dinge genau geachtet haben: Erstens sollte der syrische Machthaber Assad nicht getötet werden und zweitens sollte unbedingt vermieden werden, dass russische Stellungen getroffen werden. Auf der anderen Seite sollte Assad aber klargemacht werden, dass Angriffe mit Giftgas nicht ohne klare Antwort bleiben.
In den Tagen vor der Attacke hat der US-Präsident mit widersprüchlichen Twitter-Beiträgen über einen baldigen Abzug der US-Truppen aus Syrien für Verwirrung gesorgt.
Kornblum: Es ist sogar so, dass fast die gesamte US-Administration immer wieder für Verwirrung sorgt. Trump merkt ja auch, dass es gar nicht so einfach ist, sich aus Krisengebieten zurückzuziehen. Ich persönlich würde das auch für falsch halten. Leider haben die USA seit Bill Clintons Friedensmission im Nahen Osten eine ziemlich dilettantische Politik betrieben.
Kanzlerin Angela Merkel hat den Angriff der drei Verbündeten begrüßt, eine eigene Beteiligung aber abgelehnt. Ist das nicht etwas widersprüchlich?
Kornblum: Na ja. Immerhin hat sie dazu überhaupt etwas gesagt. Sie ist ja – nach allem, was ich weiß – auch gar nicht um eine Beteiligung gebeten worden. In Deutschland gibt es nun mal einen tief greifenden Pazifismus und eine große Angst vor Krieg. Das ist Teil der deutschen Psychologie.
Muss sich da Ihrer Meinung nach etwas ändern?
Kornblum: ,Muss‘ ist in diesem Zusammenhang die falsche Kategorie. Psychologie kann man nicht einfach so ändern. Außerdem hat sich ja bereits viel verändert, wie sich an den Auslandseinsätzen der Bundeswehr seit Ende der 90er Jahre zeigt. Ich sehe das Hauptproblem nicht darin, dass Deutschland bei solchen Angriffen wie jetzt in Syrien nicht mitmacht oder den Verteidigungshaushalt nicht deutlich erhöht – obwohl das nicht schlecht wäre.
Was ist denn das Hauptproblem?
Kornblum: Katastrophal ist, dass es gar keine deutsche außen- und sicherheitspolitische Strategie gibt. Weder für Syrien noch für Nahost. Gleiches gilt für ganz Europa.
Die Bundesregierung hat sich doch für eine neue diplomatische Offensive zur Beendigung des Krieges in Syrien ausgesprochen.
Kornblum: Eine deutsche diplomatische Initiative? Auf welcher Basis? Mit welchen Mitteln? Merkel und Außenminister Maas scheinen zu glauben, sie müssten aktiv sein, um zu zeigen, dass Deutschland nicht abwesend ist. Aber diese Art von Aktionismus kommt dem russischen Präsidenten Putin sehr gelegen.
Warum könnte Putin profitieren?
Kornblum: Ich glaube, dass Putin und seine Berater ganz genau wissen, dass sie sich in eine Sackgasse manövriert haben. Russland geht es wirtschaftlich nicht gut, das Engagement in Syrien oder auch der Ukraine verschlingt ungeheure Summen. Ich glaube, Putin sucht einen Ausweg aus der Situation. Er hat ja auch erstaunlich zurückhaltend auf die Angriffe vom Wochenende reagiert. Wenn Moskau seinen nationalistischen Kurs langfristig beibehält, verliert das Land endgültig den Anschluss an die digitale Technik. Russland verfügt über exzellente, junge IT-Spezialisten. Und was machen die? Sie hacken, um westlichen Staaten zu schaden oder Wahlen zu manipulieren.
Wie sollte der Westen in dieser Situation Russland begegnen?
Kornblum: Man sollte die Gesprächskanäle unbedingt offen halten. Gleichzeitig aber ganz klar sagen, dass Russland nicht so weitermachen kann.
Aktuell scheint doch eher Sprachlosigkeit zwischen dem Westen und Russland zu herrschen?
Kornblum: Das mag so aussehen. Doch erinnern wir uns an den Kalten Krieg in den 60er Jahren. Nach der Kubakrise und der Niederschlagung des Prager Frühlings durch sowjetische Truppen 1968 glaubten alle in Washington, dass es jetzt über lange Zeit nur noch Konfrontation geben werde. Doch drei Jahre später einigten sich Amerikaner, Briten und Franzosen mit den Sowjets auf das Viermächteabkommen über den Status Berlins.
Was bedeutet das für die Lage heute?
Kornblum: Manchmal ist gerade dann, wenn die Lage ausweglos erscheint, der Punkt gekommen, an dem es möglich ist, etwas zu erreichen. Doch genau in dieser Situation muss der Westen Putin Grenzen setzen. Wer sein Verhalten auch noch belohnt, erreicht nur, dass er sich bestätigt fühlt.
Was muss mit Blick auf Syrien und den Nahen Osten passieren?
Kornblum: Jetzt reden alle von Diplomatie. Doch das ist nach sieben Jahren Krieg Augenwischerei. Erfolgreiche Politik dort bedingt Ausdauer und den Erhalt von Einflussmöglichkeiten. Die Frage ist nur: Wer soll das machen? Die USA mit Trump an der Spitze sind ein unsicherer Kantonist. Europa hat keine Strategie, ist es gewohnt, als Trittbrettfahrer auf die USA zu schauen. Das sind keine guten Voraussetzungen. Interview: Simon Kaminski
John Kornblum ist 1943 in Detroit geboren. Seine Großeltern väterlicherseits kamen aus Ostpreußen, sie wanderten Ende des 19. Jahrhunderts in die USA ein. Kornblum wirkte an dem berühmten Agentenaustausch zwischen Ost und West mit, der 1985 an der Glienicker Brücke in Berlin stattfand. Als US-Spitzendiplomat arbeitete er unter anderem bei der Nato. Von 1997 bis 2001 war er US-Botschafter in Berlin. Später übernahm er Tätigkeiten in der Finanzwirtschaft. Immer wieder tritt er in politischen Talkshows als Experte auf. Er lebt in Berlin.