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Europawahl: Und was tut eigentlich so ein Abgeordneter den ganzen Tag?

Europawahl

Und was tut eigentlich so ein Abgeordneter den ganzen Tag?

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    Der FDP Spitzenkandidat zur Europawahl, Alexander Graf Lambsdorff.
    Der FDP Spitzenkandidat zur Europawahl, Alexander Graf Lambsdorff. Foto: Arno Burgi/dpa

    Zwischen Kaffeetassen und Marmelade-Brötchen liegen dicke Akten. Es ist 7.30 Uhr an diesem Morgen im Abgeordneten-Restaurant des Europäischen Parlamentes. Während im Hintergrund die Bedienungen mit Tellern klappern und Gläser zurechtrücken, sitzen die Fraktionschefs der insgesamt 13 „Parteienfamilien“ zusammen. Sie dreschen nicht aufeinander ein, sondern loten Lösungen aus. An diesem Vormittag geht es zum Beispiel darum, wie man marode Banken abwickeln kann.

    Die Debatten im großen Saal sind wichtig, die Sitzungen der zahllosen Ausschüsse noch wichtiger. „Spätestens ab acht Uhr morgens jagt ein Termin den nächsten“, erzählt Alexander Graf Lambsdorff, Chef der FDP-Gruppe in der liberalen Fraktion. Andreas Schwab von der CDU geht es nicht anders: „Der Tag beginnt um sieben und endet fast nie vor 23 Uhr.“ Dazwischen liegen Ausschusssitzungen, Treffen mit Experten, Diplomaten, Vertretern der Zivilgesellschaft und Lobbyisten. „Am Nachmittag lese ich häufig Akten, Vorlagen, Gesetzentwürfe“, erzählt die Sozialdemokratin Kerstin Westphal. „Der Tag endet häufig mit einer Abendveranstaltung, auf der ich eine Rede halte oder an Diskussionen teilnehme“, ergänzt der Chef der CSU-Abgeordneten, Markus Ferber.

    39 Sitzungswochen stehen im Parlamentskalender – doppelt so viele wie im Kalender des Bundestages. In Brüssel und Straßburg werde wirklich noch an den Sachfragen gearbeitet, sagen Beobachter. Die bisher 99 deutschen Abgeordneten (künftig nur noch 96) gelten als besonders fleißig. Wer sich nicht in die Dossiers einarbeitet, verliert die Möglichkeit mitzureden und damit mitzugestalten.

    Einmal im Monat reisen alle 766 Parlamentarier (künftig werden es nur noch 751 sein) mit Sack und Pack nach Straßburg, wo die Volksvertretung laut Lissabonner Vertrag ihren eigentlichen Sitz hat. In Brüssel fühlen sich die meisten trotzdem wohler.

    Parteipolitische Grabenkämpfe spielen im Parlament eine allenfalls nebensächliche Rolle. Die Fronten in den Sachfragen gehen nicht entlang der Fraktions-, sondern der Nationalitätsgrenzen. Manchmal sind sich die britischen Konservativen und die deutschen Sozialdemokraten näher, als man es glauben möchte.

    Dass die Abgeordneten, wenn sie nach Hause kommen, trotzdem häufig nur nach ihrem Einkommen gefragt werden, belastet kaum noch jemanden. Die meisten haben ohnehin auf ihren Internet-Seiten ihre finanziellen Verhältnisse offengelegt. 8229,39 Euro verdient ein Parlamentarier brutto im Monat. Davon gehen Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag, Kirchensteuer sowie Kranken- und Pflegeversicherung ab. Die bundesdeutschen Mandatsträger werden somit genauso bezahlt wie ihre Kolleginnen und Kollegen im Bundestag. Neben den Diäten gibt es eine steuerfreie, allgemeine Kostenvergütung in Höhe von 4299 Euro im Monat, die aber weitere Abzüge wie Werbungskosten verbietet.

    Die Altersvorsorge wurde nach etlichen Skandalen um einen europäischen Pensionsfonds neu geregelt. Ab dem vollendeten 63. Lebensjahr gibt es ein Ruhegehalt von 3,5 Prozent des Gehalts für jedes volle geleistete Amtsjahr, jedoch maximal 70 Prozent des Gehalts. Mit dem Tagegeld in Höhe von 304 Euro soll der Aufwand für Hotelübernachtungen oder eine eigene Wohnung vor Ort ausgeglichen werden. Bleibt noch ein Zuschuss von 21209 Euro im Monat, der den Parlamentariern zusteht, aber nicht an sie ausbezahlt wird. Damit werden die Mitarbeiter bezahlt sowie deren Reisekosten nach Straßburg beglichen. „Wir beschweren uns wirklich nicht“, sagt ein Volksvertreter, „aber das Bild vom reichen Politiker stimmt einfach nicht.“

    Das Europaparlament: Zahlen und Fakten

    1979 fand die erste Europawahl statt. Das Parlament wird für fünf Jahre gewählt.

    Bei der Wahl 2014 werden 751Mandate für die kommende Legislaturperiode vergeben.

    Aus Deutschland werden 2014 96 Bewerber einen Sitz im EU-Parlament erhalten. Das sind so viele wie aus keinem anderen Mitgliedstaat, aber drei weniger als bisher.

    CDU und CSU errangen 2009 in Deutschland die meisten Sitze (42) vor SPD (23), den Grünen (14) sowie FDP (zwölf) und Linken (acht).

    Im EU-Vertrag von Lissabon wurde eine Höchstzahl von 96 Abgeordneten pro Land beschlossen.

    Die Wahlbeteiligung ist bei jeder Europawahl gesunken. Lag sie im Jahr 1979 noch bei 63 Prozent, gaben vor fünf Jahren nur noch 43 Prozent der Europäer ihre Stimme ab.

    Die Abgeordneten aus den 28 Mitgliedstaaten haben sich zu derzeit sieben Fraktionen zusammengeschlossen.

    Fünf, drei oder null Prozent: Bei der Europawahl in Deutschland sollte erstmals eine Drei-Prozent-Hürde gelten, die eine Partei für einen Einzug ins EU-Parlament überwinden muss. Das Bundesverfassungsgericht erklärte diese aber für verfassungswidrig.

    Zwei Arbeitsorte: Die Abgeordneten pendeln zwischen den 435 Kilometer voneinander entfernten Arbeitsorten Brüssel und Straßburg.

    Den "Wanderzirkus" machen monatlich rund 4000 Abgeordnete, Assistenten, Beamte, Vertreter der EU-Kommission und Dolmetschern mit. Mindestens 150 Millionen Euro an Steuergeldern würden damit jährlich verschwendet, monieren Kritiker.

    Die meiste Zeit verbringen die Abgeordneten in Brüssel, wo die Ausschüsse und die Fraktionen tagen. Bisher sind alle Vorstöße gescheitert, den Parlamentssitz nach Brüssel zu verlegen.

    Nach der Europawahl werden auch der Präsident der EU-Kommission und die anderen Kommissare neu bestimmt.

    Das Einkommen wird schon durch einen Blick in die Terminkalender relativiert: Die tägliche Arbeitszeit liegt nicht selten bei 14 bis 16 Stunden. Am Wochenende stehen weitere Termine im Wahlkreis an. Hinzu kommt das Leben aus dem Rollkoffer. Deren Geräusche prägen das Europäische Viertel in Brüssel sogar noch mehr als der Lärm der rund 90000 Fahrzeuge, die jeden Tag Richtung Parlament oder Kommission rollen.

    Wir stehen vielleicht vor der wichtigsten Europawahl, die es je gab. „In den kommenden fünf Jahren muss Europa in vielen Fragen Farbe bekennen“, heißt es bei den Gesprächen immer wieder. „Wer Einfluss auf die künftige Ausrichtung der Kommission ausüben will, muss für ein starkes Parlament sorgen“, betonen die Spitzenkandidaten der Konservativen und der Sozialdemokraten, Jean-Claude Juncker und Martin Schulz. Dass die Zeiten vorbei sind, in denen die Parteien mehr oder weniger prominente Politrentner nach

    Als der ehemalige bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber mit seiner Arbeitsgruppe zur Entbürokratisierung die Arbeit aufnahm, ließ er ausrechnen, wie hoch der Anteil der nationalen Gesetze ist, die zuvor vom Europäischen Parlament angestoßen werden: Es sind 80 Prozent! Stoibers Fazit: „Europa ist heute mindestens genauso wichtig wie die Arbeit eines nationalen Parlamentes.“

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