Raum 2.600 im Paul-Löbe-Haus des Bundestags am Mittwochmorgen: ein Pulk Kameras und dichtes Gedränge vor der Tür. Was hier passiert, ist ungewöhnlich, ja einzigartig. Der Rechtsausschuss tagt. Das öffentliche Interesse hält sich normalerweise in Grenzen. Doch hier wird gerade Parlamentsgeschichte geschrieben. Erstmals in der 70-jährigen Geschichte des Bundestags hat ein Ausschuss seinen Vorsitzenden gefeuert. Der AfD-Abgeordnete Stephan Brandner ist abgesetzt. Alle Ausschussmitglieder außer die der AfD stellen sich gegen Brandner. „Es hat sich heute für Herrn Brandner ausgehetzt“, kommentiert der Linken-Obmann im Ausschuss, Niema Movassat, das Geschehen.
Stephan Brandner machte mit gezielten Provokationen auf sich aufmerksam
Brandner war selbst für das inzwischen an schrille Debatten gewohnte Parlament zu weit gegangen. Der 53-Jährige aus Thüringen benimmt sich gerne mal wie ein Schulhof-Rowdy. Im Mai attackiert er in einer Debatte den auf der Gästetribüne des Plenarsaals zuhörenden Bundespräsidenten. Im Oktober reagiert er abschätzig auf den Terroranschlag von Halle: „Warum lungern Politiker mit Kerzen in Moscheen und Synagogen rum?“ Zum Schluss greift Brandner den Rocksänger Udo Lindenberg an, der sich öffentlich gegen die AfD stellt. Dass dem das Bundesverdienstkreuz verliehen wurde, sei ein „Judaslohn“. Worte, die keinen Zweifel an der antisemitischen und ausländerfeindlichen Grundhaltung des Vorsitzenden des Rechtsausschusses lassen.
Umso bedeutsamer ist für den renommierten Parteien-Experten Karl-Rudolf Korte die Konsequenz, die die übrigen Ausschuss-Mitglieder nun gezogen haben. „Es bleibt wichtig, dass nicht nur die Anwendung des Rechts formal korrekt erfolgt, sondern auch die demokratische Haltung dahinter offensiv mit eingebracht wird“, sagt Korte. „Insofern stärken solche Aktionen das offensive Selbstbewusstsein einer politischen Mitte – mithin einer sehr großen Mehrheit.“ Die AfD teste aus, wie weit sie gehen könne, die anderen Parteien dürfte dies nicht hinnehmen.
Lernt die AfD aus dem Vorfall um Stephan Brandner?
Die rote Linie ist also gezogen. „Für AfD-Parlamentarier dürfte das eine Lehre sein: Schlagkräftige Opposition und scharfe Reden sind in Ordnung; doch auch Oppositionelle haben sich an Benimmregeln für Politiker zu halten – selbst wenn diese im Einzelfall entlang unterschiedlicher Maßstäbe oder voller Schadenfreude durchgesetzt werden sollten“, sagt auch der Politikwissenschaftler Werner J. Patzelt unserer Redaktion. Einfachen Abgeordneten könne ein größerer Fehlerspielraum eingestanden werden, bei einem Mann mit Führungsfunktion sehe das anders aus. Er müsse sich angemessen verhalten. „Die Fortsetzung von Stammtischgerede oder Internet-Geschimpfe gehört dazu nicht“, sagt Patzelt. Sein Rat an die Partei: „In dieser Lage sollten AfD-Politiker auf öffentliches Klagen besser verzichten, sondern lieber hinzulernen – und dann intern für ein möglichst angemessenes Verhalten ihrer Parlamentarier sorgen.“
Zu erwarten ist das wohl nicht. Der geschasste Stephan Brandner jedenfalls wetterte nach der Sitzung sofort weiter: „Manche nennen es Demokratie. Ich nenne es Missbrauch der Macht, was hier an den Tag gelegt wird.“ Und weiter: „Ich kam mir vor wie in einem FDJ-Tribunal.“
Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Ausschluss des AfD-Politikers: So geht es nicht, Herr Brandner!
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