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Europäisches Gericht der Menschenrechte: Das Kreuz und die Menschenwürde

Europäisches Gericht der Menschenrechte

Das Kreuz und die Menschenwürde

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    Kruzifixe in Klassenzimmern beschäftigen heute den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (Archiv). dpa
    Kruzifixe in Klassenzimmern beschäftigen heute den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (Archiv). dpa

    Ihr „Kreuzzug“ ist zu Ende. Neun Jahre lang hatten die in Finnland geborene Italienerin Soile Lautsi und ihr Ehemann durch alle Instanzen geklagt, um zu erreichen, dass ihre Kinder in der Schule nichts ständig auf ein Kruzifix gucken müssen. An diesem Freitag um 15 Uhr urteilte die höchste Instanz des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte: Die Kreuze dürfen hängenbleiben, nicht nur in Italien.

    Ob der Staat in seinen Schulen das Aufhängen von Kreuzen vorschreibe, liege in dem Ermessensspielraum, den der „italienische Staat im Zusammenhang mit seiner Verpflichtung, den Unterricht entsprechend der religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen sicherzustellen, genießt.“ Der Spruch ist eine Überraschung: Noch im November 2009 war eine Vorinstanz des gleichen Hofes zu gegenteiliger Auffassung gelangt und hatte der Familie aus dem Dörfchen Abana Terme sogar 5000 Euro Schadensersatz für erlittene seelische Schäden zugesprochen.

    Klagende Familie erlebte ein Fiasko

    Für die Familie endete die Prozesslawine der zurückliegenden Jahre ohnehin in einem Fiasko. Sie erhielten anonyme Drohbotschaften, Unbekannte beschmierten ihr Haus mit schwarzen Kreuzen. Interviews wollten das Ehepaar schon lange nicht mehr geben, um in einem Land, in dem das Kreuz mehr ist als ein religiöses Symbol, überhaupt noch weiterleben zu können. Tatsächlich hatte die Regierung Silvio Berlusconi, die gegen den ersten Richterspruch Berufung eingelegt hatte und am Freitag siegte, einen regelrechten Religionskrieg vom Zaun gebrochen. Würde man das erste Urteil aus Straßburg zu Ende denken, so argumentierte man in Rom, müssten auch alle Kirchen abgerissen werden, die allein durch ihre öffentliche Präsenz die Gefühle ihrer nichtreligiösen Betrachter stören können. „Es gibt keine Möglichkeit, unser Land zu zwingen, die Kruzifixe aus den Klassenzimmern zu entfernen“, sagte Berlusconi vor der jetzigen Entscheidung.

    Erinnerungen an den Streit in Deutschland 1995

    In Deutschland werden Erinnerungen an den Streit wach, der 1995 sogar das Bundesverfassungsgericht auf den Plan gerufen hatte. Damals hatten die Karlsruher Richter entschieden, dass die staatlich verordnete Anbringung eines Kreuzes oder Kruzifixes in den Unterrichtsräumen gegen die Religionsfreiheit verstoße. Das zuvor erlassene bayerische Gesetz, nach dem in den Schulen des Freistaates Darstellungen des gekreuzigten Jesus nicht nur erlaubt waren, sondern sogar angebracht werden mussten, wurde damit für nichtig erklärt. Der Münchner Landtag  novellierte seine Vorschrift postwendend: Demnach muss ein Kruzifix abgehängt werden, wenn ein Erziehungsberechtigter eines Schülers oder einer Schülerin dies verlangt.

    Die Kinder Dataico und Sami Albertin, um deren seelische Harmonie sich die Kläger sorgten, dürften von dem Ausgang des Verfahrens nicht allzu sehr berührt sein. Sie sind im Laufe der jahrelangen Gerichtsverfahren eben auch älter geworden und stehen kurz vor dem Ende ihrer Schulausbildung. (Aktenzeichen  30814/06).

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