Es sind zwei kurze Nachrichten, die das zentrale Problem der deutschen EU-Ratspräsidentschaft besonders anschaulich beschreiben: Seit Freitag müssen alle Mitarbeiter, Sicherheitsleute und Besucher, die im Gebäude der Europäischen Kommission den 13. Stock betreten wollen, wo Präsidentin Ursula von der Leyen ihr Büro hat, einmal pro Woche einen Coronavirus-Test absolvieren – oder einen negativen Befund vorweisen.
Die Corona-Auflagen haben die deutsche EU-Ratspräsidentschaft stillgelegt
Eingeschränkt bleibt auch die Arbeit des Europäischen Parlamentes. An diesem Wochenende wissen die 705 Abgeordneten und ihre Mitarbeiter noch nicht, ob sie in der übernächsten Woche wieder in Straßburg tagen. Schließlich wurde Brüssel – ebenso wie andere Heimatorte der Parlamentarier – als Risikogebiet eingestuft. „Die Corona-Auflagen haben die deutsche EU-Ratspräsidentschaft praktisch stillgelegt“, fasst der CSU-Europa-Abgeordnete Markus Ferber die Situation zusammen. „Dass man die Sommerpause nicht genutzt hat, um sich auf einheitliche Regeln und Reisebestimmungen zu verständigen, wirft kein gutes Licht auf Europa.“
Tatsächlich ringen die Organisatoren zwei Monate nach dem Start der deutschen EU-Ratspräsidentschaft weiter mit den Einschränkungen, die im Zuge der Pandemie erlassen wurden. Zwar hatte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel schon bei der Amtsübernahme gegen zu hohe Erwartungen gewehrt. Nun fehlt ein Durchbruch. Die Krisen nehmen nicht ab, sondern zu. Ob der nach fünftägigem heftigem Kampf verabschiedete Haushaltsrahmen für die sieben Jahre ab 2021 sowie der Corona-Aufbaufonds mit zusammen 1,8 Billionen Euro die nächsten Wochen überleben, ist keineswegs sicher. Die Haushaltspolitiker des EU-Parlamentes, in Sachen Geld eine Instanz mit Veto-Recht, haben eine lange Liste von Nachbesserungen aufgestellt, ohne die sie das Papier der Chefs zurückweisen wollen. Es wäre eine Katastrophe.
Kritik an dem Vorgehen der Bundesregierung in Brüssel
Nun gehören solche Reibereien zwar zum Ritual. Aber Berlin sorgte auch noch zusätzlich für Unverständnis und Verärgerung bei den EU-Volksvertretern, weil die Bundesregierung schon das erste Schlichtungsgespräch nicht hochrangig besetzte, sondern Fachbeamten überließ. „Wir hatten nicht den Eindruck, dass Berlin mit aller Kraft auf einen Kompromiss hinarbeitet“, sagte ein Mitglied der Parlaments-delegation. In der vergangenen Woche stellte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) vor dem Handelsausschuss des Parlaments seine Leitlinien für den deutschen Vorsitz vor – wohlgemerkt erst jetzt, zwei Monate nach dem Beginn der Ratspräsidentschaft.
Was der Minister zu bieten hatte, verdient die Bezeichnung „hohle Phrasen“. Er sprach sich für offene Märkte und krisenfeste Unternehmen aus. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) hatte bei einer großen EU-Konferenz zur Mobilität vor wenigen Tagen immerhin eine handfeste Forderung für ein „europaweit einheitliches Bezahlsystem fürs Stromladen und Wasserstofftanken“ im Gepäck. Was wird daraus? Man werde die Ideen des Treffens der Kommission weiterleiten. Das war’s.
Neben den ungelösten Fragen, wie es mit den Beziehungen zum Vereinigten Königreich nach dem Jahreswechsel weitergeht und wann endlich ein Haushalt für die nächsten Jahre steht, sind der Streit zwischen Griechenland und der Türkei, die innenpolitische Krise in Bulgarien, der Krach mit Russland und neue Schwierigkeiten bei der Zuwanderung von Flüchtlingen aufgebrochen. Frühestens in diesem Monat wird ein neuer Vorschlag für ein gemeinsames Asylrecht erwartet.
EU-Diplomaten haben ihre Erwartungen an Deutschland gesenkt
Und wie die Gemeinschaft künftig mit Ungarn und anderen Ländern umgehen soll, in denen rechtsstaatliche Grundsätze immer weiter demontiert werden, bleibt bisher auch nicht erkennbar. Auf dem Tisch liegt eine schwammige Formulierung, die so allgemein ist, dass sogar Ungarns Premier Victor Orbán sie als Sieg feierte.
Brüsseler EU-Diplomaten haben ihre Erwartungen an die deutsche Präsidentschaft längst heruntergeschraubt: „Wenn wir am Jahresende wenigstens einen mittelfristigen Haushalt und einen Aufbaufonds haben, ist viel erreicht“, sagte einer von ihnen in diesen Tagen. Es klingt bescheiden – oder desillusioniert.
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