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Europawahl 2014: Nach Wahldebakel steht CSU vor Wende: Wer kommt nach Seehofer?

Europawahl 2014

Nach Wahldebakel steht CSU vor Wende: Wer kommt nach Seehofer?

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    Horst Seehofer ist mit dem Ergebnis seiner Partei sichtlich unzufrieden. 
    Horst Seehofer ist mit dem Ergebnis seiner Partei sichtlich unzufrieden.  Foto: Peter Kneffel

    Ein bisschen ist es wie beim Schafkopf: Wenn nach stundenlangem Spiel ein frisches Päckchen Karten auf den Tisch kommt, dann atmen alle durch. Der eine hofft, dass es jetzt endlich besser für ihn läuft. Der andere hofft, dass seine gute Serie anhält. Der dritte Spieler beschließt, jetzt mal offensiver ans Werk zu gehen. Der vierte nimmt sich vor, sich ein bisschen besser zu konzentrieren. Das ist, kurz gesagt, reine Psychologie. Gespielt nämlich wird mit den gleichen Karten – nur eben nicht mit denselben.

    Für Horst Seehofer, den bekanntesten Spieler im bayerischen Politikbetrieb, ging gestern Abend eine lange Etappe zu Ende: vier Wahlen in Serie. Zweimal – bei der Bundes- und bei der Landtagswahl – war er mit seiner Partei klarer Sieger. Bei der Kommunalwahl schnitt seine CSU zwar nicht ganz so gut ab wie erhofft, aber doch recht ordentlich. Bei der Europawahl erlebte die Partei gestern ein Debakel.

    Fassungslosigkeit nach der Wahl bei der CSU

    Fassungslosigkeit herrscht am gestrigen Abend bei der Wahl-Party, die keine Party werden wollte. Wortlos steht der frühere bayerische Justizminister Alfred Sauter da, als die ersten Hochrechnungen hereinkommen. „Ich glaube es nicht, dass das stimmt“, sagt der Günzburger Landtagsabgeordnete dann. Und die potenzielle Kronprinzessin im Freistaat, Ilse Aigner, versucht es mit oberbayerischem Understatement: „Erfreut bin ich nicht.“

    Kurz vor 19.30 Uhr trifft Seehofer selbst ein. Er nennt das Ergebnis eine „herbe Enttäuschung“ und spricht von einer „bitteren Stunde“. Applaus gibt es nur zweimal: Als der Parteichef die Wahlkämpfer um CSU-Spitzenkandidat Markus Ferber für ihr Engagement im Wahlkampf dankt und als er die Parteimitglieder auffordert, „dass wir in den nächsten Wochen als CSU zusammenstehen.“

    Ab heute werden die Karten neu gemischt. Seehofer kann für sich in Anspruch nehmen, in den vergangenen fünfeinhalb Jahren seinen Auftrag erfüllt zu haben, der CSU ihre Dominanz in Bayern zurückzuerobern und ihren Status als erfolgreichste Volkspartei Europas zu erhalten. Das nächste Mal wird, wenn er seine Ankündigung wahr macht und bis 2018 seine Ämter als CSU-Chef und Ministerpräsident aufgibt, ein anderer oder eine andere an seiner Stelle stehen. Was aber passiert bis dahin? Wann hat der Mohr seine Schuldigkeit getan? Wann geht er? Wann muss er gehen? Und wer kommt?

    Die Ablösung eines Ministerpräsidenten ging nie ohne Reibereien ab

    Noch nie in der jüngeren Geschichte der CSU ging die Ablösung eines Ministerpräsidenten ohne Reibereien über die Bühne. Franz Josef Strauß drängte 1978 Alfons Goppel aus dem Amt. Edmund Stoiber servierte 1993 Max Streibl ab. Erwin Huber und Günther Beckstein sorgten 2007 für den Rücktritt Stoibers und wurden schon 2008 selbst aus ihren Ämtern als Parteichef und Ministerpräsident gejagt. Strauß ist bisher die einzige Ausnahme: Er starb in Amt und Würden – was hinterher zweifellos die Legendenbildung erleichterte. Welches Schicksal aber erwartet Seehofer in den kommenden dreieinhalb Jahren? Europawahl: Protestparteien im Aufwind

    Wer auf den Anfang schaut, den muss vor dem Ende grauen. Die CSU-Granden hoben Seehofer nach dem CSU-Wahldebakel 2008 nicht deshalb auf den Schild, weil er so beliebt war oder weil er mit einem Programm überzeugen konnte. Seehofer wurde nur aus einem einzigen Grund Parteichef und Ministerpräsident – weil kein anderer da war, dem die Führungsspitze der Partei einhellig zutraute, die CSU wieder nach oben zu bringen.

    Um es vorsichtig auszudrücken: So erfolgreich er danach beim Wähler auch war – die Liebe des Parteiapparats konnte Seehofer sich nicht erobern. Im Gegenteil. Am Anfang seiner Amtszeit stand zunächst die endgültige Entmachtung der einst so selbstbewussten CSU-Landtagsfraktion. Die Abgeordneten hatten in der Koalition mit der FDP so wenig zu sagen wie nie zuvor. Gleichzeitig disziplinierte und schurigelte der Regierungschef seine Minister nach Belieben. Zur Not kanzelte er sie öffentlich ab. Die wichtigsten Stichworte aus Seehofers „Das-können-Sie-alles-senden-Phase“ sind bekannt: „Schmutzeleien“, „charakterliche Schwächen“, „Mäusekino“, „Dipfelscheißer“

    Einige im Landtag sehen die „Tage der Abrechnung“ heraufziehen

    Die Betroffenen nahmen all dies ohne Gegenwehr hin, weil wichtige Wahlen vor der Tür standen. Mittlerweile regiert die CSU in Bayern wieder alleine und seit gestern ist auch die für lange Jahre letzte Wahl vorbei. Wird sich damit auch der Umgangston in der CSU ändern? Wird Seehofer nach der gestrigen Pleite zahmer? Werden die anderen frecher?

    Prognosen gibt es dazu auf den Fluren des Landtags viele. Einige sehen die „Tage der Abrechnung“ heraufziehen. Jahrelange Demütigungen könnten nicht ohne Folgen bleiben, sagen sie. Andere mahnen zur Ruhe. Es laufe doch blendend für die CSU, betonen sie und erinnern daran, dass offen ausgetragene Machtkämpfe der Partei noch immer geschadet hätten. Und außerdem sei doch noch längst nicht klar, wer Seehofer nachfolgen könnte: Ilse Aigner? Markus Söder? Mister X? Seehofer hat Kronprinzen, aber noch lange keinen Herausforderer.

    Die jetzt schon allseits beliebte Nachfolge-Debatte könnte allerdings schnell Dynamik entwickeln, wenn die bisher unter dem Deckel gehaltenen inhaltlichen Widersprüche in Seehofers „Koalition mit dem Volk“ virulent werden. Beispiel 1: Der CSU-Chef hat seiner Partei den Atomausstieg verordnet, kämpft aber auch gegen Wind und Kohle, Pumpspeicherwerke und Stromtrassen. Der Energiewende in Bayern fehlt immer noch ein verlässliches Gesamtkonzept. Beispiel 2: Seehofer hat einen Personalstopp beim Staat versprochen, wird aber für Gymnasialreform, Ganztagsschulen und Inklusion wohl noch tausende neuer Lehrer brauchen. Beispiel 3: Das Versprechen, die Landesbank könnte für die Kosten ihrer Rettung selbst aufkommen, ist schon halb gebrochen. Die Risiken für den Staatshaushalt sind immens. Das Ziel, bis 2030 alle Schulden abzubauen, wankt.

    Bisher wurde über diese und weitere Risiken von Seehofers Befriedungspolitik in der CSU bestenfalls hinter verschlossenen Türen gesprochen. Eine echte Debatte über den künftigen Kurs fand nicht statt. Die CSU hat sich ihrem Chef untergeordnet, aber sie ist sich ihrer selbst nicht sicher. Das galt auch für die Strategie bei der Europawahl. Im Prinzip für und im Detail gegen Europa – dieses Motto wurde von den Wählern nicht honoriert. Seehofer, der seiner Partei einen Spagat zwischen Europafreunden und -skeptikern verordnet hatte, wird sich rechtfertigen müssen.

    Die „Tage der Abrechnung“ sind vielleicht noch nicht gekommen. Die „Tage der Wahrheit“ aber werden bald da sein. Die Frage, wie lange die Partei dem machtbewussten Instinktpolitiker an ihrer Spitze noch folgt, stellt sich ab dem heutigen Tag.

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