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Europawahl 2019: Alarmstufe Schwarz-Rot: Wie geht es nun mit der GroKo weiter?

Europawahl 2019

Alarmstufe Schwarz-Rot: Wie geht es nun mit der GroKo weiter?

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    Der Künstler Jacques Tilly startet das Abwracken der von ihm gestalteten Düsseldorfer Karnevalswagen. Das Bild zeigt einen Wagen mit der CDU Vorsitzenden Kramp-Karrenbauer und der SPD Vorsitzenen Nahles.
    Der Künstler Jacques Tilly startet das Abwracken der von ihm gestalteten Düsseldorfer Karnevalswagen. Das Bild zeigt einen Wagen mit der CDU Vorsitzenden Kramp-Karrenbauer und der SPD Vorsitzenen Nahles. Foto: Henning Kaiser, dpa (Symbol/Archiv)

    In der Regel pflegt Carsten Linnemann einen ruhigen Umgangston. Stets korrekt gekleidet, ist der Chef der CDU/CSU-Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung zwar ein Freund der scharfen Analyse. Die allerdings trägt er unter normalen Umständen freundlich-korrekt vor. Doch für die

    Sichtlich getroffen vom schlechten Abschneiden seiner Partei bei der Europawahl fordert der 41-Jährige einen Neustart bei der CDU und spricht damit das aus, was viele Christdemokraten gerade denken. „Die Union ist dabei, den Status als Volkspartei zu verlieren“, schimpft Linnemann und gibt „Alarmstufe Rot“ für die Schwarzen aus.

    Konsequenzen werden rund drei Kilometer entfernt auch bei der SPD gefordert. Die Sozialdemokraten hat es am Wahlsonntag ja noch schlimmer getroffen als den Koalitionspartner. Entsprechend gequält tritt Parteichefin Andrea Nahles im Willy-Brandt-Haus vor die Mikrofone. „Gut geschlafen habe ich nicht“, sagt eine zerknirschte Nahles nach einer Sitzung der Parteispitze. „Ich habe von einer Zäsur gesprochen und das fühlt sich auch so an.“

    Am Montagabend kündigt Andrea Nahles eine Neuwahl der Fraktionsspitze an

    Mit Zäsur meint Nahles die Ablösung der SPD als zweite Kraft im Parteiensystem durch die Grünen. „Die Verantwortung, die ich habe, spüre ich. Die will ich aber auch ausfüllen“, beschreibt sie fast schon mit Pathos ihre Gemütsverfassung. Das ist das eine. Zweitens weist sie jeden Gedanken an einen Rücktritt zurück. Dass sie dann doch die Flucht nach vorne antritt und sich in der kommenden Woche in der Bundestagsfraktion vorzeitig einer Neuwahl stellen will, wird sie erst am Abend im ZDF ankündigen, mit den Worten: „Wenn ich da herausgefordert werde, dann gehe ich mit offenem Visier vor. Deswegen bin ich bereit, jetzt Klarheit zu schaffen.“ Eigentlich stand die Wahl der Fraktionsspitze turnusmäßig erst im September an.

    Zuvor gesteht sie ihren internen Kritikern immerhin zu, dass auch unter ihrem Vorsitz der SPD eine klare Strategie fehle, wie sie Themen besetzen könne. Den Serien-Wahlverlierern mangele es an klaren Positionen bei den Themen Klima und Arbeit.

    Am Abend tritt Andrea Nahles die Flucht nach vorne an. Überraschend stellt sie sich einer Neuwahl an der Spitze der Fraktion.
    Am Abend tritt Andrea Nahles die Flucht nach vorne an. Überraschend stellt sie sich einer Neuwahl an der Spitze der Fraktion. Foto: Tobias Schwarz, afp

    Am Tag danach herrscht also eine Art „Alarmstufe Schwarz-Rot“ in der Großen Koalition. Fakt ist: Sie schrumpft und schrumpft und schrumpft. Zusammen kommen CDU/CSU und SPD nur noch auf 44 Prozent. Bei einem solchen Ergebnis würde es nach einer Bundestagswahl nicht mehr für ein gemeinsames Bündnis reichen. Was heißt das erst für die so brisanten Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen am 1. September?

    Es spricht für die Ratlosigkeit in dieser Zeit, dass auf der Suche nach Ursachen auch bei der CDU das Klima im Vordergrund steht und andere Schwerpunkte, etwa das Thema Flüchtlinge, allenfalls am Rande erwähnt werden. Auch hier tritt Carsten Linnemann als Vordenker auf. Er fordert, die CDU müsse sich „wieder darauf konzentrieren und besinnen, wofür wir stehen und wofür wir nicht stehen“. Dabei ist Linnemann und vielen anderen Christdemokraten im Moment vor allem klar, wofür sie nicht stehen – und das ist eben genau der Klimaschutz.

    Die Analyse der Europawahl zeigt, dass bei diesem Thema die Sonne eindeutig für die Grünen scheint. Die Christdemokraten haben es nicht vermocht, den Umweltgedanken auszuformulieren. An der CDU-Basis machen viele dafür das Konrad-Adenauer-Haus verantwortlich. Es reiche eben nicht, den Grünen einfach nur nach dem Mund zu plappern. Vielmehr müssten deren Argumenten eigene Ideen entgegengesetzt werden, monieren die Kritiker. Andere, die noch nicht ganz so hoch auf dem Baum sind, sehen die Sache etwas differenzierter und weisen darauf hin, dass die Grünen zwar für Klimaschutz sind, aber auch noch keine schlüssigen Gesamtkonzepte, etwa zur CO2-Vermeidung, vorgelegt haben.

    Wie geht die CDU mit dem Klimaschutz um?

    Fest steht für die CDU, dass sie den Klimaschutz nicht mehr vernachlässigen will. Das Thema soll in Zukunft wieder gleichberechtigt neben den Kernthemen Wirtschaft und Innere Sicherheit stehen. Wobei noch immer nicht geklärt ist, wer das Umweltgesicht der CDU sein könnte.

    Während die CSU ihre Hausaufgaben bereits gemacht und der Abgeordneten Anja Weisgerber diese Rolle übertragen hat, eiert die große Schwesterpartei noch herum. Die Unentschlossenheit lasten Teile der CDU der Ämtertrennung an. Die Debatte darüber, ob es Sinn macht, dass Angela Merkel die Regierungsgeschäfte führt und Annegret Kramp-Karrenbauer lediglich das Ehrenamt der Parteivorsitzenden führen darf, hat nach dieser Europawahl wieder an Fahrt gewonnen. Einen offenen Konflikt gibt es noch nicht, auch bei der Sitzung des Parteivorstands am Montag spielt das Thema nach Teilnehmerangaben keine große Rolle. Aber endgültig gesetzt ist AKK noch nicht.

    Drüben bei den Sozialdemokraten hat das Klima die Chance, zum Koalitionskiller zu werden. Fraktionsvize Karl Lauterbach geht in die Offensive. Frontal wirbt er für den Bruch der Regierung. Mit den Konservativen werde man beim Klimaschutz und bei der Bekämpfung der Ungleichheit im Lande keine großen Würfe erreichen, glaubt der Gesundheitsexperte. „Ich bin ein klarer, offener Befürworter von Rot-Rot-Grün.“

    ---Trennung Der Einfluss der GroKo-Verteidiger schrumpft immer weiter Trennung---

    Lauterbach steht mit solchen Gedankenspielen nicht allein da. Mit jeder Wahlschlappe schrumpft der Einfluss der GroKo-Verteidiger gegen die innerparteilichen Gegner. Derzeit dominieren bei der SPD diejenigen, die aus Angst vor noch größeren Verlusten am ungeliebten Bündnis mit CDU und CSU festhalten. Aus Angst vor dem Tod begehen wir politischen Selbstmord, entgegnen die Skeptiker der Großen Koalition. Am Rande stehen die potenziellen Königsmörder und wetzen schon mal die Messer. Juso-Chef Kevin Kühnert verlangt von den GroKo-Anhängern „gute Argumente“, warum die SPD das Bündnis fortsetzen sollte. „Nächsten Montag muss klar erkennbar sein, wo die Reise hingeht. (…) Wir müssen innerhalb von sieben Tagen handlungsfähig werden“, sagt der 29-Jährige mit Blick auf eine für Anfang kommender Woche geplante SPD-Vorstandsklausur.

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    Foto: Es könnte besser laufen: CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer am Tag nach der Europawahl.Michael Kappeler, dpa

    Da immerhin hat die CDU mit der SPD etwas gemeinsam. Auch die Christdemokraten wollen in den kommenden Tagen einen ersten Aufarbeitungsaufschlag wagen. Sie halten ab Sonntagabend in Berlin eine Vorstandsklausur ab. Dabei könnte es erste Personalentscheidungen geben, die sich beispielsweise auf die Kommunikationspolitik der Bundespartei beziehen. Da wird, befeuert durch die unrühmliche Entwicklung rund um das Video des Youtubers Rezo noch Nachholbedarf in der Partei gesehen. Veränderungen in den Spitzenpositionen plant Kramp-Karrenbauer hingegen nicht.

    Für eine umfassende Reform will sich die Vorsitzende ohnehin bis zum Parteitag 2020 Zeit lassen. Sie möchte dann alles in einem Aufwasch erledigen: die Neuausrichtung der Partei, verbunden mit der Verabschiedung eines neuen Grundsatzprogramms, sowie die Klärung der Frage, wer neue Kanzlerkandidatin werden soll.

    Die Frage ist allerdings, ob Linnemann und alle anderen Zornigen in der CDU ihrer Vorsitzenden so viel Zeit lassen. Denn bis 2020 lauern eben noch die Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen. Länder, in denen der Klimaschutz nicht so vehement diskutiert wird und nicht die Grünen, sondern die AfD der härteste Gegner ist.

    Bei der SPD sitzt der Schock noch tiefer als bei der CDU

    Über Kramp-Karrenbauer schwebt dabei das Damoklesschwert des Hamburger Parteitags im Dezember letzten Jahres. Dort hatte sich die CDU darauf eingeschworen, dass die Zahl der Wählerstimmen künftig nur noch in eine Richtung zeigen soll, nämlich nach oben. Einmal ist es nun schon bergab gegangen. Sollte es bei den Wahlen im Osten erneut Stimmverluste geben, könnte das Schwert der politischen Karriere von Kramp-Karrenbauer ganz schnell ein Ende setzen.

    Bei der SPD sitzt der Schock nach den beiden Pleiten noch tiefer. Spricht man mit Abgeordneten und Mitarbeitern, ist eine völlige Rat- und Mutlosigkeit zu spüren. Die SPD ist dabei, sich aufzugeben. Kein Strohhalm ist zu fassen, der den Genossen Halt geben könnte. Vor diesem Hintergrund blühen bei der SPD die Personalspekulationen.

    Zur Attacke des gescheiterten Kanzlerkandidaten Martin Schulz auf Andrea Nahles gibt es verschiedene Einschätzungen. Sie reichen von „das ist richtig“ bis hin zur Frage, was es denn der SPD bringe, wenn Schulz der 48-Jährigen den Fraktionsvorsitz entreißen würde.

    Geklärt ist das Postengeschachere damit keineswegs. Die Unzufriedenheit mit Nahles ist nahezu mit Händen greifbar. Ihr Auftreten und ihr Stil werden von vielen als peinlich wahrgenommen. Von den Fraktionssitzungen heißt es, dort ginge es wegen mangelhafter Leitung von Seiten Nahles’ „drunter und drüber“. Wie lange noch, wird die Neuwahl an der Spitze kommende Woche Dienstag zeigen. Denkbar sind für die Neuwahl vor allem zwei Szenarien: Nahles bleibt Fraktionsvorsitzende. Oder: Nahles, und das ist eher wahrscheinlich, räumt den Platz an der Fraktionsspitze, um Druck von sich zu nehmen und ihrer Partei wieder mehr Luft zum Atmen zu verschaffen. Fraglich ist allerdings, wer ihr nachfolgen soll. Tatsächlich Martin Schulz? Und Nahles bekäme in diesem Fall den Posten der Arbeitsministerin? Machbar wäre das, denn durch den Weggang von Justizministerin Katarina Barley – sie geht für die SPD nach Brüssel – wird im Kabinett ein Platz frei. Als weiterer Kandidat für den Fraktionsvorsitz wird bereits der Mindener SPD-Bundestagsabgeordnete Achim Post gehandelt. Post ist Fraktionsvize der Partei.

    Derzeit schützen die erste Chefin der SPD-Geschichte zwei Dinge. Noch. Einerseits gibt es zumindest für das Parteiamt keinen Herausforderer, der sich aufdrängt und bereitsteht, um den Retter zu geben. Andererseits wird für die Landtagswahlen im Osten ein Sündenbock gebraucht. Die Umfragen sagen für die drei Länder ein weiteres Debakel voraus.

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