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Europawahl 2014: Der Aufstand der Euro-Skeptiker

Europawahl 2014

Der Aufstand der Euro-Skeptiker

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    AfD-Spitzenkandidat Bernd Lucke gibt bei der Wahlparty der Alternative für Deutschland zur Europawahl in Berlin ein Interview. In Bayern erreichte die AfD 8 Prozent.
    AfD-Spitzenkandidat Bernd Lucke gibt bei der Wahlparty der Alternative für Deutschland zur Europawahl in Berlin ein Interview. In Bayern erreichte die AfD 8 Prozent. Foto: Hannibal Hanschke

    Man hat schnell Begriffe zur Hand, wenn man so eine Wahl auf den Punkt bringen will. Von „Rechtsruck“ haben viele im Vorfeld der EU-Abstimmung gesprochen, wenn sie einen gemeinsamen Nenner finden wollten für die Luckes, Grillos und Le Pens, für die Euro-Skeptiker, Populisten und Rechtsextremen dieses Kontinents. Ein Versuch, der zum Scheitern verurteilt ist. Das galt vor der Wahl und gilt auch danach.

    Und doch steht nach diesem Sonntag fest: In einigen Teilen Europas haben gerade rechte Parteien vom Frust über die EU-Bürokratie und einer schlechten Wirtschaftslage mit hoher Arbeitslosigkeit profitiert. Harte Sparprogramme der Regierungen und Ängste vor mehr Zuwanderung stärkten nationale Kräfte. Fest steht auch: Konservative und Sozialdemokraten bilden weiter die beiden dominierenden Blöcke. Drittstärkste Kraft könnte ein Bündnis aus EU-Kritikern werden. Geschätzte 90 von 751 Sitzen würde dieses dann haben. Wenn es zu einem Bündnis kommt.

    Die Bertelsmann-Stiftung hat schon vor der Wahl in einer Studie festgestellt: „Die Anti-Europäer sind isoliert und zersplittert.“ Die deutsche AfD ist meilenweit von der italienischen Polter-Bewegung 5 Sterne entfernt, Frankreichs Marine Le Pen und Großbritanniens Nigel Farage sind sich in herzlicher Abneigung verbunden. Gleichermaßen: Die kleinen Parteien brauchen im EU-Parlament eine Anbindung, um nicht unterzugehen.

    Wo in Europa EU-Kritiker zugelegt haben, wird dies zunächst die nationalen Befindlichkeiten durcheinanderwirbeln. In Griechenland etwa, wo die radikale Linke unter Alexis Tsipras stärkste Kraft geworden ist. Der hatte die Wahl zu einem „Referendum“ über die Sparpolitik erklärt. Steht nun das EU-Rettungspaket wieder zur Diskussion?

    Es ist Frühling, und die AfD ist „aufgeblüht als neue Volkspartei“

    Ein Blick nach Berlin. „AfD, AfD“, schallt es lautstark durch den gut gefüllten Saal im Vier-Sterne-Superior-Hotel „Maritim“, als der Spitzenkandidat der Alternative für Deutschland, Bernd Lucke, die Bühne betritt. Die Prognosen der Fernsehanstalten sind eindeutig. 6,5 Prozent, so heißt es da noch, habe seine EU-kritische Partei erhalten. Später werden es sogar noch ein paar Zehntel mehr. Lucke strahlt. Fast schon erhaben bewegt der 51-jährige Professor für Makroökonomie die Hand hin und her. Zu seiner Rechten haben sich seine fünf Kinder aufgestellt. Die Mädchen tragen Kleider, die Buben Anzüge.

    Zu seiner Linken stehen die anderen AfD-Kandidaten, sie haben sich ähnlich herausgeputzt. Dann wird es still. Parteigründer Lucke hat das Wort. „Es ist Frühling. Die AfD ist aufgeblüht als eine neue Volkspartei.“ Die Menge jubelt. Seine Kinder seien der Grund für sein politisches Handeln, sagt Lucke, deshalb habe er sie mit auf die Bühne gebeten. Was für sie gelte, gelte auch für die EU. „Wir müssen Europa da loben, wo es gut ist, und da kritisieren, wo es der Kritik bedarf.“

    Brav stehen alle fünf da und lächeln, während Papa spricht. Kurz darauf verlässt Lucke die Bühne, die Presse wartet. Die Kinder sind stolz auf ihren Vater. „Aber das waren wir auch vorher schon“, sagt die 17-jährige Tochter Charlotte, die sich mit ihrer Familie unter die Gäste gemischt hat. Ihr zwei Jahre älterer Bruder Friedrich, der dem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten ist, stimmt ihr zu. „Das ist eine unglaubliche Leistung“, sagt er über die Arbeit seines Vaters.

    Die Parteimitglieder feiern ausgelassen. „Wir sind sehr zufrieden, es hätte aber auch noch ein bisschen mehr sein können“, sagen viele. Trotzdem sehen sie ihre Partei als klaren Sieger des Abends. Verlierer seien alle anderen, vor allem die FDP. „Wir sind nicht europafeindlich. Aber man muss über den Euro diskutieren dürfen“, sagt eine Berlinerin. Das Ergebnis sei eine klare Absage an die Europa-Politik der Altparteien. Auch die internen Debatten um das Grundsatzprogramm, das zum Rücktritt etlicher Vorstandsmitglieder führte, und die Kritik an Lucke, dem manche Mitglieder allzu selbstherrliches und autoritäres Gebaren vorwarfen, hat viele Wähler offenbar nicht gestört.

    Offen ist an diesem Abend, wie sich Lucke und seine Mitstreiter im Parlament positionieren. Man wolle mit Parteien des „gemäßigten populistischen Zentrums“ zusammenarbeiten, sagt Lucke, der die AfD „als eine freiheitliche Partei, als eine soziale Partei und als eine werteorientierte Partei“ sieht. Sie als rechtslastig oder gar anti-europäisch abzustempeln, sei „diffamierend“. So schließt er kategorisch aus, mit „irgendwelchen rechtspopulistischen Parteien“ zusammenzuarbeiten.

    Frankreich erzittert: Front National ist stärkste Kraft

    Ein Blick nach Paris. Während in Frankreich noch die Stimmzettel ausgezählt werden, steht die alles bestimmende Frage längst fest: Würde es der ultrarechte Front National tatsächlich schaffen, erstmals die stärkste politische Kraft zu werden, so wie es Umfragen ankündigten? Die Antwort am späten Abend ist unmissverständlich: Ja – und der Erfolg ist noch deutlicher, als es die Umfragen vorhergesagt haben.

    26 Prozent heißt es im vorläufigen Endergebnis, viermal so viel wie 2009. Rund fünf Prozentpunkte mehr als die rechts-konservative UMP. Die regierenden Sozialisten erleben eine historische Schlappe. Mit 13,9 Prozent unterbieten sie sogar das schlechte Ergebnis der Europawahlen 2009 von 16,5 Prozent. Die Wahlbeteiligung von 43 Prozent ist war zwar erneut niedrig, aber doch höher als 2009.

    Front-National-Chefin Marine Le Pen kündigt umgehend die „Rückkehr der souveränen Nationen“ an. Im EU-Parlament, wo die rechtspopulistische Partei mindestens 22 der 74 französischen Abgeordneten stellen könnte, hofft sie auf die Bildung einer europaskeptischen Gruppe, deren Vorsitz sie übernehmen möchte.

    Geschickt hat sie im Wahlkampf die Kritik an den EU-Institutionen und dem Euro mit dem Aufruf einer Abrechnung mit Präsident François Hollande verbunden. „Was bleibt ihm nun anderes übrig als die Nationalversammlung aufzulösen?“, fragt Le Pen. Eine Mehrheit der Franzosen hatte in Umfragen angegeben, das Votum als Abstrafung der Regierung nutzen zu wollen. Nationale Themen überwogen im

    Ein Blick nach London. Die Ergebnisse sind noch nicht veröffentlicht, da sorgen der Rechtspopulist Nigel Farage und seine Unabhängigkeitspartei Ukip bereits für das versprochene Erdbeben in Westminster. Die Briten haben bereits am Donnerstag abgestimmt, die Resultate wurden jedoch erst gestern nach Mitternacht veröffentlicht. Aber der ungewisse Abstimmungsausgang trat in den vergangenen Tagen in den Hintergrund. Für die Medien war es keine Frage mehr, ob die europafeindliche Partei gewinnt, sondern nur noch, wie hoch der Stimmenverlust der etablierten Parteien ausfallen wird. Das Königreich hat sich in dieser Woche zu einem Vier-Parteien-Land entwickelt, die Wahlen werden schon jetzt als historisch bezeichnet. Vieles deutet darauf hin, dass Ukip die politische Landschaft Großbritanniens auf Jahre hinaus verändern könnte.

    Denn parallel zur Europawahl haben die Menschen auf der Insel auch über die Besetzung zahlreicher Stadt- und Gemeinderäte abgestimmt. Und die Ergebnisse ließen nichts Gutes für die konservativen Tories, die oppositionelle Labour-Partei und die Liberaldemokraten hoffen. Der Trend zeigte klar in Richtung Ukip, die auf einen sofortigen EU-Austritt beharrt und die Zuwanderung aus EU-Ländern deutlich beschränken will. Sie konnte deutliche Zugewinne verbuchen. Umfragen sahen sie bei der Europawahl bis zuletzt an der Spitze, manche rechneten mit einem Stimmenanteil von rund 30 Prozent.

    Der Erfolg der Protestpartei auf kommunaler Ebene schreckte vor allem die Konservativen auf. Cameron steht unter dem Druck, bis zur Parlamentswahl 2015 weitere Zugeständnisse an die EU-Kritiker unter den Tories zu machen. Diese schlugen am Wochenende kräftig mit den Flügeln. So verlangten konservative Parlamentsabgeordnete für die Wahl im nächsten Jahr eine engere Verzahnung mit der Ukip. Andere forderten von Cameron, bei einem etwaigen Wahlsieg bei der nächsten

    Schließlich: ein Blick nach Rom. Es ist ein heißer Sonntag in Italien, der offenbar mehr Wähler als sonst vom Gang zu den Wahlurnen abhält. Zwei mehr als selbstbewusst auftretende Männer ringen bis zuletzt um den Sieg. Beppe Grillo von der 5-Sterne-Bewegung und Matteo Renzi, Ministerpräsident und „Dampfplauderer“ aus Florenz, der Reformen im Monatsrhythmus versprochen und angekündigt hat, während des EU-Vorsitzes, den

    Es ist kurz nach 23 Uhr, als es in einer ersten Prognose heißt: Renzi hat die Nase vorne. Seine Demokratische Partei kommt demnach auf 33 Prozent, der einst mit „Komiker“ umschriebene Grillo erreicht immerhin 26,5 Prozent.

    Beppe Grillo redet sich in Rage. Damit holt er jede vierte Stimme

    Grillo hatte am Freitag seinen letzten Wahlkampfauftritt in Rom, bei dem er sich wie immer wutschnaubend und unter Begeisterungsstürmen tausender Zuschauer in Rage redete. Stets hat sich Grillo im Wahlkampf für ein Referendum über den Euro und die EU-Mitgliedschaft Italiens ausgesprochen sowie antideutsche Töne angestimmt. Ministerpräsident Renzi wiederum charakterisierte seinen Zweikampf mit Grillo als „Derby zwischen Wut und Hoffnung“. Mäßig schneidet die Partei Forza Italia von Ex-Premier Silvio Berlusconi ab. Laut Prognose kommt die Partei des wegen Steuerbetrugs verurteilten 77-Jährigen auf 18 Prozent.

    Auf einen gemeinsamen Nenner, gar auf ein gemeinsames Wort, lässt sich diese Wahl nicht bringen.

    Von der Europawahl berichteten unsere Reporter und Korrespondenten Dorothee Pfaffel, Birgit Holzer, Detlef Drewes, Katrin Pribyl, Julius Müller-Meiningen und Andreas Frei.

    Der Wahlabend zum Nachlesen im Liveticker

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