Jean-Pierre Delord ist ganz zuversichtlich. Es wird auch am 22. Dezember in Bugarach weitergehen. Damit teilt der Bürgermeister des 200-Seelen-Ortes in den französischen Pyrenäen nicht nur die Meinung all jener, die die Theorien vom Weltuntergang nach dem historischen Maya-Kalender am kommenden Freitag als bizarre Spinnerei abtun. Sondern Delord liegt auch auf der Linie derer, die tatsächlich an eine Apokalypse glauben, von der zumindest ein ganz besonderer Ort verschont bleiben soll: Bugarach. Ein Gerücht, das der kleinen südwestfranzösischen Gemeinde inzwischen zu unverhoffter Weltberühmtheit verholfen hat.
Delord spricht aber gar nicht von der Frage, ob sich die Erde nun über das berüchtigte Stichdatum hinaus weiterdrehen wird oder nicht. Viel mehr interessiert ihn, was aus Bugarach wird, wenn der Hype um das Dorf zwangsläufig abflauen wird, weil auch die restliche Welt den 21. Dezember überlebt hat.
Der Hausberg ist gesperrt, die Höhlen werden durchsucht
Die Sorge, über die ersehnte Ruhe hinaus schnell wieder in Vergessenheit zu geraten, scheint aber unbegründet. „Ich wurde bereits kontaktiert von Regisseuren, die Filme über unsere Geschichte machen werden“, sagt Delord. Für den 21. Dezember selbst hat der rührige Rathauschef zwei Sicherheits-Sonderkommandos beantragt, die bereits seit Dienstag den Zugang zum Hausberg Pic de Bugarach sperren. Auf Wunsch des Präfekten suchen Höhlenforscher im Inneren des Berges nach eventuell dort Versteckten. Rund 250 Journalisten aus aller Welt haben sich angemeldet. „Alle Kameras werden auf uns gerichtet sein“, erklärt Delord. „Ich könnte das eigentlich ausnutzen für einen Spendenaufruf an die Großzügigkeit der Öffentlichkeit, nicht?“ Das ist natürlich als Witz gemeint. Zumindest halb.
Denn in der Geschichte von der Aufregung um Bugarach spielt dieser Bürgermeister eine besondere und auch zweideutige Rolle. Zwar reagiert er genervt auf die unaufhörlichen Anfragen von Medien, auch wenn sie ihm gleichzeitig irgendwie schmeicheln. Rund 200 Journalisten hat er wohl schon empfangen, schätzt der 70-Jährige. „Und ich treffe jeden Tag weitere.“
Stoff für Reportagen sollte es genug geben: Wie es hieß, würden Endzeitjünger aus der ganzen Welt kommen und geheimnisvolle Sekten ihre Treffen im Umkreis des Berges abhalten. Denn es kursiert die Behauptung, dass in dem 1231 Meter hohen Berg, an dessen Fuß das Dorf liegt, Außerirdische schlummern. Am Stichtag sollten sie dieser Mär zufolge erwachen und nur diejenigen vor dem Inferno retten, die in Bugarach leben. Kuriose Fantasien, die das Internet gebiert, weitertreibt und die die Medien seit ein, zwei Jahren aufgreifen.
Hysterie um den Weltuntergang
Vor Ort werden sie freilich oft enttäuscht: Statt der erwarteten Horden von Illuminaten finden sie Wanderurlauber, gereizte Ortsbewohner und nur vereinzelt Anhänger mystischer Theorien, vor allem aber Journalisten-Kollegen, ebenfalls auf der Spur dieser vermeintlichen Weltuntergangs-Hysterie.
Unter ihnen waren auch der französische Dokumentarfilmer Rémi Lainé und der Schriftsteller Nicolas d’Estienne d’Orves, die sich zwischen Juni 2011 und November 2012 regelmäßig in Bugarach umsahen. Was sie berichten, ist wenig spektakulär: Bislang gebe es keine Invasion von Sektenmitgliedern, sondern in erster Linie von Medienleuten. Und selbst die Anhänger des Maya-Kalenders, die sie antrafen, glaubten statt an den Weltuntergang lediglich an einen Zykluswechsel.
Vielsagend ist die Szene im Polizei-Kommissariat, die sie notiert haben: „Mit all diesen Journalisten hier müsste doch eigentlich irgendetwas passieren“, sagt ein Polizist. „Mit all der Polizei könnte man glatt glauben, dass noch irgendetwas passiert“, antwortet ein Einwohner.
Lainé und d’Estienne d’Orves zufolge wurde 2012 ein einziges Haus in Bugarach verkauft, und zwar nicht für einen horrenden, sondern für einen ganz vernünftigen Preis. Demgegenüber hatte Bürgermeister Delord bereits im vergangenen Jahr vor dramatisch steigenden Miet- und Wohnungspreisen durch die vielen Anfragen aus dem Ausland gewarnt.
Der Bürgermeister verbreitete das Gerücht
Viele halten gerade ihn für die Quelle der ganzen Aufregung. Der Bürgermeister selbst habe das Gerücht von Bugarach als Weltuntergangs-Zufluchtsort erst verbreitet, erklärt die Soziologin Véronique Campion-Vincent: „In einem Interview Ende November 2010 war er der Erste, der öffentlich davon gesprochen hat, dass Bugarach der einzige Ort auf der Welt sein solle, der vor der Apokalypse verschont wird, und hat sich sehr beunruhigt gezeigt.“
Der gewitzte Rathauschef verteidigt sich, er sorge sich lediglich um die Sicherheit im Ort und betreibe Vorsorge. Er hat die Behörden gewarnt, die staatliche Sektenkommission Miviludes beobachtet die Vorgänge. Deren früherer Chef und Vorsitzende der Forschungsgruppe über Sekten in der französischen Nationalversammlung, Georges Fenech, wird am Freitag sogar vor Ort sein. Denn Delord warnt auch vor einer möglichen Eskalation und verweist auf die kollektiven Selbstmorde der Sonnentempler-Sekte, bei denen in den 90er Jahren insgesamt 74 Menschen ums Leben kamen.
Über diese Sorge hinaus spricht er allerdings offen über den Profit, den Bugarach aus seiner neuen Bekanntheit zieht. Zwar wäre ihm lieber, man würde über die Grundschule und die zehn Betriebe sprechen, die man in dem 198 Einwohner zählenden Örtchen erhalten konnte, erklärt Delord. Aber: „Es ist der tollste Werbe-Coup, den man sich vorstellen kann. Wenn ich eine Kommunikationsagentur genommen hätte, hätte sie nie ein solches Ergebnis erzielen können.“
Inzwischen gibt es Souvenirartikel von der Wünschelrute über esoterische Bücher bis zu Weinflaschen mit anspielungsreichen Etiketten: „Bugarach – Wenn nur einer bleibt, werde ich es sein.“ Die Idee des Fotografen Jean-Louis Socquet-Juglard, mit Hilfe einer Fotomontage eine Postkarte von Bugarach inklusive fliegender Untertasse zu gestalten, hat sich als goldrichtig herausgestellt, wie er sagt: „Mit 6000 verkauften Exemplaren wurde diese Postkarte ein Erfolg weit über meine Erwartungen hinaus.“
Als mystisch ist die Region seit Urzeiten bekannt
Der Rummel zog auch esoterische Gruppen an. Die Dorfbewohner berichten halb belustigt, halb beunruhigt von Versammlungen in der freien Natur, die sie beobachtet hätten. Manchmal seien die Menschen komplett in Weiß gekleidet, manchmal beteten sie alte Bäume an.
Den mystischen Ruf Bugarachs hat nicht erst Bürgermeister Delord erfunden. Er ist traditionell, wohl aufgrund der wilden, trockenen Natur und des mysteriösen Felsens mit dem Beinamen „der umgekehrte Berg“, bei dem sich infolge einer geologischen Faltung die ältesten Schichten über den jüngeren befinden. In den 60er Jahren verfasste hier der Esoterik-Autor Jean d’Argoun seine Schriften, in den 70ern ließen sich Hippies nieder. „Seit den Zeiten der Katharer gilt der Boden hier als fruchtbar für die spirituelle Suche, die Rückkehr an die Quellen und vielleicht zu sich selbst“, erklärt die belgische Anthropologin Justine Vleminckx. Wieder zu sich selbst finden – das können die Einwohner von Bugarach wohl ab dem 22. Dezember.