Es waren neue und vor allem drastische Drohungen vonseiten des polnischen Ministerpräsidenten. Mateusz Morawiecki warnte diese Woche vor einem „Dritten Weltkrieg“, sollte die Europäische Union versprochene Gelder für sein Land zurückhalten. Nur zwei Tage später folgte wie als Antwort darauf der Paukenschlag aus Luxemburg. Polen soll im Streit über die umstrittene Justizreform ein Zwangsgeld von einer Million Euro zahlen – und zwar pro Tag. Es ist eine harte Strafe des Europäischen Gerichtshofs (EuGH).
Seit Jahren mahnt, kritisiert und bestraft die EU das osteuropäische Land, weil es aus Sicht Brüssels gegen Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit und gegen EU-Recht verstößt. Das Zwangsgeld soll für jeden Tag bezahlt werden, an dem die vom obersten europäischen Gericht gefällten Urteile weiterhin nicht umgesetzt werden. Konkret geht es um die umstrittene Disziplinarkammer, die 2018 von der polnischen Regierung installiert wurde und zu so etwas wie dem Herzstück der von der PiS-Regierung initiierten Justizreformen wurde. Das Gremium ist für Disziplinarverfahren gegen Richter und Staatsanwälte zuständig, kann deren Immunität aufheben, sie suspendieren oder bestrafen.
Warschau verteidigt die Kammer mit der Begründung, man gehe gegen Korruption vor. Für den EuGH ist deren Arbeit aber nicht mit EU-Regeln zur Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz vereinbar. Die Einhaltung der Anordnung vom 14. Juli sei erforderlich, um einen „schweren und nicht wiedergutzumachenden Schaden“ von der Rechtsordnung der Europäischen Union und den Werten, auf denen diese Union beruhe (…), abzuwenden, ließ der Vizepräsident des EuGH am Mittwoch mitteilen.
In Warschau schäumte man angesichts des Urteils vor Wut. Zunächst gab es zwar keine offizielle Stellungnahme vonseiten der polnischen Regierung. Der stellvertretende Justizminister Sebastian Kaleta aber schimpfte auf Twitter, das Urteil komme einer „widerrechtlichen Übernahme und Erpressung“ gleich.
Polen wollte im August die Disziplinarkammer in ihrer jetzigen Form abschaffen
Dabei schien es, als würde Polen einlenken, nachdem die EU 2019 zunächst ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet und der EuGH im vergangenen Jahr gegen die Disziplinarkammer geurteilt hatten. So verkündete Warschau Anfang August, das Gremium in seiner jetzigen Form abschaffen zu wollen. Man werde vorerst keine Fälle mehr bearbeiten, zudem sollten die Aufgaben geändert werden.
Doch nicht nur ging die Arbeit weiter; mit dem Urteil des politisch besetzten Verfassungstribunals Polens Anfang Oktober, laut dem zentrale Teile des EU-Vertrags unvereinbar mit der nationalen Verfassung seien, eskalierte der Streit zwischen Brüssel und Warschau auch vollends. In der vergangenen Woche etwa warf Morawiecki der EU im Europäischen Parlament in Straßburg vor, mit zweierlei Maß zu messen. Die polnische Regierung verteidigt sich jedoch immer wieder mit dem Verweis auf andere Mitgliedstaaten – und vorneweg Deutschland.
Auch das deutsche Bundesverfassungsgericht hat sich mit dem EuGH angelegt
Was ist der Unterschied zum Bundesverfassungsgericht, das sich im Mai vergangenen Jahres offen mit dem EuGH angelegt hatte? Damals setzten sich die Karlsruher Richter mit einem Urteil zu Staatsanleihenkäufen der Europäischen Zentralbank über das Votum des Europäischen Gerichtshofs hinweg. Ein Tabubruch. Juristen aber betonen fundamentale Unterschiede. So ging es dem deutschen Verfassungsgericht nur um das Anleiheprogramm der EZB – und damit um eine einzelne Maßnahme, schreibt der Rechtswissenschaftler Alexander Thiele in seinem Verfassungsblog. Das polnische Gericht dagegen stelle „den etablierten Vorrang des Europarechts im Hinblick auf die polnische Verfassung prinzipiell in Frage“, führt er weiter aus.
Während das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung den Vorrang auch vor der Verfassung akzeptiere, erkläre das Warschauer Gericht zwei zentrale Artikel des EU-Rechts für verfassungswidrig, aus denen die Richter in Luxemburg den europäischen Anspruch auf unabhängige nationale Gerichte zurückgeführt haben. Das polnische Urteil „rüttelt an den Grundfesten der europäischen Integration“, so Thiele, und wirke – anders als das deutsche – vor allem in die Zukunft.
EuGH-Urteil stieß im Europäischen Parlament vornehmlich auf Zustimmung
Nun geht der Machtkampf weiter. So stieß das EuGH-Urteil im Europäischen Parlament vornehmlich auf Zustimmung. „Die Nichtbeachtung der europäischen Rechtsordnung hat einen Preis“, sagte Daniel Freund, Europaabgeordneter der Grünen. Für Mitgliedstaaten dürfe es keine Rosinenpickerei geben. „Die EU-Kommission muss jetzt nachziehen und den Rechtsstaatsmechanismus gegen Polen auslösen.“ Der ermöglicht es der Brüsseler Behörde, einem Land Fördermittel zu kürzen oder gar zu streichen, wenn die Gefahr besteht, die Gelder könnten missbräuchlich verwendet werden. Das EU-Parlament drängt die Kommission dazu bereits seit Monaten.