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Ex-SPD-Chef: Sigmar Gabriel im Interview: "Trump hat nicht immer nur Unrecht"

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Sigmar Gabriel im Interview: "Trump hat nicht immer nur Unrecht"

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    Er gibt immer noch gerne die Richtung vor: Sigmar Gabriel. Der langjährige SPD-Chef verliert in diesen turbulenten Tagen nicht viele Worte über seine Sozialdemokraten.
    Er gibt immer noch gerne die Richtung vor: Sigmar Gabriel. Der langjährige SPD-Chef verliert in diesen turbulenten Tagen nicht viele Worte über seine Sozialdemokraten. Foto: Michael Kappeler, dpa

    Herr Gabriel, die SPD versinkt gerade mal wieder im Chaos, aber darüber müssen Sie nicht mehr reden. Sie sollen künftig für Verständigung mit den USA werben. Auch keine leichte Aufgabe: Die Harvard-Rede von Kanzlerin Angela Merkel las sich vorige Woche wie eine Abrechnung mit Präsident Donald Trump.

    Sigmar Gabriel: Die Bundeskanzlerin hat in Harvard weniger neue Wege für eine neue transatlantische Partnerschaft zwischen Deutschland beziehungsweise Europa und den Vereinigten Staaten aufgezeigt. Vielmehr hat sie den Wert der Grundlagen dieser Partnerschaft noch einmal eindrucksvoll beschrieben. Und sie hat das mit Bezug auf ihre ganz persönlichen Lebenserfahrungen getan.

    Und die wären?

    Gabriel: Angela Merkel hat in der Rede ihre Generation als die Generation geschrieben, die tägliche Unfreiheit ebenso wie das helle Licht der Freiheit erlebte. Das muss man als Sorge verstehen, dass schon bald eine Generation in den USA genau wie in Europa die Macht übernehmen wird, die keine direkte Verbindung mehr zu den Erfahrungen der Unfreiheit oder der Gewalt mehr haben, und deshalb politische Verantwortung und Führung ganz anders deuten. Eines ist gewiss: vor allem das gemeinsame Wissen um Freiheit und Unfreiheit, Frieden und Krieg hat den Westen zusammengehalten und starkgemacht. Das war es, was die USA und Europa von allen anderen Mächten der Welt unterschieden haben: sie hatten Verbündete, auf die man sich verlassen konnte. Wer das vergisst, wird schwächer werden auf der Welt.

    Wie sollen wir mit Herrn Trump umgehen? Die Zeit bis Ende 2020 aussitzen und auf einen Sieg der Demokraten hoffen – oder nach Feldern suchen, auf denen ein „Deal“ möglich wäre?

    Gabriel: Zuerst darf man unter den USA nicht immer nur die derzeitige Präsidentschaft verstehen. Die USA ist weit vielfältiger und die härtesten Kritiker des US-Präsidenten leben in den USA. Außerdem würde ich nicht so tun, als hätte Donald Trump einfach immer nur Unrecht.

    Wo denn nicht?

    Gabriel: Seine Kritik an China ist berechtigt, sein Mut zu Verhandlungen mit Nord-Korea auch. Und wenn er Deutschland und Europa auffordert, ihre Staatsbürger, die den Terror unterstützt haben, aus Syrien und dem Irak zurückzuholen und selbst vor Gericht zu stellen, statt sie einfach den Kurden aufzuhalsen, dann hat er auch damit recht. Unsere Probleme mit ihm beginnen oft bei seinen Methoden, die internationale Spannungen vergrößern statt sie zu verringern. Und wenn er in Europa eine „Gefahr für die USA“ sieht. Wo immer die Zusammenarbeit auf Augenhöhe möglich ist, stehen wir bereit. Wo bloße Gefolgschaft gefordert ist, nicht. Ich bin sicher, dass die USA nicht so bleiben, wie sie derzeit sind. Aber sie werden auch nie wieder so werden, wie sie einmal waren.

    Aber mit wem sollen wir in dieser US-Regierung denn reden?

    Gabriel: Natürlich müssen und sollten wir, wo immer sich eine Gelegenheit bietet, auch mit der jetzigen amerikanischen Regierung und dem Präsidenten reden. Freundschaftlich, aber auch klar und selbstbewusst. Wir haben schließlich etwas zu bieten: noch ist Europa der erfolgreichste und größte Wirtschaftsraum. Aber wir müssen viel mehr als in der Vergangenheit das Gespräch mit dem Amerika von morgen suchen. In wenigen Jahren wird die Mehrheit der US-Amerikaner keine europäischen Wurzeln mehr haben, sondern lateinamerikanische, asiatische und afrikanische. In dieses neue Amerika müssen wir investieren, ohne das „alte“ zu vergessen. Am besten wäre es, wir würden jedes Jahr tausend junge Führungskräfte aus den USA für sechs Wochen nach Deutschland einladen. So machen es die USA seit Jahrzehnten mit uns. Warum nicht umgekehrt?

    Gabriel im Interview: „Handfeste Gründe für den Zorn auf die Eliten“

    Sollten wir Deutschen also nicht mehr nur nach Washington oder New York reisen?

    Gabriel: Die USA lernt man nicht in Washington oder New York kennen. Und wer meint, die Trump-Unterstützer seien alles nur Dummköpfe, wird ihnen auch nicht gerecht. Einer meiner interessantesten Besuche in den USA war in den Kleinstädten West-Virginias. Die Demokraten hatten dort über 80 Jahre die Mehrheit, dann gewann Donald Trump mit großen Vorsprung. Wer mit den Menschen dort redet, stellt fest, dass sie handfeste Gründe für ihren Zorn auf die Eliten Washingtons haben. Ähnlich wie die AfD-Wähler in einigen Regionen Ostdeutschlands.

    Sie haben vor kurzem betont, Europa dürfe sich nicht länger weltpolitisch „heraushalten“. Was heißt das konkret für die deutsche Außenpolitik?

    Gabriel: Bislang war klar: die Europäer kümmern sich um sich selbst, für die Welt hatten wir ein bisschen die Briten und Franzosen, vor allem aber die USA. Wenn es gut ging, haben wir bezahlt, wenn nicht, hatten wir immer einen Schuldigen: die Amerikaner. Die USA werden ihre Kraft aber jetzt vom Transatlantischen mehr in den Pazifik verlagern. Nicht mehr Russland ist der große Antipode, sondern China.

    Und China sollten auch wir Europäer entschieden entgegentreten?

    Gabriel: Natürlich wäre es gut, wir würden eine Allianz fairer Marktwirtschaften zwischen Europa, den USA, Südkorea, Japan, Australien und anderen Ländern bilden. Nicht um China zu bekämpfen, sondern um dieses große Land zu mehr Transparenz und Fairness im internationalen Handel zu bewegen. Die chinesische Seidenstraßeninitiative ist erst dann eine gute Strategie, wenn sie für alle die gleichen und durchschaubaren Bedingungen einhält und nicht in bilateralen Abkommen einzelne Staaten in die Abhängigkeit Chinas geführt werden.

    Sigmar Gabriel: „Wir müssen bereit sein, in das Vakuum einzutreten, das die USA hinterlassen“

    Aber kommen wir zurück auf die USA: Dort verlor schon Barack Obama die Lust an der Rolle des Weltpolizisten. Der Trend verstärkt sich unter Trump.

    Gabriel: Wo die USA sich zurückziehen, entsteht kein Vakuum, sondern neue Mächte füllen den Raum. China, Russland und auch die Türkei. Wenn Europa sich raus hält, wird es sehr, sehr unbequem für uns. Deshalb müssen wir bereit sein, selbst in das „Vakuum“ einzutreten, das die USA hinterlassen. Frankreich und viele andere Europäer sind dazu bereit. Mit Diplomatie, Wirtschaftshilfen, Investitionen – aber eben auch mit robusten militärischen Aktionen gegen Terror und Gewalt. Die große Frage wird sein: was tun wir Deutsche?

    Wie sieht Ihr erster großer Plan für die Atlantik-Brücke aus? Wie wollen Sie neue transatlantische Brücken bauen?

    Gabriel: Noch bin ich gar nicht gewählt als Vorsitzender der Atlantik- Brücke. Darüber entscheidet die Mitgliederversammlung Ende Juni. Aber die Atlantik-Brücke ist einfach eine fantastische Idee: auf Initiative kluger und engagierter Menschen brachte sie Sieger und Besiegte nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zusammen. Auch im Nachgang noch eine unfassbar gute Idee. Der frühere amerikanische Außenminister Henry Kissinger hat allerdings schon 1992 darauf hingewiesen, dass sich Amerika ändern und es nicht ausreichen werde, das Erreichte zu loben. Heute geht es mehr als früher nicht nur um das deutsch-amerikanische Verhältnis, sondern um das europäisch-amerikanische. Klar war für Kissinger aber auch: der Westen wird ohne die USA und ohne Deutschland auch in Zukunft nicht denkbar sein. Und da sind die Fundamente der Atlantik-Brücke von unschätzbarem Wert.

    Was meinten Sie mit ihrer jüngsten Forderung nach einer „strategischen Souveränität“ Deutschlands im Verhältnis mit den USA?

    Gabriel: Ich glaube, dass wir nicht autonom von den USA sein können und es auch nicht sollten. Nur mit den USA bilden wir eine ernst zu nehmende Macht in der Welt. Die Wahrheit ist ja: wir können nicht mit Donald Trump, aber auch nicht ohne die USA. Souveränität ist aber etwas anderes als Autonomie. Souveränität heißt, dass wir selbst in der Lage sind, frei zu entscheiden, wo und wie wir mit den USA zusammenarbeiten. Davon aber sind wir ziemlich weit entfernt.

    Gabriels Kritik: „Wir investieren nichts ins Morgen“

    Haben Sie schon wahrnehmen können, welche außenpolitischen Akzente die neue CDU–Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer setzen wird?

    Gabriel: Nein.

    Die Kanzlerin absolviert derzeit die schönen, aber eher folgenlosen Abschieds-Termine im Ausland, ihre avisierte Nachfolgerin Kramp-Karrenbauer profiliert sich kaum. Kann die deutsche Außenpolitik dieses Machtvakuum an der Spitze verkraften?

    Gabriel: Die Wahrnehmung Deutschlands hat nicht nur etwas mit Personen zu tun. Weit mehr wird unser Bild davon geprägt, ob hier im Innern Stillstand herrscht oder Dynamik. Wir investieren Milliarden ins Heute und fast nichts in das Morgen. Wir brauchen für einen einfachen Brückenersatz zehn Jahre und über den Bau von Flughäfen müssen wir gar nicht erst reden. Die Idee von deutscher Ingenieursqualität, Leistungsfähigkeit und Anstrengungsbereitschaft verblasst mit großer Geschwindigkeit. Wir präsentieren uns, als seien wir viel zu satt. In einer Welt voller hungriger Völker, die aus dem Elend heraus wollen, wirkt das durchaus abstoßend. Daran müssen wir etwas ändern.

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