Irgendwann soll der Einkaufswagen seinem Kunden einmal folgen wie ein Hund seinem Herrchen. Das zumindest ist die Vision von Gerrit Kahl, der im Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz in Saarbrücken an der Zukunft des Supermarktes forscht. Und die könnte so aussehen, dass Einkaufswagen nicht mehr geschoben werden, sondern sich selbst navigieren. Kahl denkt auch über andere Dinge nach: Apps, mit denen Allergiker überprüfen können, was für sie nicht infrage kommt. Kühlschränke, die eigenständig Einkaufslisten erstellen. Sprechende Produkte, die etwas über sich erzählen, sobald Kunden sie in die Hand nehmen. „Isch bin ein Chardonnay“, säuselt in Kahls Präsentation in Berlin etwa eine Frauenstimme mit französischem Akzent.
Einkaufswagen könnten sich eines Tages selbst navigieren
Das Meiste davon wird vielleicht niemals markttauglich werden. Aber Kahls Ideen sind bezeichnend für den Zustand des Lebensmittelhandels. Die Branche ist im Wandel, und vieles scheint möglich. Sie feiert in diesen Tagen den 65. Geburtstag des Supermarktes, da im September 1949 der erste Selbstbedienungsladen in Hamburg aufmachte. Die Revolution des Einkaufs ging allerdings bereits ein paar Monate früher von Augsburg aus. Der Lebensmittelgroßhändler Bernhard Müller hatte im Juni 1949 einen Selbstbedienungsladen in der Morellstraße eröffnet. „Der blaue Laden“, wie das Geschäft aufgrund der Firmenfarbe hieß, lockte auch Leute von außerhalb an, er war etwas völlig Neues. Der Siegeszug des Supermarktes war nicht mehr aufzuhalten, das Ende der Tante-Emma-Läden eingeleitet.
Erster Selbstbedienungsladen in Deutschland in Augsburger Morellstraße
Das digitale Zeitalter bedeutet für den Lebensmittelhandel nun eine weitere Zäsur, auch wenn Joachim Zentes prognostiziert, dass die Kunden ihre Lebensmittel weiter direkt im Supermarkt einkaufen werden. Zentes ist Leiter des Institutes für Handel & Internationales Marketing an der Universität des Saarlandes und sagt, die Branche sei zwar in einem „Spannungsfeld zwischen virtuellen und stationären Formaten“, aber der Marktanteil des Internethandels sei im Lebensmittelbereich sehr klein. „Er liegt momentan quasi bei null“, sagt Zentes.
„Bis 2025 wird er sich nicht bedeutend erhöhen.“ Der herkömmliche Supermarkt werde sich dafür weiterentwickeln. Konsumenten achteten nicht nur auf den Preis, sondern vermehrt auf Authentizität, Regionalität und Service. Nischenformate wie der vegane Supermarkt „Veganz“ würden daher noch zunehmen. Diese Entwicklung biete auch eine Chance für die im Ausland sehr populären Markthallen, die in Deutschland kaum existierten. Der Internethandel könne diese Werte nicht so vermitteln – und werde im Lebensmittelsektor in naher Zukunft eine Randnotiz bleiben.
Auslieferung mit Drohnen wird getestet
Das sieht Max Thinius, Sprecher des Online-Supermarktes Allyouneed.com, naturgemäß ein wenig anders. Die Deutsche-Post-Tochter DHL setzt schon heute auf das Geschäftsmodell, dem Zentes für die kommenden zehn Jahre keine großen Sprünge zutraut: Kunden bestellen Lebensmittel über die Homepage, der Einkauf wird dann zu ihnen nach Hause geliefert. Thinius ist zuversichtlich. Laut einer Studie steige der Online-Marktanteil im Lebensmittelhandel bis 2020 auf 10 Prozent, sagt er. Mit seinen Erfahrungen decke sich das ganz gut. „Wir werden sehen, wer recht behält.“ Die Forschungsabteilung des Unternehmens testet auch die Auslieferung mit Drohnen. „Aber die haben derzeit erst eine Tragfähigkeit von fünf Kilogramm“, sagt Thinus. „Damit können wir keine Einkäufe nach Hause schicken.“
Mischung aus digitalem Einkaufszettel und klassischem Supermarkt denkbar
Worauf wird es also hinauslaufen? Vielleicht ja auf eine Mischung aus digitalem Einkaufszettel und klassischem Supermarkt. Davon ist zumindest Franz-Martin Rausch überzeugt, der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands des Deutschen Lebensmittelhandels. „Es entwickelt sich ein Trend, dass Kunden online bestellen und den fertig zusammengestellten Einkauf vor Ort abholen.“