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Europawahl 2014: Wie rechts ist Europa?

Europawahl 2014

Wie rechts ist Europa?

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    Ihr Erfolg macht die europafreundlichen Parteien nervös: Marine Le Pen hat der ultrarechten Front National zur stärksten politischen Kraft in Frankreich gemacht. Sie bemüht sich seit Monaten um eine starke rechte Allianz im Europäischen Parlament.
    Ihr Erfolg macht die europafreundlichen Parteien nervös: Marine Le Pen hat der ultrarechten Front National zur stärksten politischen Kraft in Frankreich gemacht. Sie bemüht sich seit Monaten um eine starke rechte Allianz im Europäischen Parlament. Foto: Pierre Andrieu, afp

    Der Morgen danach offenbart das Desaster. Mehr als 100 der 751 Sitze im neuen Europäischen Parlament könnten an die gehen, vor denen die anderen Parteien wochenlang gewarnt hatten: EU-Gegner, Euro-Feinde, Europa-Skeptiker und Nationalisten. Die britische Ukip, der französische Front National, die Dänische Volkspartei – sie alle werden ihre Vertreter nach Straßburg schicken. Doch wie viel Macht werden die Neinsager tatsächlich haben?

    Beispiel Großbritannien: Die Briten haben klar gesagt, was sie mit der Europäischen Union zu tun haben wollen – nämlich am liebsten nichts. Die Rebellen um Ukip-Chef Nigel Farrage besetzen zwar künftig bis zu 24 der 73 Sitze, die dem Vereinigten Königreich zustehen. Für eine Fraktion reicht das aber nicht. Genauso ergeht es der Front-National-Chefin Marine Le Pen. Sie kann mit 25 Mandaten rechnen – zu wenig für eine Fraktion.

    Nicht jeder kann mit jedem

    Denn die Geschäftsordnung des Parlamentes verlangt für eine Fraktion mindestens 25 Abgeordnete, die aber aus sieben Ländern kommen müssen. Der Traum von der starken rechten Fraktion, die rein numerisch sogar die drittstärkste Kraft im Parlament stellen könnte, ist schon ausgeträumt, bevor die Parlamentarier am 1. Juli zum ersten Mal offiziell zusammenkommen.

    Denn die EU-skeptischen Briten wollen nicht mit den rechten Franzosen, die wiederum nicht mit radikalen Dänen. Le Pen versucht schon seit Monaten, eine neue rechte Allianz zu schmieden. Ob ihr das gelingt, ist fraglich. Ihr politischer Flirt mit dem niederländischen Rechtspopulisten Geert Wilders, der mit drei Sitzen rechnen kann, scheint schon nach wenigen Monaten wieder beendet. Andererseits: Rechtsextreme, ausländerfeindliche oder offen antisemitische Parteien verzeichneten auch in Griechenland, Polen und Ungarn Erfolge. In Österreich wählten ebenfalls viele Menschen rechtspopulistisch.

    Die FPÖ mit ihrem schillernden Chef Heinz-Christian Strache holte vier Sitze. Und nicht zu vergessen: Auch auf der anderen Seite des politischen Spektrums legten die Extreme zu. So siegte in Griechenland die linksradikale Syriza mit mehr als 26 Prozent der Stimmen. Insgesamt wählte etwa jeder fünfte Europäer eine EU-kritische Protestpartei – ein deutlicher Anstieg gegenüber 2009.

    Schockzustand in Brüssel

    Der Erfolg der extremen Kräfte hat in Brüssel einen Schock ausgelöst. Politologen wie Daniela Kietz von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin sehen dennoch keine große Gefahr für die Arbeit des neuen Parlaments. Der Zulauf sei „moderater“ ausgefallen, als von vielen befürchtet, sagt Kietz. „Die extremen Rechten werden im Parlament Krawall machen und das Plenum als Bühne nutzen.“ Aber sie würden „keinen Einfluss auf die Gesetzgebung“ haben.

    „Die Menschen wollen Wandel“, sagt Londons Premier David Cameron. Viele seien vom europäischen Projekt desillusioniert. Auf den konservativen Regierungschef wächst nun der Druck von rechts weiter. Der einflussreiche Partei-Rechtsaußen David Davis forderte, das von Cameron für Herbst 2017 angekündigte Referendum über den Verbleib Großbritanniens in der EU um ein Jahr vorzuziehen.

    Cameron steht mit seinem Wunsch nach einem Kurswechsel in Europa nicht alleine. Frankreich, Deutschland, Polen, Finnen – sie alle ziehen an einem Strang, wenn es darum geht, die Gemeinschaft umzukrempeln und Kompetenzen auch wieder in die Mitgliedstaaten zurückzuverlagern. Kurioserweise könnte die Gipfelrunde dabei sogar auf die Zustimmung derer bauen, vor denen sie bisher gewarnt hat.

    Denn zumindest die europäischen Konservativen und Reformisten, die mit 52 Abgeordneten die fünftstärkste Fraktion bilden dürften und auch die politische Heimat der sechs AfD-Vertreter werden soll, könnten sich mit einer solchen abgespeckten EU durchaus anfreunden.

    Der EU steht nun Ursachenforschung bevor

    Das Europaparlament: Zahlen und Fakten

    1979 fand die erste Europawahl statt. Das Parlament wird für fünf Jahre gewählt.

    Bei der Wahl 2014 werden 751Mandate für die kommende Legislaturperiode vergeben.

    Aus Deutschland werden 2014 96 Bewerber einen Sitz im EU-Parlament erhalten. Das sind so viele wie aus keinem anderen Mitgliedstaat, aber drei weniger als bisher.

    CDU und CSU errangen 2009 in Deutschland die meisten Sitze (42) vor SPD (23), den Grünen (14) sowie FDP (zwölf) und Linken (acht).

    Im EU-Vertrag von Lissabon wurde eine Höchstzahl von 96 Abgeordneten pro Land beschlossen.

    Die Wahlbeteiligung ist bei jeder Europawahl gesunken. Lag sie im Jahr 1979 noch bei 63 Prozent, gaben vor fünf Jahren nur noch 43 Prozent der Europäer ihre Stimme ab.

    Die Abgeordneten aus den 28 Mitgliedstaaten haben sich zu derzeit sieben Fraktionen zusammengeschlossen.

    Fünf, drei oder null Prozent: Bei der Europawahl in Deutschland sollte erstmals eine Drei-Prozent-Hürde gelten, die eine Partei für einen Einzug ins EU-Parlament überwinden muss. Das Bundesverfassungsgericht erklärte diese aber für verfassungswidrig.

    Zwei Arbeitsorte: Die Abgeordneten pendeln zwischen den 435 Kilometer voneinander entfernten Arbeitsorten Brüssel und Straßburg.

    Den "Wanderzirkus" machen monatlich rund 4000 Abgeordnete, Assistenten, Beamte, Vertreter der EU-Kommission und Dolmetschern mit. Mindestens 150 Millionen Euro an Steuergeldern würden damit jährlich verschwendet, monieren Kritiker.

    Die meiste Zeit verbringen die Abgeordneten in Brüssel, wo die Ausschüsse und die Fraktionen tagen. Bisher sind alle Vorstöße gescheitert, den Parlamentssitz nach Brüssel zu verlegen.

    Nach der Europawahl werden auch der Präsident der EU-Kommission und die anderen Kommissare neu bestimmt.

    „Der Grund hinter einem solchen Votum wie in Frankreich ist nicht, dass die Menschen Hardcore-Extremisten sind“, sagte Parlamentspräsident Martin Schulz noch am Wahlabend. „Sie sind enttäuscht. Sie haben Vertrauen und Hoffnung verloren, dass wir Europäer uns um sie scheren und um die Zukunft ihrer Kinder kümmern“, fügte der Spitzenkandidat der Sozialdemokraten hinzu.

    Die Gegner und Kritiker des bisherigen Kurses haben die politische Landschaft in der EU schon jetzt ein bisschen verändert. Zwischen den gestärkten Flügeln rechts und links werden sich Konservative und Sozialdemokraten gezwungen sehen, stärker mit den Liberalen und den Grünen zusammenzuarbeiten. mit dpa/afp/msti

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