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Europa: EU-Migration: Verstieß Frontex gegen Menschenrechte?

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EU-Migration: Verstieß Frontex gegen Menschenrechte?

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    Das schlechte Gewissen der europäischen Wohlstandsgesellschaften: Migranten aus Afrika auf einem überfüllten Schlauchboot vor der libyschen Küste.
    Das schlechte Gewissen der europäischen Wohlstandsgesellschaften: Migranten aus Afrika auf einem überfüllten Schlauchboot vor der libyschen Küste. Foto: Pablo Tosco, AP/dpa

    Immer, wenn die EU-Mitgliedstaaten in der Asyl- und Migrationspolitik nicht mehr weiter wissen, kommt Frontex ins Spiel. Die EU-Grenzschutzagentur mit Sitz in Warschau wird seit Anfang dieses Jahres systematisch ausgebaut. Rund 1000 Mitarbeiter, die von den Mitgliedstaaten entsandt werden, sind üblicherweise mit der blauen Fahne am Ärmel in Griechenland, Albanien oder Kroatien tätig. Ihre Aufgabe: die Außengrenzen der Europäischen Union gegen illegale Migranten zu sichern und die Mitgliedstaaten bei der Rückführung von Flüchtlingen zu unterstützen.

    Es geht um "Pushbacks" - also die Abweisung von Flüchtlingen

    Doch die Agentur und insbesondere ihr Direktor, der 52-jährige Franzose Fabrice Leggeri, sind in die Kritik geraten. 2015 übernahm der frühere Verwaltungsbeamte aus Frankreich, der sich als Spezialist für schwierige Migrationsthemen einen Namen gemacht hatte, die Leitung der Agentur. Seit 2018 häufen sich die Vorwürfe – vor allem wegen sogenannter Pushbacks, also der Abweisung von Flüchtlingen, teilweise unter dramatischen Umständen. Seit dem vergangenen Wochenende gibt es neue Anschuldigungen, die das Nachrichtenmagazin Spiegel und weitere europäische Zeitungen unter Berufung auf das internationale Recherche-Netzwerk „Lighthouse Reports“ erhoben haben.

    Berichtet wurde von 142 Dokumenten (Programme, Teilnehmerlisten, Präsentationen und Werbekataloge), die belegen sollen, dass Frontex zwischen 2017 und 2019 insgesamt 16 sogenannte „Industry-days“ veranstaltet hat. Eingeladen waren führende Waffenhersteller und Regierungsvertreter unter anderem von Angola, Serbien, dem Kosovo oder Saudi-Arabien. Es ging in erster Linie um Waffen und Technologien zum Außengrenzschutz. Offiziell habe es sich um Treffen mit Unternehmen gehandelt, die auch im Transparenzregister der EU gelistet sein sollen. Es gibt Zweifel.

    Ein Frontext-Beamter beim Einsatz an der Grenze.
    Ein Frontext-Beamter beim Einsatz an der Grenze. Foto: Christian Charisius, dpa

    Doch das ist nur die Spitze des Eisbergs. Seit Anfang des Jahres ermittelt die EU-Antikorruptionsbehörde Olaf gegen Frontex. Seit vielen Monaten gibt es immer wiederkehrende Berichte darüber, dass die Grenzschutzagentur die Arbeit ihrer spanischen Beauftragten für die Beachtung der Grundrechte, Inmaculada Arnáez, blockiert – ganz davon abgesehen, dass die von den EU-Staaten erwünschten 40 weiteren Grundrechtsspezialisten bis heute nicht eingestellt wurden. Mobbing-Vorwürfe stehen im Raum. Und dann sind da eben noch die Pushbacks, also das zum Teil gewaltsame Abweisen von Flüchtlingsbooten, die – einigen Berichten zufolge – sogar mit Wissen und unter den Augen von Frontex in türkische Gewässer zurückgeschleppt werden.

    Das Management von Frontex ist alles andere als transparent

    Zum Missfallen vieler ist das Frontex-Krisenmanagement bisher alles andere als transparent. Leggeri agiert nach dem Motto: Bitte gehen Sie weiter, hier gibt es nichts zu sehen. Im Europaparlament wies er die Pusback-Vorwürfe entschieden zurück – man habe keine Beweise dafür gefunden. Etliche Abgeordnete fordern seinen Rücktritt.

    „Die neuen Berichte über die desaströse Arbeitskultur und verheimlichte Lobbytreffen mit der Rüstungsindustrie reihen sich nahtlos in das katastrophale Bild ein, das Frontex unter Führung von Exekutivdirektor Fabrice Leggeri abgibt“, sagt etwa die innenpolitische Expertin der sozialdemokratischen Fraktion im EU-Parlament, Birgit Sippel, am Montag gegenüber unserer Redaktion. „Es ist höchste Zeit, dass die Mitgliedstaaten und die Kommission im Verwaltungsrat Leggeri aus seinem Amt entfernen.“

    EU-Migrationspolitik: Wer ist zuständig?

    Tatsächlich kann das nur der Verwaltungsrat, den die EU-Regierungen besetzen. Sogar EU-Innen-Kommissarin Ylva Johansson sind die Hände gebunden. Inzwischen wird im Abgeordnetenhaus der EU erwogen, selbst aktiv zu werden. Die Haushaltskontrolleure könnten die Entlastung der EU-Agentur verweigern, weil Steuergelder der Unionsbürger 2019 nicht sachgemäß ausgegeben worden sind.

    Migranten Anfang März im Jahr 2020 an der türkisch-griechischen Grenze.
    Migranten Anfang März im Jahr 2020 an der türkisch-griechischen Grenze. Foto: Mohssen Assanimoghaddam, dpa

    Lucas Rasche, Wissenschaftler an der Berliner Denkfabrik Jacques Delors Centre, beschäftigt sich seit Jahren mit der EU-Migrations- und Asylpolitik. Er sieht für das Frontex-Dilemma vor allem zwei Gründe: Seit 2016 sei die Behörde zu einer Art Super-Agentur mit mehr Budget, mehr Personal und mehr Kompetenzen aufgestockt worden. Dabei habe man jedoch verpasst, auch Kontroll- und Transparenzmechanismen auszubauen. „Das wird umso klarer, je mehr Verantwortung die Agentur übernimmt“, sagt Rasche. Zugleich spiele sich das alles in einem bestimmten politischen Klima ab.

    Griechische Grenzschutzbeamte wurden gewalttätig

    Rasche erinnert etwa an den März 2020, als die Türkei die Grenzen zur EU für Geflüchtete für offen erklärte und griechische Beamte die Migranten teils gewalttätig abwehrten. Das Grundrecht, einen Asylantrag stellen zu dürfen, setzte Athen zeitweise aus – und EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen bezeichnete Griechenland als „europäisches Schild“. „Die Verwicklungen von Frontex in Pushbacks sind dann eine Fortsetzung dieser Politik“, sagt Rasche. Die EU versuche mit verstärktem Grenzschutz zu kaschieren, dass sie sich seit Jahren nicht auf ein funktionierendes Asylsystem einigen könne.

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