Zunächst hatte Thierse der "Berliner Zeitung" gesagt: "Das ist ein barbarisches Urteil von asozialer Qualität." In der "Bild"-Zeitung (Freitag) räumte er ein, die Härte der Formulierung sei seiner Empörung geschuldet gewesen. "Es war eine unverhältnismäßige Reaktion auf ein unverhältnismäßiges Urteil."
Thierses Zorn richtete sich gegen das Landesarbeitsgericht Berlin, das am Dienstag die fristlose Entlassung eine 31 Jahre lang beschäftigten Kassiererin wegen der Unterschlagung von zwei Pfandbons im Wert von 1,30 Euro bestätigt hatte. Der Richterspruch erregte bundesweit Aufsehen.
Die Präsidentin des Landesarbeitsgerichts, Karin Aust-Dodenhoff, nahm ihre Richter in Schutz: "Diffamierungen der Gerichte, zumal von einem der höchsten Repräsentanten unseres Landes, sind in keiner Weise hinnehmbar." Es sei nichts dagegen einzuwenden, dass Urteile scharf kritisiert würden. "Die gebotene Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung muss jedoch immer in sachlicher Form geschehen." Thierses Äußerungen seien aber "geeignet, das Vertrauen der Bevölkerung in die Rechtsprechung zu beeinträchtigen" und "in die Unabhängigkeit der Gerichte" einzugreifen.
Auch der Präsident des Deutschen Anwaltvereins, Hartmut Kilger, kritisierte Thierses Äußerung. "Dieses Urteil als "barbarisches Urteil" zu bezeichnen, ist nicht gerechtfertigt und auch nicht sachgerecht." Unterschlagung sei zweifellos keine Nichtigkeit. Es sei durchaus sachgerecht, zwischen dem Wert der Sache und dem Vertrauensbruch zu unterscheiden. Es sei nicht zu beanstanden, dass sich das Gericht davon habe leiten lassen, "auch wenn es durchaus richtig ist, dass das Gericht hätte anders entscheiden können".
Der Berliner Anwaltsverein forderte Thierse zum Rücktritt auf. Wenn er dem Urteil "asoziale Qualität" bescheinige, stelle er die Entscheidung des Gerichts "außerhalb unserer Gemeinschaft". Das sei eine "nicht hinnehmbare Entgleisung". Aus populistischen Gründen habe Thierse die Unabhängigkeit der Gerichte infrage gestellt.