Nur wenige Stunden nach den Angriffen kurdischer Rebellen ist die türkische Armee am Mittwoch in den Nord-Irak einmarschiert. Der Vormarsch wurde durch Luftangriffe mit Bombern und Kampfhubschraubern unterstützt. Bei den schwersten Attacken von Kämpfern der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) auf türkische Einheiten seit 1992 waren zuvor 26 Soldaten getötet und 22 weitere verletzt worden.
Heftiger Artilleriebeschuss
Eine offizielle Bestätigung für den Einmarsch gab es zunächst jedoch nicht. Er wurde aber übereinstimmend auf der Website der türkischen Tageszeitung Hurriyet, vom türkischen Fernsehsender NTV und der pro-kurdischen Nachrichtenagentur Firat News gemeldet. Nach Berichten von NTV drangen türkische Soldaten vier Kilometer tief in den Irak ein. Hubschrauber setzten die Truppen ab. Heftiger Artilleriebeschuss auf vermutete PKK-Basen in den Kandil-Bergen begleiteten die Offensive, die nach Medienberichten begrenzt angelegt zu sein schien.
Gül: "Die Vergeltung wird heftig sein"
Der türkische Armeechef sowie der Innen- und der Verteidigungsminister begaben sich umgehend ins Kampfgebiet. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan brach eine Reise nach Kasachstan ab. Der türkische Staatspräsident Abdullah Gül kündigte massive Vergeltung für die zeitgleichen PKK-Angriffe nahe der Städte Cukurca und Yüksekova am frühen Mittwochmorgen in der Südosttürkei an. "Niemand sollte vergessen, dass diejenigen, die uns diesen Schmerz zufügen, noch schwerer leiden werden", sagte Gül zu Reportern. "Sie werden sehen, dass die Vergeltung für diese Angriffe heftig sein wird", fügte Gül hinzu.
Stundenlange Feuergefechte
Die Rebellen waren nach stundenlangen Feuergefechten über die Grenze nach Nordirak geflohen, wie der staatliche türkische Sender TRT meldete. Der PKK-Sprecher Dostdar Hamo berichtete telefonisch: "Wir kämpfen seit drei Uhr heute Morgen in zwei Gebieten gegen türkische Einheiten."
Waffenstillstand nicht beachtet
Die kurdischen Rebellen hatten ihre Angriffe seit einigen Monaten wieder ausgedehnt, nachdem die türkische Armee einen von ihnen einseitig erklärten Waffenstillstand nicht beachtet hatte. Zugleich zerstreuten sich Hoffnungen auf eine Verhandlungslösung des Kurdenkonflikts in der Türkei nach den Parlamentswahlen im Sommer. Dabei hatte ein von der Kurdenpartei BDP geführtes Bündnis 36 Sitze im Parlament erreicht, was die Kurden als Erfolg feierten. Jedoch wurde dem BDP-Abgeordneten Hatip Dicle aus der Kurdenmetropole Diyarbakir und mehreren seiner Kollegen unmittelbar nach der Wahl das Mandat aberkannt, weil sie die PKK unterstützt haben sollen. Das brachte die Kurden ebenso auf wie eine monatelange Kontaktsperre für den inhaftierten PKK-Chef Abdullah Öcalan, der auf der Gefängnisinsel Imrali einsitzt.
Wiederholte Gespräche
Die kurdische Abgeordnete Aysel Tugluc hatte kürzlich angeboten, die PKK werde ihre Waffen niederlegen, wenn Öcalans Haft in einen Hausarrest umgewandelt werde. Darauf ging die türkische Seite jedoch nicht ein, obwohl wiederholte Gespräche zwischen Öcalan und Vertretern des türkischen Staates bekannt geworden waren. Die Kurden fordern "demokratische Autonomie" in den mehrheitlich von ihnen bewohnten Gebieten, was vor allem auf kommunale Selbstverwaltung und die uneingeschränkte Benutzung ihrer Sprache in Bildung und Öffentlichkeit hinausliefe. Zwar hat die Regierung kurdische Sprach-Institute an Universitäten, privaten Sprachunterricht und Fernsehsendungen auf kurdisch zugelassen. Kurdisch ist aber generell in den Schulen noch nicht erlaubt.
4000 kurdische Politiker in Untersuchungshaft
Derzeit sitzen über 4000 kurdische Politiker, darunter viele Bürgermeister und Kommunalpolitiker meist unter dem Vorwurf der Unterstützung der PKK in Untersuchungshaft.
EU fordert mehr Rechte für Kurden
Die EU fordert von ihrem Beitrittskandidaten Türkei, den Kurden mehr Rechte zu geben. Zugleich forderten EU-Länder kurdische Abgeordnete auf, sich von der PKK zu distanzieren, die von den USA und der EU als Terrorgruppe eingestuft wird.
Bislang 40000 Tote
In dem seit 1984 währenden Konflikt sind nach Schätzungen etwa 40000 Menschen auf beiden Seiten ums Leben gekommen und tausende Kurdendörfer zerstört worden. (dapd)