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Ex-Kanzler: Helmut Kohls letzter Weg

Ex-Kanzler

Helmut Kohls letzter Weg

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    Der Trauerkranz der Witwe Maike Kohl-Richter liegt im Dom zu Speyer neben einem Foto von Altkanzler Helmut Kohl.
    Der Trauerkranz der Witwe Maike Kohl-Richter liegt im Dom zu Speyer neben einem Foto von Altkanzler Helmut Kohl. Foto: Arne Dedert (dpa)

    Helmut Kohl hätte sich wohl etwas anderes gewünscht. Vielleicht einen Aufmarsch junger Europäer aus den Ländern, für deren heutige Freiheit der verstorbene Bundeskanzler gesorgt hat und deren Integration in die EU im Jahre 2004 ohne ihn undenkbar wäre. Oder eine Abordnung europäischer Bürger, die während der Trauerfeier an diesem Samstagmorgen in der Straßburger Innenstadt beim Shoppen unterwegs sind – und dabei mit der Währung bezahlen, die ihnen nicht zuletzt

    Außer einer Handvoll Besucher, die in diesem hermetisch abgeriegelten Stadtviertel rund um das EU-Parlament wirken, als hätten sie sich verlaufen, ist niemand da. Nein, Europa hält nicht den Atem an. In diesen zwei Stunden, in denen Weggefährten, politische Freunde und Widersacher Abschied von Helmut Kohl nehmen, sich noch einmal erinnern, verneigt sich nicht die Welt. Aber viele, die die Welt geprägt haben.

    Europäischer Staatsakt für den Altkanzler

    Einen europäischen Staatsakt hatte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker „ausgerufen“, als er – zusammen mit der Witwe Maike Kohl-Richter – nach einer angemessenen Form der Würdigung für den verstorbenen 87-Jährigen suchte. Den ersten in der über 60-jährigen Geschichte dieser Gemeinschaft. Doch das durfte das Gedenken nicht sein. Also deklarierte man die Veranstaltung am Samstagvormittag zu einer europäischen Trauerfeier um. Helmut Kohl hätte solche Wortklauberei gehasst – und mit einem Hinweis auf den „Mantel der Geschichte“ vom Tisch gewischt. Und es hätte sicher niemand zu widersprechen gewagt.

    Erst am frühen Morgen war der Sarg von Ludwigshafen nach Straßburg gebracht worden. Ob Staats- oder Regierungschef, amtierend oder längst auf dem Altenteil – für alle beginnt der Besuch gleich. Einzeln werden sie in ein Protokollzimmer geführt, wo sie sich von Kohl verabschieden können. Hier bedeckte keine deutsche, sondern eine Europa-Fahne den Sarg. Abgeordnete des Wachbataillons der Bundeswehr halten die Ehrenwache. Nach einem Moment des Schweigens tragen sich die Gäste nebenan in das Kondolenzbuch ein.

    Und dann sitzen sie im weiten Rund des Europäischen Parlamentes: Frankreichs früherer Staatspräsident Nicolas Sarkozy neben dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, Spaniens pensionierter Monarch König Juan Carlos mit Frau Sophia neben dem Wiener Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen. Der russische Regierungschef Dimitri Medwedjew und der frühere US-Präsident Bill Clinton neben

    Bill Clinton: "Schlaf gut, mein Freund"

    Sie verabschieden nicht nur einen Bundeskanzler. „Ich nehme Abschied von einem treuen Freund, der mich über Jahrzehnte liebevoll begleitet hat. Hier spricht nicht der Kommissionspräsident, sondern ein Freund, der Kommissionspräsident wurde“, sagt Jean-Claude Juncker. Maike Kohl-Richter, die mit Sonnenbrille und schwarzem Hut in der ersten Reihe sitzt, legt später wie zum Dank ihre Hand kurz auf seinen Arm.

    Ratspräsident Donald Tusk stammt aus Polen, einem der Länder, denen Kohl den Weg in die EU ebnete. Er erinnert an Kohls Handschlag in Verdun, eine von vielen Gesten, „die den Grundstein des modernen Europas“ legten. Doch es gebe noch viel zu tun, ergänzte der russische Premierminister Dmitri Medwedjew: „Die Berliner Mauer ist gefallen. Aber die Ideologie der Mauer besteht noch.“ Kohls Traum „einer gemeinsamen Heimstätte“

    Viel ist an diesem Vormittag vom Freund, vom deutschen Europäer, vom Staatsmann die Rede. Aber es spricht wohl niemand so bewegend und zugleich liebevoll vom Menschen Helmut Kohl wie Bill Clinton. Er plaudert darüber, wie Kohl versuchte ihn zu überreden, „Dinge zu essen, die ich wirklich nicht essen wollte“. Er erinnert an die Fragen, die damals die Alliierten beschäftigen – ob es nach dem Fall der Mauer ein vereintes Deutschland geben soll. Er verweist auf Kohls Leidenschaft, eine Welt zu schaffen, in der die Nationen zusammenarbeiten. „Danke für die Möglichkeit, bei einer Sache mitzumachen, die größer ist als wir selbst“, sagt der frühere US-Präsident. Und: „Schlaf gut, mein Freund.“ Applaus verschluckt die letzten Worte seine Rede. Als Clinton an dem Sarg vorbeigeht, salutiert er.

    Bundeskanzlerin Merkel dankt ihrem Förderer Kohl

    Auch Angela Merkel gelingt eine ihrer besten Reden, ein großer Dank an den Mann, der ihr politischer Ziehvater war. „Ohne Sie stünde ich heute nicht hier“, sagt die Bundeskanzlerin und verspricht Kohl, sein Vermächtnis weiterzutragen. Sie lässt auch die schwierigen Seiten des langjährigen Bundeskanzlers nicht aus. Und sie ist die Einzige, die Kohls erste Ehefrau Hannelore erwähnt. Und obwohl Kohls Witwe im Vorfeld erbittert versuchte hatte, Merkels Rede zu verhindern, erhebt sie sich die Kanzlerin nach ihrer Ansprache noch einmal. Sie gibt Maike Kohl-Richter die Hand. Eine Geste, die in der Trauer verbinden soll. Kohl-Richter aber bleibt sitzen.

    Vor Beginn des Trauerakts in Straßburg stellen Saaldiener ein Porträt des Altkanzlers auf.
    Vor Beginn des Trauerakts in Straßburg stellen Saaldiener ein Porträt des Altkanzlers auf. Foto: Michael Kappeler (dpa)

    Es ist diese private Unversöhnlichkeit, die an diesem Tag einen Schatten auf alle Schwüre von Freundschaft und Größe wirft. Ex-US-Präsident Clinton bleibt der Einzige, der alle drei Angehörigen „Maike, Walter und Peter“ anspricht und mit Vornamen nennt. Doch auch er kann den Zwist in der Familie nicht lösen. Kohls Söhne und ihre Familien bleiben, wie sie in den Tagen zuvor angekündigt hatten, dem Gedenken im Elsass fern. Und sie kommen auch nicht nach Speyer, wo am frühen Abend das Requiem für den Altkanzler stattfindet.

    Zu tief, so scheint es, sind die Wunden, zu tragisch die Szenen, die sich in den vergangenen Tagen abgespielt haben: Walter Kohl, der ältere Sohn, der in den Radionachrichten vom Tod des eigenen Vaters erfährt, der fünf Tage später zusammen mit seinem Sohn und seiner Nichte noch einmal vor dem Bungalow in Ludwigshafen-Oggersheim auftaucht – und keinen Einlass bekommt. Er habe Hausverbot, berichtet

    Von Straßburg geht es über Ludwigshafen nach Speyer

    Bevor der Sarg aus dem Saal getragen und nach Speyer zum Trauergottesdienst geflogen wird, spielt das Orchester erst die deutsche, dann die europäische Hymne, die „Ode an die Freude“. Zuvor hatte Kommissionschef Juncker seinem Weggefährten noch eine Bitte mitgegeben: „Lieber Helmut, du bist jetzt im Himmel. Versprich mir, dass du dort nicht sofort einen CDU-Ortsverein gründest. Du hast genug getan für deine Partei, dein Land und dein Europa – vielen Dank.“

    Der letzte Weg erscheint wie eine Erinnerung an die Stationen von Kohls Leben. Die Bundesluftwaffe bringt den Sarg mit dem Hubschrauber nach Ludwigshafen. In den Innenstadt säumen Hunderte Menschen die Straßen und Plätze, verfolgen still, wie der dunkle Wagen mit dem Sarg vorbeizieht. Am Rheinufer wartet das Ausflugschiff „Mainz“. Viele Staatsgäste hatte der Altkanzler auf diesem Deck empfangen. Nun bringt das Boot seinen Sarg – inzwischen mit einer deutschen Fahne bedeckt – nach Speyer, ein paar letzte Kilometer flussaufwärts auf dem Rhein, den Helmut Kohl so liebte.

    „Danke Helmut. Herzlich willkommen zurück in Speyer“, steht in roter Schrift auf einem weißen Leinentruch, das ein Mann an einer Brücke aufgehängt hat. 900 Gäste sind zum Requiem im Dom geladen, darunter zahlreiche Spitzenpolitiker. Im Domgarten verfolgen 2500 Menschen vor einer Leinwand das Requiem, das Karl-Heinz Wiesemann zelebriert. „Hier gewann er das politische Vertrauen seiner Partner für die Einheit Deutschlands mitten in einem geeinigten Europa“, sagt der Bischof in seiner Ansprache. „Er liebte sein Vaterland“. Und: „Ich denke, er wusste auch um seine Ecke und Kanten, darum dass er vieles erreicht hatte, aber auch Manches zu kurz gekommen ist.“

    Als die Teilnehmer aus dem Dom treten, regnet es in Strömen. Die Ehrenformation der Bundeswehr senkt die Fahnen für den Altkanzler. Es ist das letzte Symbol: Genau an dieser Stelle war Kohl 1998 mit einem Großen Zapfenstreich als Regierungschef verabschiedet worden. Nun spielt das Musikkorps den Trauerchoral „Jesus, meine Zuversicht“ und das „Lied vom guten Kameraden“. Als das letzte Stück, die deutsche Nationalhymne, verklungen ist, wird der Sarg im engsten Kreis auf dem Friedhof des Domkapitels beigesetzt.

    Der Europäer Helmut Kohl ist für immer nach Deutschland heimgekehrt.

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