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Österreich: Ein Gebäude, ein Problem: Was tun mit dem leeren Hitlerhaus?

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Ein Gebäude, ein Problem: Was tun mit dem leeren Hitlerhaus?

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    Im Hitler-Geburtshaus war bis vor Kurzem die Lebenshilfe Oberösterreich untergebracht.
    Im Hitler-Geburtshaus war bis vor Kurzem die Lebenshilfe Oberösterreich untergebracht. Foto: Daniel Wirsching

    „Braunau ist eine putzige Kleinstadt. Sie werden dort alles sehen, vielleicht sogar einen jungen Neonazi. Aber den könnten Sie auch in Augsburg oder München sehen.“ Sagt Andreas Maislinger, Innsbrucker Historiker und Politikwissenschaftler mit einer Mission.

    In Braunau wurde am 20. April 1889 Adolf Hitler geboren.

    "Eine durchschnittliche Stadt"

    „Braunau ist eine durchschnittliche Stadt“, sagt Maislinger am Telefon und meint das keineswegs abwertend. „Braunau soll eine Stadt der Verantwortung werden, aber man kann sie für nichts verantwortlich machen. Fahren Sie hin!“

    Braunau am Inn. Vor dem gelben Haus in der „Salzburger Vorstadt 15“ halten eine Limousine und ein Kleinbus. Männer in Anzügen steigen aus. Drei von ihnen, darunter der Bürgermeister einer polnischen Gemeinde, stellen sich hinter einen Granitstein, in den die Worte gemeißelt sind: „Für Frieden, Freiheit und Demokratie. Nie wieder Faschismus. Millionen Tote mahnen.“ Der Stein stammt aus dem Konzentrationslager Mauthausen bei Linz. Die Männer in den Anzügen zupfen sich ihre Krawatten zurecht und lächeln für ein Foto. Eine Frau sagt im Vorübergehen: „Na, a Wahnsinn.“

    Ein Schauer über den Rücken gelaufen

    Danach hält der Citybus vor dem Haus. Und danach spazieren Karin und Rolf Becker an ihm vorbei, kehren um und blicken in die vergitterten Erdgeschossfenster. Auf zwei Zetteln, die von innen an eine Fensterscheibe geklebt wurden, lesen sie, dass der Aktivshop Braunau der Lebenshilfe Oberösterreich ab dem 1. August wegen „Übersiedlungsarbeiten geschlossen“ und am „19.9.2011 im Steinadlerhaus“ neu eröffnet worden ist.

    In dem gelben Haus in Braunau wurde Adolf Hitler geboren.

    Das weiß nur, wer sich beispielsweise im „Stadtamt“, im Rathaus, die Broschüre „Erlebnis Braunau, Tourismus am Inn“ geholt hat. Am Haus selbst findet sich kein Hinweis auf Hitler, die Eigentümerin will es so. Das Haus bestimmt Braunaus Ruf. Nun steht es leer. Die Frage, was aus dem Haus wird, treibt die Braunauer um, sie beschäftigt Österreich und die Weltpresse.

    Andreas Maislinger, der Historiker, möchte es in ein „Haus der Verantwortung“ umbauen lassen. Im Erdgeschoss könnte man ein „kleines US-Veteranenmuseum“ einrichten, als Dank für die Befreier, im ersten Stockwerk könnten sich „junge Leute“ austauschen, im zweiten wäre Platz für eine „Zukunftswerkstätte“. Drei Geschosse: Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft. So stellt es sich Maislinger vor, seit Jahren. 1992 hat er die „Braunauer Zeitgeschichte-Tage“ mitbegründet. Das Thema 1992: „Unerwünschtes Erbe“. Das Thema 2011: „Schwieriges Erbe“.

    Was, wenn Neonazis einziehen?

    Seitdem publik wurde, dass die Lebenshilfe auszieht, schwirren Gerüchte durch Braunau: Zieht das Finanzamt in das denkmalgeschützte „Hitlerhaus“ ein? Oder wird es an Privatleute vermietet? „Mir wird ganz schwummelig bei dem Gedanken, dass da Neonazis wohnen könnten“, sagt Maislinger. „Stellen Sie sich die Schlagzeilen vor!“

    Kurt Hell ist nicht traurig über den Auszug der Lebenshilfe. Der Behindertenbetreuer arbeitet seit 1982 in dem Haus, das seit 1977 als Tagesheimstätte und Werkstätte für geistig oder körperlich Behinderte genutzt wurde – „unwertes Leben“ für Hitler. „Das Haus ist baufällig, die Stiegen sind nicht behindertengerecht. Außen, ja, da ist es mal gestrichen worden, aber sonst ist’s marode. Deshalb müssen wir raus. Die Eigentümerin will nichts machen“, sagt er und deutet auf den gewölbten Holzfußboden eines Zimmers im zweiten Stock: „Wasserschaden.“

    Im zweiten Stock soll Adolf Hitler als Sohn des Zollbeamten Alois Hitler und dessen dritter Frau Klara geboren worden sein, wo genau, ist nicht bekannt.

    Aufmarsch in SS-Uniformen

    1989 mussten Kurt Hell und die Behinderten der Lebenshilfe das Haus für zwei Tage verlassen, in ihren Räumen bezogen Polizisten Stellung. Zu Hitlers 100. Geburtstag marschierten Rechte in SS-Uniformen auf, ein Pilgerort für Nazis wurde Braunau auf wundersame Weise dennoch nicht – im Unterschied zum italienischen Predappio etwa, dem Geburtsort des faschistischen Diktators Benito Mussolini.

    Drei Geschosse: Im Erdgeschoss Speisesaal und Verkaufsraum, im ersten und zweiten Stock Werkstätten, in denen Vogelhäuser gefertigt oder Seidentücher bemalt wurden. Hell und ein paar Helfer räumen zusammen, was noch an die Lebenshilfe erinnert: Stühle, Tische, ein Spülbecken. Am nächsten Tag wollen sie die „Übersiedlung“ abschließen.

    In „Mein Kampf“ schreibt Adolf Hitler, der als Kind nicht einmal drei Jahre in Braunau lebte, Mitte der 1920er Jahre: „Als glückliche Bestimmung gilt es mir heute, dass das Schicksal mir zum Geburtsort gerade Braunau am Inn zuwies. Liegt doch dieses Städtchen an der Grenze jener zwei deutschen Staaten, deren Wiedervereinigung mindestens uns Jüngeren als eine mit allen Mitteln durchzuführende Lebensaufgabe erscheint.“ Nach dem „Anschluss“ Österreichs fuhr er 1938 im offenen Wagen zu seinem Geburtshaus. Stieg nicht aus. Kam nie zurück.

    „Hitlerhäuser“ gibt es viele. In vielen Städten Österreichs und Deutschlands. Das in Braunau war, vom 17. Jahrhundert an, Gasthaus, Stadtbücherei, Bank und Schule. 1938 kaufte es Martin Bormann, Leiter der Partei-Kanzlei der NSDAP, und wandelte es in ein Kulturzentrum um. Nach der Befreiung der Stadt durch amerikanische Truppen wurden hier Fotos aus Konzentrationslagern gezeigt. 1952 erhielten es seine früheren Eigentümer wieder.

    Hitlers Babybild im Gang

    Andreas Maislinger würde im Eingangsbereich ein Foto von Adolf Hitler als Kleinkind aufhängen und dazu das Gedicht „Das erste Foto“ von Wislawa Szymborska. Es beginnt mit den Zeilen: „Wer ist denn der Süße im Strampelanzug? / Das ist klein Adi, der Sohn der Hitlers. / Vielleicht wird aus ihm ein Doktor der Rechte, / vielleicht ein Tenor an der Wiener Oper?“

    Aus Hitler wurde der „Führer“; aus Braunau, das ausgerechnet die Farbe der Nationalsozialisten in seinem Namen trägt, ein Synonym für eine Stadt Ewiggestriger. Es half den Braunauern nicht, auf Wahlergebnisse, Statistiken und Untersuchungen hinzuweisen, die das Klischee als Klischee entlarvten. Es gab eine Zeit, als die Braunauer Hitler totschwiegen. Es gab eine Zeit, da boten Händler Aschenbecher mit der Aufschrift „Hitlers Geburtsstadt Braunau“ an. Vorbei.

    Zu Fuß sind es zwei Minuten zum Braunauer Stadtamt. Vorbei an einem aufgegebenen Laden, in dem ein Drehständer mit Musikkassetten zurückgelassen wurde: „Die Nr.1 Hits – Schlager 2000“, „Greatest Hits“ von Percy Sledge. Ins Stadtamt zu Johannes Waidbacher von der christlich-liberalen ÖVP. Maislinger hat über ihn gesagt: „Der muss Weltpolitik im Bereich der Geschichtspolitik machen, ist aber nicht Joschka Fischer.“ Waidbacher ist ein 45-Jähriger, der, wenn er lacht, wie ein 25-Jähriger wirkt, allerdings wenig Grund zum Lachen hat, weil er Bürgermeister einer „Abgangsgemeinde“ ist. Was das bedeutet, wird beim Blick in die Glaskästen vorm Rathauseingang deutlich. Auf der Tagesordnung der Gemeinderatssitzung am Abend steht der „Nachtragsvoranschlag für das Haushaltsjahr 2011“:

    Einnahmen 40537900 Euro. Ausgaben 41337900 Euro. Abgang 800000 Euro.

    Der Bürgermeister kann sich ein Museum vorstellen

    Johannes Waidbacher kann sich mit Maislingers Ideen anfreunden, hätte jedoch auch nichts gegen ein Museum zur Ortsgeschichte, am liebsten wäre ihm eine Lösung, die möglichst wenig kostet. Das Haus kaufen? „Utopisch!“ Waidbacher ist vor gut einem halben Jahr Bürgermeister geworden, die künftige Nutzung des „Hitlerhauses“ war Wahlkampfthema. Er legte sich darauf fest, sich nicht festzulegen. „Im Endeffekt kann ich nur Konzepte umsetzen, wenn das Haus in meinem Eigentum ist.“ Waidbacher spricht mit weicher Stimme. Er weiß um seine Verantwortung. Die Verhandlungen mit der Eigentümerin gestalten sich schwierig, Braunau war Untervermieter der Lebenshilfe, Hauptmieter ist das österreichische Innenministerium.

    Alle Spekulationen um die Zukunft des Hauses enden schnell, wenn man mit Karl-Heinz Grundböck, dem Ministeriumssprecher, redet. Der sagt: „Für uns hat die Neugestaltung der Gedenkstätte Mauthausen Priorität. Das wird uns bis Ende 2013 beschäftigen. Bis dahin sind wir bemüht, dass in Braunau kein Unfug passiert.“ Privatmieter seien ausgeschlossen.

    Auf der Rückfahrt von Braunau klingt ein Satz von Bürgermeister Waidbacher nach: „Ein Haus ist ein Haus.“ Und noch dies: Ein Neonazi war nicht zu sehen.

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